Tichys Einblick
Migrantenquote in Berlin

Herkunftsquoten für öffentlichen Dienst? Einheimische und Qualifizierte raus

Der Berliner Senat plant eine Herkunftsquote für Staatsdiener. Das Vorhaben ist ein Schritt zur Zerstörung der Bürgergesellschaft, die Identitätspolitiker in fast allen Parteien vorantreiben.

Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach (Die LINKE)

imago images / Emmanuele Contini

Berlins rot-rot-grüner Senat plant eine sogenannte Migrantenquote im öffentlichen Dienst der Stadt. Schon der Migrantenbegriff enthält eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Dazu gleich mehr.

Zur Begründung führt die Integrations- und Sozialsenatorin Elke Breitenbach an, der Anteil von Migranten an der Bevölkerung Berlins liege bei 35 Prozent, ihre Quote im öffentlichen Dienst der Stadt aber nur bei 12 Prozent. Die Senatspolitiker errechnen also ein gesellschaftstechnisches Problem, um dazu auch gleich die technische Lösung zu präsentieren, nämlich die Bevorzugung von Migranten bei der Einstellung bis die entsprechende Zielmarkierung erreicht ist. Als Migrant im Sinne der Definition gilt allerdings nicht nur ein Einwanderer, sondern jeder, bei dem mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde. Es genügt also ein österreichischer Vater oder eine polnische Mutter, um wiederum mit dem amerikanischen Gastprofessor, dem vietnamesischen Arzt und dem arabischen Kleinunternehmer in ein und dasselbe Identitätskollektiv einsortiert zu werden, dessen Mitglieder außer eben dieser politischen Bestempelung nichts gemeinsam haben. Ergänzend kann laut Gesetzentwurf auch jemand den hilfreichen Hintergrund geltend machen, „dem eine Migrationsgeschichte zugeschrieben wird“. Das bedeutet mit anderen Worten: Jeder kann sie sich selbst zuschreiben. Wer den real existierenden Berlinismus kennt, der ahnt allerdings schon, dass beispielsweise der Autor des Artikels nicht ohne weiteres eine Migrationsgeschichte für sich geltend machen könnte. Und dass es den Identitätspolitikern der Stadt auch nicht um die Anhebung der Zahl von Sachbearbeitern mit österreichischem Elternteil in der Kreuzberger Bezirksverwaltung geht.

Worauf sie stattdessen zielen, können die Fürsprecher nur indirekt mitteilen. Sie müssen sich notgedrungen um Hindernisse wie das Grundgesetz herumwinden, in dessen Artikel 3 es heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Artikel 33 bestimmt: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Beamte, auch das ist eine nicht unwichtige Einschränkung, können nur Deutsche werden.

Aber gerade wegen dieser Windungen und Wendungen ist es interessant, einem Fürsprecher der neuen Berliner Quote zuzuhören, in diesem Fall einer Fürsprecherin, nämlich der Publizistin Düzen Tekkal. Im Gespräch mit der Welt fächert sie ihre Argumentation auf. Tekkal, das erwähnt die Welt, steht der CDU nah. Sie gilt dort als mögliche Anwärterin für Ämter, in denen sich Identitätspolitik betreiben lässt.

„Eine Quote ist als Werkzeug immer das letzte Mittel“, erklärt sie in dem Interview: „Sympathischer wäre es natürlich ohne. In der Realität ist es aber nun mal leider so, dass sich der migrantische Anteil dieser Stadtgesellschaft noch nicht hinreichend in den Verwaltungsstrukturen wiederfindet. In der Diskussion heißt es häufig, die Kompetenz solle entscheiden, nicht die Quote. Das ist auch richtig. Viele Menschen kommen aber gar nicht in die Position, zu zeigen, was sie können. Diese Strukturen bekommen wir nur über Quoten aufgeknackt.“

Berlin
Senatorin fordert 35-Prozent-Migrantenquote in Verwaltung
„Strukturen aufknacken“ ist die bevorzugte Tätigkeit von Identitäts- und Transformationspolitikern, die bei den Grünen und der SPD den Ton angeben und jetzt auch das Terrain der CDU besetzen, ohne dass sich nennenswerte Unterschiede in Argumenten und Begriffen zwischen den Aktivisten links und in Unionsnähe ausmachen lassen. Es handelt sich um eine Querfront, die inzwischen über fast das gesamte Parteienspektrum reicht. Welche Strukturen müssen in Berlin eigentlich dringend geknackt werden? Dass es nötig ist, versichert auch Integrations- und Sozialsenatorin Breitenbach. Allerdings kann sie ebenso wenig wie Tekkal das Beispiel auch nur eines einzigen Bewerbers beibringen, der trotz ausreichender Qualifikation als Kandidat für den öffentlichen Dienst der rot-rot-grün regierten Stadt abgelehnt wurde, weil er einen arabischen oder italienischen Namen trägt. Und wenn das irgendwo tatsächlich mit System passieren sollte, dann wäre die seit Jahren von Breitenbach und anderen linken Politikern geführte Verwaltung rassistisch und fremdenfeindlich. In diesem Fall sollte Breitenbach kein neues Gesetz einbringen, sondern zusammen mit ihren Kollegen und Kolleginnen des Senats Müller schuldbewusst zurücktreten.

In Berlin erreicht der Migrantenanteil bei der Polizei nach offiziellen Angaben übrigens 38 Prozent, sie übersteigt also den Migrantenanteil in der Bevölkerung. Wie hoch der Bewerberanteil mit sogenanntem Migrationshintergrund für die allgemeine Verwaltung und den Justizdienst liegt, kann der Senat nicht mitteilen. Es sollen also nach Breitenbach, anderen Linken, Grünen und Tekkal Strukturen aufgeknackt werden, die immerhin dazu geführt haben, dass in Berlin überdurchschnittlich viele Polizisten mindestens einen familiären Migrationshintergrund haben, und in denen sich ansonsten nicht eine konkrete Diskriminierung wegen Herkunft nachweisen lässt.

„Im Grunde gibt es also keinen Unterschied zwischen einer Migrantenquote und einer Frauenquote?“, fragt die Welt.
Tekkal: „Richtig. Es läuft auf dasselbe hinaus: Es geht darum, den Querschnitt der Gesellschaft adäquat abzubilden. Wichtig ist aber, dass es hier nicht um eine harte, sondern um eine weiche Quote geht. Der Migrationshintergrund soll als positives Einstellungsmerkmal definiert werden, ähnlich wie bei Frauen und Schwerbehinderten. Es geht nicht darum, Menschen auf Positionen zu hieven, die nicht kompetent sind, sondern darum, dass alle gleich berücksichtigt werden. Wir werfen mit Diversität als Schlagwort um uns, aber umgesetzt ist sie noch lange nicht. Daraus entsteht Frust.“

Wie viele Neuköllner mit arabischem Vater oder Kladower mit Schweizer Mutter tatsächlich darüber frustriert sind, dass sie trotz guter Prädikatsnoten nicht bei der Berliner Staatsanwaltschaft anfangen dürfen, darüber gibt es – siehe oben – keinerlei Erkenntnisse. Auch sonst beherrscht Tekkal die Technik virtuos, eine unbelegte Behauptung an die nächste haltlose Suggestion zu knüpfen, bis ein ganzes Gewebe aus Demagogie entsteht. In keinem Rechtsstaat ist es ein vernünftiges Ziel, die Verwaltung nach dem „Querschnitt der Gesellschaft“ zusammenzusetzen. Mitglieder arabischer Großclans, Salafisten, Anhänger der Muslim Supremacy-Ideologie und Schulabbrecher gehören in Berlin durchaus zu Stadtgesellschaft. Auf Verwaltungsposten will sie trotzdem kein normaler Bürger sehen, also der Kunde und Finanzier des öffentlichen Dienstes. Beamte müssen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das trifft für etwa 520 000 Einwohner der Stadt nicht zu.

Was wie ein Zugeständnis klingt („weiche Quote“), ist in Wirklichkeit Rücksicht auf ein Relikt namens Grundgesetz. Solange sich die oben zitierten Artikel 3 und 33 dort so wie zitiert finden, scheitert eine direkte, also harte Bevorzugung noch an den Gerichten. Die rot-grüne Regierung von Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen hatte 2016 versucht, mit einem „Frauenförderungsgesetz“ dagegen anzurennen. Darin hieß es, Frauen seien bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht nur bei gleicher, sondern „wesentlich gleicher“ Qualifikation zu bevorzugen. Das Oberverwaltungsgericht NRW beurteilte die nach dem neuen Gesetz vorgenommenen Einstellungen als rechtswidrig, der CDU-geführten Nachfolgeregierung blieb 2017 gar nichts anderes übrig, als den Versuch der Verfassungsunterminierung wieder zu kassieren, deren Urheber unvorsichtigerweise den zweiten vor dem ersten Schritt unternehmen wollten.

Staatsministerin Widmann-Mauz:
„Der Begriff Migrationshintergrund ist nicht mehr zeitgemäß"
Auf den ganz wesentlichen Unterschied zwischen Frauen- und Behindertenförderung bei gleicher Qualifikation einerseits und einer gleichen Praxis für Bewerber mit Migrationshintergrund geht Tekkal nicht ein, wahrscheinlich deshalb, weil hier der Kern des Problems liegt: Dass die dem Grundgesetz bekannten Geschlechter sich angemessen in der staatlichen Verwaltung wiederfinden, ist ein vernünftiges Ziel (wobei es heute schon in den öffentlichen Diensten vieler Bundesländer eine Frauenmehrheit gibt). Die bevorzugte Einstellung von Behinderten bei gleicher Qualifikation soll reelle Nachteile ausgleichen. In beiden Fällen, Geschlecht wie Behinderung, handelt es sich um individuelle Merkmale. Der „Migrationshintergrund“ stellt dagegen auf ein überindividuelles Merkmal ab: die Herkunft. Über die Chancen bei der Einstellung soll also mitentscheiden, woher die Eltern des Bewerbers kommen. Aus Bürgern werden damit Angehörige von Kollektiven, denen sie durch Geburt angehören. Hier liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen Bürgergesellschaft und identitätspolitisch geformter Gesellschaft, zu der viele Aktivisten in den USA und Europa als neuer Verheißung aufbrechen wollen: In der Bürgergesellschaft genügt als Identität der Name. Eine Person ist Bürger, darüber, wie er sich sonst zuordnet, politisch, religiös und anderweitig, und was er von dieser Zuordnung nach außen zeigen will, entscheidet er selbst. In der neuen Identitätswelt besteht die Gesellschaft aus Kollektiven, aus modernen Stämmen. In diesem Neotribalismus entscheidet die Herkunft über Zuordnung und Platz. Wahrscheinlich ahnen die Autoren und Agitationsredner des Berliner Quotengesetzes dunkel, an welche historische Gründe sie damit rühren. Anders lässt es sich kaum erklären, dass Breitenbachs Gesetzentwurf sich hilfsweise mit einer Selbstzuschreibung eines Migrationshintergrundes begnügt. Davor, im Berlin des Jahres 2021 Ahnentafeln einzufordern, scheuen die Progressisten der Hauptstadt offenbar noch zurück.

Hoch interessant wird das Welt-Interview, wenn Tekkal auf die Gründe für die Herkunftsquotenregelung zu sprechen kommt:

„Bei der Polizei liegt er höher, bei 38 Prozent“, so Tekkal, ohne darauf einzugehen, dass dieser Anteil, siehe oben, schon über dem in der Allgemeinbevölkerung Berlins liegt. Stattdessen folgt die bemerkenswerte Argumentation: „Davon profitieren alle. Wenn ein Straftäter mit Zuwanderungsgeschichte auf einen Polizisten mit Zuwanderungsgeschichte trifft, dann greift auch das Argument nicht mehr, dass er diskriminiert wird und angeblich das ganze System rassistisch ist.“

Wer behauptet denn überhaupt, dass „das ganze System rassistisch ist“? Ausschließlich die Trommler der Identitätspolitik selbst – ohne den Hauch eines Beleges. Im Gegenteil, ein 38-Prozent-Anteil bei der Polizei widerlegt ja gerade einen immanenten Rassismus in der Verwaltung. Aber es handelt sich ja, wie wir aus einer nichtendenwollenden Flut von Interviews, Leitartikeln und Papieren von NGOs erfahren, um „strukturellen Rassismus“, dessen Eigenschaft ebenso wie der „strukturelle Sexismus“ darin besteht, dass er ohne konkreten Nachweis auskommt, weshalb jeder, der nach Beweisen fragt, als „Leugner“ gebrandmarkt werden kann.

Tekkals Argumentationsführung verdient eine genauere Würdigung, weil sie prototypisch ist. Es müssen also mehr Personen mit eigener oder geerbter „Zuwanderungsgeschichte“ in die öffentliche Verwaltung, um dadurch die Verschwörungstheorie von einem „strukturellen Rassismus“ zu widerlegen. Oder konkreter: damit ein Straftäter „mit Zuwanderungsgeschichte“ sich durch seine Verhaftung nicht diskriminiert fühlt. Nicht er muss eine Diskriminierung glaubhaft machen, sondern der Staat muss sie nach dieser Ideologie präventiv widerlegen, indem er Herkunft zum positiven Einstellungsmerkmal in der Verwaltung erhebt.

Diese Forderung nach Beweislastumkehr ist genau so gemeint. Ein Stück weiter bekräftigt Tekkal sie ausdrücklich: „Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir gerade auf die jungen männlichen Migranten schauen, denen nicht gerade die Herzen zufliegen. Es besteht die Gefahr, dass sie sich abwenden und gegen die Gesellschaft richten. Wir können uns aber nicht einen Einzigen leisten, der uns die Rote Karte zeigt. Es geht darum, die Menschen einzubinden. Wir profitieren davon, wenn die Menschen mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“

Auch das muss man zweimal lesen. Wen sie mit den „jungen männlichen Migranten“ meint, denen „nicht gerade die Herzen zufliegen“, ahnen die einen oder anderen Leser schon, selbst ohne tiefere Berlinkenntnisse. Es geht eben nicht um den Berliner mit Schweizer Mutter. Nach der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty durch einen islamischen Täter erlebten viele Lehrer an Berliner Schulen (und anderswo) ausdrückliche Beifallsbekundungen von muslimischen Schülern, andere weigerten sich, an einer Gedenkminute teilzunehmen. „Junge männliche Migranten“, um Tekkals Formulierung einmal zu gebrauchen, gingen in Neukölln auf die Straße – nicht, um gegen den Mord zu protestieren, sondern gegen die Maßnahmen des französischen Staates zur Eindämmung des politischen Islam. Ein syrischer Migrant organisierte auf der Sonnenallee einen Aufzug, bei dem er eine gefesselte Person mit Macron-Maske und blonder Perücke hinter sich her zerrte und symbolisch mit dem Gürtel schlug. Der Syrer gehörte übrigens zu den vielen, die nach 2015 unter dem Etikett „Schutzsuchender“ einreiste. Die Frage, warum diesen jungen Migrantenmännern die Herzen zumindest außerhalb des woken Medien-Polit-Milieus nicht so zufliegen, erörtert Tekkal nicht. Und die Welt fragt auch nicht danach.

Berliner Testballon
Die Forderung nach einer Migrantenquote zielt auf eine Änderung des Grundgesetzes
Ungestört von Einwürfen erläutert die Publizistin ihr Rezept zum Umgang mit einer Gruppe von Leuten, der sie attestiert, es bestünde die Gefahr, dass sie sich „gegen die Gesellschaft richten“. Was suchen sie dann eigentlich in dieser Gesellschaft? Statt ihnen genau das zu bestellen: Regeln befolgen oder raus, soll die Rekrutierungspolitik für Staatsdiener nach Tekkals Vorstellung den Zweck erfüllen, diese Gruppe durch Angebote zu besänftigen. Der Staat soll also Bedienstete nicht in erster Linie einstellen, um fähige Juristen, Verwaltungsfachleute und Polizeibeamte zu bekommen, sondern um zu verhindern, dass sich eigentlich schon halb oder dreiviertelabgewendete Gruppen ganz vom Staat „abwenden“. Das Bekenntnis des Einzelnen zum Grundgesetz ist für sie also nicht mehr die Voraussetzung für ein einigermaßen zivilisiertes Zusammenleben im Allgemeinen und eine Grundbedingung im Besonderen, wenn jemand in den öffentlichen Dienst strebt. Sondern es wird zum Tauschobjekt: gegen eine Quotierung nach Herkunft könnten bestimmte ethnisch definierte Kollektive eventuell dem Gedanken nähertreten, das Grundgesetz anzuerkennen.

Hier kommen Vordenkerinnen wie Tekkal dem Gesellschaftsbild der SPD-Politikerin Aydan Özoguz schon ziemlich nah, die bekanntlich meinte, in Zukunft sollten die Bedingungen „unseres Zusammenlebens“ täglich neu ausgehandelt werden. Einen besonderen Akzent erhalten die Ausführungen Tekkals durch die Formulierung: „Wir können uns aber nicht einen Einzigen leisten, der uns die Rote Karte zeigt.“ Migranten sind für sie also nicht Mitspieler auf dem Gesellschaftsfeld, sondern Schiedsrichter, die uns die Rote Karte zeigen, also einen Regelverstoß ankreiden. Wieso wir uns das nicht leisten können, bleibt unausgeführt. Interessanterweise verkündet Tekkal auch: „Die Leitlinien verlaufen nicht entlang von Religion und Herkunft. Es ist eine Wertefrage, wo diese Beamten stehen. Davon profitiert letztlich die ganze Gesellschaft.“

Warum soll sich jemand als Bürger eines Verfassungsstaates empfinden, wenn er Aufmerksamkeit und Aufstieg vor allem als Angehöriger eines ethnischen Kollektivs erfährt? Diesem Kollektiv wird dann seine Loyalität erst Recht in erster Linie gelten.

Die Aktivistin Tekkal fordert also eine Einstellung nach Herkunft, sogar noch mit Quote bewehrt, dann soll es aber plötzlich nicht mehr um Herkunft gehen, sondern um eine „Wertefrage“. Wären das Grundgesetz und die Bürgergesellschaft tatsächlich ihr Maßstab, dann bräuchte sie die Herkunftsquote nicht nur nicht, sondern müsste begreifen, dass diese Art Identitätspolitik den Bürger- und Verfassungsstaat unterminiert und zerstört. Ihre ständigen Widersprüche und Luftlöcher in der Argumentation fallen Tekkal offenbar nicht auf. Dem Welt-Interviewer genau so wenig.

Wie oben schon erwähnt steht die junge Frau nicht den Linken und Grünen nahe, sondern nach eigenen Angaben der CDU. „Ich glaube aber nicht, dass man gegen Strukturen sein kann, die den Querschnitt der Gesellschaft abbilden“, meint sie: „Die bürgerlichen Parteien müssen sich überlegen, wie sie da mitkommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen, die sich nicht für diese Fragen öffnen, einen Wettbewerbsnachteil haben.“

Doch, man kann sehr gut gegen eine identitätspolitische Gesellschaftszerstörung sein. Interessant sind ihre Sprechbilder: „Bürgerliche Parteien“ müssen also „da mitkommen“, sie müssen Anschluss halten an eine identitätslinke Avantgarde, die den Takt schlägt. Das fügt sich bestens in die Rhetorik von den „Vorreitern“, von „progressiver Politik“, der man beziehungsweise wir nicht allzu weit hinterherhinken dürfen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Was an Parteien noch bürgerlich sein soll, deren Aufgabe dann darin besteht, Nachhut der linken Avantgarde zu spielen, bliebt in dem Welt-Gespräch zwar offen. Aber exakt so, das als Fußnote, begreift ja Angela Merkel längst ihre Funktion: Die Funktionäre und Mitglieder ihrer Truppe systematisch hinter den Cheerleadern der neuzeitlichen, mal identäts-, mal klimapolitisch drapierten Linken hinterherzutreiben. Barack Obamas Formel leading from behind bekommt da eine ganz eigene und authentische Bedeutung.

„Zentrale Bereiche sind noch sehr weiß“
Die Rufe nach Migrantenquoten
Einen wirklichen Wettbewerbsnachteil hätte natürlich keine Partei, die den Bürger- und Verfassungsstaat verteidigen und, um die Formulierung Tekkals einmal umzudrehen, deren Feinden die Rote Karte zeigen würde. Dazu ist sein Modell einfach zu erfolgreich und überzeugend. Übrigens auch für etliche Migranten, die heilfroh sind, dem tribalistischen Hexenkessel in Syrien oder anderswo entsprungen zu sein. Bisher gibt es keine Umfragen dazu, ob erfolgreiche und bestens integrierte Migranten, die die Verhältnisse im Libanon, Syrien und Nigeria aus eigener Anschauung oder von ihren Eltern kennen, sich tatsächlich in nennenswerter Zahl danach verzehren, dass ihre neue Heimat jetzt ebenfalls identitätspolitisch ausgerastert wird, dass es auf einmal auch in Wilmersdorf eine Rolle spielen soll, wer die Eltern des Beamten sind – und im nächsten Schritt, ob es sich um einen Sunnit, Schiit, Jeside, Christen oder Agnostiker handelt. Zu den entschiedenen Gegnern der Berliner Quote zählt übrigens Timur Husein, Rechtsanwalt und Vorsitzender der CDU in Kreuzberg.

Der Wettbewerbsnachteil bestünde also nicht wirklich. Aber er kann organisiert werden, und zwar mit den agitatorischen Stichworten, die Tekkal gleich mitliefert. Am effizientesten wirkt das Knüppelwort rassistisch. Genau das geschieht ja auch andernorts politisch und medial, vorzugsweise durch Aktivisten und angebliche Unterstützer, die im Umfeld der CDU auftauchen, um dort exakt die gleichen Satzbausteine zu platzieren wie ihre Verbündeten in den anderen Parteien. Diese Querstruktur passt auffällig gut zu der opaken Organisation „Brand New Bundestag“, einer eins zu eins nach dem Vorbild „Brand New Congress“ in den USA kopierten Truppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „überparteilich“ Jungpolitiker zu casten wie Mitglieder von Musikbands, und sie zum Erfolg zu „coachen“, wenn sie die „progressive Inhalte“ vertreten. Es muss sich also niemand wundern, wenn er künftig noch mehr ähnliche Köpfe von Linkspartei bis CSU sieht, die praktisch identische Argumentationen abspulen.

Möglicherweise überschaut eine Düzen Tekkal die Konsequenzen ihrer Forderungen nicht. Vielleicht ist ihr auch nur die Frage zu anstrengend, warum in Berlin das miserable staatliche Schulsystem so viele schlecht gebildete Jugendliche aus arabischen und türkischen – nicht ostasiatischen – Einwandererfamilien produziert, also Gesellschaftsmitglieder, die von vorn herein keine Chance auf ein zweites Staatsexamen haben. Und warum so viele den Pass ihres Herkunftslandes behalten möchten, was bedeutet, dass sie schon die Voraussetzungen für eine Beamtenlaufbahn nicht erfüllen. Vermutlich laufen die nächsten Vorschläge der Gesellschaftstransformierer darauf hinaus, diese Restriktionen auch noch abzuschaffen, weil wir alle davon profitieren.

Es geht aber um etwas anderes und Grundsätzliches. Die Gesellschaften des Westens gelangten im 18. und 19. Jahrhundert zur Hochblüte, weil sie Bürgergesellschaften wurden und den Tribalismus bis auf wenige Reste hinter sich ließen. Sie waren erfolgreich eben deshalb, weil in den besten Zeiten in der deutschen, französischen und den Verwaltungen anderer Staaten sich niemand dafür interessierte, ob der Beamte Protestant oder Katholik war, Jude oder Agnostiker, ob seine Familie seit zehn Generationen in der Stadt siedelte, oder ob er zugewandert war. Entscheidend war seine Loyalität dem Ganzen gegenüber.

Der Schriftsteller und Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt erzählt in seiner Autobiografie „Über die Flüsse“, wie er, deutscher Jude aus Hamburg, in Savoyen vor dem NS-Regime versteckt, nach 1945 zum naturalisierten Franzosen und Staatsbeamten wurde. „Nicht ‚Verwurzelung’ war von Bedeutung“, schreibt Goldschmidt, „sondern die Wahl, die jemand getroffen hat. Die Naturalisierung ist nämlich ein Akt des Wollens, ein ausdrücklicher Vertrag, der beide Parteien aneinanderbindet.“ Goldschmidt, geboren 1928, wurde zum Patriot eines laizistischen Staates, der keine andere Identität anerkannte als die des französischen Bürgers, eines Staatsmodells, das sich jetzt in einem wahrscheinlich finalen Abwehrkampf gegen seine mächtigen Gegner befindet.

Migrantenquoten
Kommt die Quoten-Gesellschaft?
Dafür, dass so viele arabische und afrikanische Staaten nur schlecht Anschluss an die Moderne fanden, anders als ostasiatische Länder, gibt es viele einzelne Faktoren, aber einen übergreifenden Grund: Tribalismus. Das, was die westlichen Gesellschaften unter vielen Opfern hinter sich gelassen hatten, wird ihnen jetzt von toxischen Aktivisten als ultimativer Fortschritt angedient. Identitätspolitiker aller Schattierungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie das globale Misserfolgskonzept schlechthin, den Tribalismus, wieder in die Gesellschaften hämmern, die ihn überwunden haben. Sie tragen einzig und allein dort ihre Quotenideen vor. Niemand von ihnen kam bisher auf die Idee, Quoten für Christen in Nigeria zu fordern oder Strukturen beispielsweise in Jordanien aufzuknacken, wo die Bevölkerung zu 92 Prozent aus sunnitischen Muslimen besteht. Das Ziel der Identitätspolitiker und ihrer mitunter vielleicht naiven Nachbeter besteht darin, die weltweit einzige zivile Gesellschaftsform abzuräumen – die Bürgergesellschaft. Sie betätigen sich als Kurpfuscher, die der Gesellschaft eine imaginäre Krankheit einreden, gegen die sie als Arznei real wirkendes Gift verschreiben.

Alles entscheidet sich daran, ob die Mehrheit der Bürger dieses Gift schluckt. Wie bei jedem Gift gibt es keinen sinnvollen Kompromiss, der darin besteht, ein bisschen davon zu sich zu nehmen. Im Gegenteil: ein schluckweise verabreichtes toxisches Mittel wirkt besonders gut. Niemand sollte sich täuschen: die angebliche Medizin ist Gift, die politische Suppe, in der sie schwimmt, soll der Öffentlichkeit genau so heiß eingeflösst werden, wie sie gekocht wird.

Wenn die Bürger zu schwach sind, ihre Zivilisation zu verteidigen, und sich in einen Neotribalismus treiben lassen, dann werden sie erst recht zu schwach sein, um je wieder aus der Stammesgesellschaft herauszufinden. Tribale Gesellschaften funktionieren auch mit Google und IPhone. Es verschwindet nur der Bürger.

Anzeige
Die mobile Version verlassen