Der Corona-Trend in Deutschland setzt sich fort, die Lage verbessert sich zusehends. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen sinkt weiter. Vergleicht man diese mit der Zahl der durchgeführten Tests, relativiert sich der Erkenntnisgewinn zwar, dennoch zeigt sich, dass das Absinken der als Neuinfektionen gemeldeten Positiv-Tests in der letzten Woche nicht allein auf die Reduzierung der Testkapazitäten zurückzuführen ist, da die Positivenquote ebenfalls gesunken ist. Zumindest stagnieren diese „Infektionen“ also.
Die wichtigere und auch konkretere Zahl der belegten Intensivbetten liefert ein klareres Bild. Die Zahl der Covid-Fälle auf den Intensivstationen sinkt weiter rapide, seit Anfang des Jahres jetzt bereits um rund 20%. Durch Quarantänisierung, Erkrankung etc. ging zuvor die Zahl des verfügbaren Pflegepersonals und damit die der betriebsbereiten Intensivbetten zurück – dieser Trend scheint nun auch gebrochen, die Zahl der verfügbaren Intensivbetten hat sich stabilisiert.
Die Zahl der (an und mit) Corona Gestorbenen ist in Deutschland in der zweiten Woche in Folge rückläufig. Alle Zeichen stehen also weiterhin auf Lockerung.
Die Impfung geht hingegen weiter schleppend voran, von Aufholen kann keine Rede sein. Dass die Impfung die Lage vor dem Sommer substanziell verändert, scheint ausgeschlossen.
Die zweite Welle scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Der Lockdown hat darauf wohl wenig Einfluss, der zeitliche Zusammenhang lässt sich nicht konstruieren. Immer mehr Studien zeigen mittlerweile, dass Lockdowns insgesamt kaum einen Einfluss haben – neben der Untersuchung von John Ioannidis (letzte Woche hier genauer erläutert) nun auch eine Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (hier mehr dazu).
Möglich ist, dass eine langsam anrollende Teststrategie in den Altersheimen positive Effekte bei den Totenzahlen bringt, hier stirbt nach wie vor die übergroße Mehrheit.
Dennoch bleibt vor allem eines: Die Erkenntnisse des Menschen über Virus-Erkrankungen werden maßlos überschätzt. Seit Jahren kommen Grippe-Wellen und enden – ohne Lockdown und ohne annähernd vollständiger Durchseuchung der Bevölkerung.
Auch die Erklärung, der Sommer würde etwas ändern, ist nur bedingt logisch, dann dürfte das Virus in Thailand, Südchina oder Brasilien schließlich gar nicht ausbrechen. Für dieses Ende einer Virus-Welle gibt es keine bis dato abschließende wissenschaftliche Erklärung. Genau ein solches Ende ohne spezifischen Grund scheint sich gerade abermals in Deutschland abzuspielen. Wenn es nach den Erklärungen der Virologen ginge, müsste sich das Virus exponentiell ausbreiten, bis 70% der Bevölkerung infiziert sind – das passiert aber eben nicht.
Diese letztendlich völlige Unkenntnis des Menschen über virale Erkrankungen muss man sich immer wieder vor Augen führen. Sie zeigt sich auch in der Debatte über die angeblich gefährlichere Corona-Mutante.
Die Chronologie der Mutante
Breite Öffentlichkeit erhielt die Corona-Mutante B.1.1.7 im Dezember durch Boris Johnson, der eine aus der Luft gegriffene Zahl von 70% mehr Ansteckung in die Welt setzte, die durch die Öffentlichkeit ging. Die Wissenschaft hierzulande reagierte skeptisch – von Streeck bis Drosten. Große Teile der deutschen Presse brachten nach und nach kritische Berichte und entlarvten Johnsons Aussagen als das, was sie waren: ein politisches Manöver, um sich aus einer Falle zu manövrieren. Er hatte versprochen, dass es keinen Lockdown über Weihnachten geben müsste, und suchte nach einem gesichtswahrenden Weg, den Lockdown doch zu verhängen.
Damit lässt sich eine neue Drohkulisse aufbauen, um weitere härtere Maßnahmen zu rechtfertigen. Dann ist es schließlich ein neues Virus, über das wir nichts wissen und bei dem wir wieder auf maximale Gefahrenabwehr gehen müssen – und alles geht von vorne los. Das ist wohl die Legende, die jetzt gestrickt wird.
Doch nicht mal Drosten schien so recht mitmachen zu wollen, Ende Dezember erklärte er noch, die Variante dürfte „hierzulande eher schwer Fuß fassen“ können, und: „Ich glaube nicht, dass wir da bald ein größeres Problem kriegen.“ Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass die neue Variante einen Einfluss auf die Krankheitsschwere habe.
Also suchte sich Angela Merkel mit Melanie Brinkman eine neue, vor Corona gänzlich unbekannte und weitaus weniger profilierte Virologin. Im März 2020 bekam sie im Zuge von Corona erstmals einen Wikipedia-Artikel, der bis heute sehr kurz ist. Seit 2018 hat sie eine W2-Professur in Braunschweig inne, davor leitete sie eine Nachwuchsgruppe für virale Immunmodulation am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig – das weist sie nicht direkt als Top-Wissenschaftlerin in dem Gebiet aus.
Sie brachte sich von Anfang an bei Corona durch besondere Radikalität ins Gespräch. Zunächst durch ein Papier, was schärferes Vorgehen gegen Corona-Fake-News forderte, und jetzt das NoCovid-Papier, das genau pünktlich zu Merkels neuem Anlauf kam, den „Mega-Lockdown“ durchzudrücken. Ihre Qualifikation scheint zu sein, dass sich Angela Merkel darauf verlassen kann, dass Brinkmann immer die maximal radikale Position vertritt.
Beim letzten Corona-Gipfel war sie sich nicht zu schade, in dramatischen Worten vor der Mutation zu warnen, und als Dauertalkshowgast verbreitet sie unentwegt das Narrativ des neuen Virus.
Die These, das mutierte Virus sorge für enorm höhere Infektionszahlen, fiel dann aber dennoch ziemlich schnell in sich zusammen. In Deutschland müsste die Mutante – mindestens vier Monate nach dem ersten Auftreten – sich doch auch massiv ausgebreitet haben und die Zahlen nach oben schießen lassen. Die Zahlen aber sinken.
Auch in Irland – dem Beispiel für die scheinbar gravierenden Auswirkungen der Mutante – sinken die Zahlen nun rapide. Und zwar begannen die Corona-„Neuinfektionen“ dort genau dann zu sinken, als die Mutante erst begann sich auszubreiten, so erläutert der Epidemiologe Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter des Global-Influenza-Programms und SARS-Forschungskoordinator der WHO. Der schnelle vormalige Anstieg der Zahlen in Irland, kann also nicht auf die Mutante zurückgeführt werden. Die Mutante begann erst einen nennenswerten Teil der „Infektionen“ auszumachen, als die Gesamt-Infektionszahlen bereits wieder sanken. Auch in Großbritannien sinkt die Zahl der „Neuinfektionen“ seit zwei Wochen nun konstant, mittlerweile im Vergleich um rund ein Drittel. Aber jetzt müsste es doch eigentlich erst richtig losgehen, jetzt müsste Corona doch seinen Mutanten-„Raketenanzug“ (wie Melanie Brinkmann sagt) zünden.
Die sinkenden Zahlen zusammen mit der fortschreitenden Impfung brachten Johnsons Lockdown-Strategie in den letzten Tagen immer stärker unter Druck. Der Premierminister sieht sich zunehmend auch Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt, er solle Großbritannien seine klare Strategie aus dem Lockdown beschreiben. Gegenüber dem Daily Express sagten mehrere Tory-Abgeordnete, dass sie immer enttäuschter von Johnsons Versagen seien, der Bevölkerung zu erklären, wann das Ende der „drakonischen Restriktionen“ komme.
Doch schnell hat Boris Johnson ein neues, noch abwegigeres Narrativ bereit, um sich aus seiner neuen Zwangslage zu befreien. Die Mutante sei nämlich nicht nur infektiöser, sondern auch noch tödlicher. Er entnimmt das einer unveröffentlichten Untersuchung aus dem Dunstkreis seiner Berater, die zu dem Schluss kommt, dass das Virus bei 60-Jährigen 30-40% tödlicher sei. Datengrundlage sind weniger als 400 mit der Mutante Verstorbene.
Die medizinische Direktorin der Gesundheitsbehörde Public Health England, Yvonne Doyle, sagte in Bezug auf Johnsons Äußerungen: „Es ist zu früh, das zu sagen.“ Und sogar Mike Tildesley, Mitglied des wissenschaftlichen Expertengremiums der britischen Regierung meint: „Ich mache mir Sorgen, dass wir Dinge voreilig melden, wenn die Daten noch nicht wirklich besonders aussagekräftig sind.“
Die Fallsterblichkeit in Großbritannien ist auf einem ziemlich niedrigen Niveau und sinkt weiter. Auch genetisch gibt es keinerlei Indizien für eine höhere Letalität der Mutante. Von den 23 Mutationen, die die Variante B.1.1.7 ausmachen, sorgt eine Punktmutation an den Spike-Proteinen in der Tat immerhin im Labor für eine einfachere Andockmöglichkeit an eine menschliche Wirtszelle. Das muss im Ergebnis nicht viel bedeuten, da andere Faktoren wie die Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch bei der Infektion entscheidender sind. Dennoch hat man immerhin einen Anhaltspunkt für mögliche höhere Ansteckungsraten. Und die evolutionäre Bestrebung eines Virus ist es natürlich auch ansteckender zu werden. Einen spezifischen Selektionsdruck, tödlicher zu werden, gibt es allerdings nicht – im Gegenteil.
Wird ein Virus tödlicher bzw. gefährlicher, vermindern sich seine Verbreitungschancen, und die Verbreitung ist schließlich das Evolutionsziel. Viren werden tendenziell infektiöser und harmloser. So wurden alle möglichen einst gefährlichen (grippalen) Erreger zu Schnupfen. Und auch bei B.1.1.7. gibt es wenn überhaupt genetische Anhaltspunkte dafür, dass das Virus durch eine Punktmutation weniger gefährlich wird – das sagte u.a. auch Drosten. Dass die Mutation tödlicher ist, ist eine Behauptung der Politik. Es wird interessant zu beobachten, wie die etablierte Wissenschaft darauf reagiert und ob sie sich dieser Behauptung am Ende anschließt.
Die Virality-Stars
Und das bringt uns zu einem mittlerweile zentralen Problem: Der Frage nach der Henne und dem Ei. War es am Anfang der Pandemie noch die Befürchtung, die Politik würde blind der Medizin folgen und alle anderen Lebensbereiche ausblenden, so ist jetzt die Frage: Folgt die etablierte Wissenschaft in großen Teilen nicht längst der Politik?
Christian Drosten war zuvor immerhin von gewisser Relevanz, als einer der Entdecker des Sars-CoV-1 Virus, als Institutsdirektor der Charité, er wird von Science als einer der weltweit „führenden Experten im Hinblick auf Coronaviren“ gehandelt und über 2.000 mal in wissenschaftlichen Arbeiten zitiert. Drosten ist ein Radikaler, aber er hat über weite Strecken zumindest seinen eigenen Kopf gehabt. Genau deshalb scheint selbst er aber jetzt aus der Gunst der Kanzlerin zu fallen – und wird ersetzt von No-Names, die aber spuren.
Das kann Drosten wiederum nicht auf sich sitzen lassen: Er versucht nun, sich mit der von ihm ausgegeben Zahl der drohenden 100.000 Neuinfektionen im Sommer wieder in die Schlagzeilen zu bringen. Er lässt sich nun immerhin breitschlagen zu sagen: „Die Variante verbreite sich stärker als der bisher bekannte Typ des Sars-Cov-2-Virus“, weist aber weiterhin die 50 bis 70 Prozent Zusatzinfektiosität zurück.
In die Öffentlichkeit kommen eben die, die das erzählen, was Politik und Medien gerade hören wollen. Kritische Stimmen wie Streeck, Schmidt-Chanasit oder Stöhr werden nicht mehr eingeladen. Und so ist es längst die Politik, die Themen setzt und letztendlich erzwingt, was medizinisch als Gefahr gilt und was nicht. Die Berater sind nur noch eine nachgelagerte Instanz, die um die Gunst der Öffentlichkeit ringt.
Der Lockdown-Politik fehlt in der Realität jedes Fundament, aber sie versucht sich durch eine Zirkel-Logik zu legitimieren: Die Politik gibt vor, man wisse, dass die Mutation gefährlicher sei, die Wissenschaftler folgen dann zaghaft, und daraus werden wiederum härtere Maßnahmen abgeleitet. Das ist der endgültige Abschied von der Realität.
Alle Maßstäbe, alle Indikatoren sprechen hingegen weiter für eine abflauende Welle und damit für ein Ende des Lockdowns.