Ich bin Pädagogin und lebe auf dem Land. Damit befinde ich mich auf der Insel der Seligen, denn hier gibt es die Natur noch vor der Tür. Dass es mir und meiner Familie gut geht, ist also vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich nicht in München Innenstadt wohne, auch nicht isoliert alleine, sondern Familie habe und sogar ein Pferd, das ich immer im Lockdown besuchen durfte, ohne als Lockdownbrecherin bestraft zu werden. Dennoch bin ich nach 10 Monaten Corona ermüdet und desillusioniert.
Mein Sohn hat das dritte Semester Onlineunterricht. Die Uni kriegt dies selten gebacken, häufig warten die Studenten bis zu 60 Minuten darauf, dass die Vorlesung losgeht, da die Dozenten es immer noch nicht geschafft haben, sich adäquat in die Materie einzuarbeiten. Das, was so ein 20jähriger Kerl eigentlich machen sollte, nämlich auf dem Campus Freunde treffen, sich austauschen mit anderen Studenten, Lerngruppen bilden, Mädchen kennenlernen, gemeinsam Sport machen, mal in der Kneipe gemeinsam abhängen, alles Fehlanzeige… Es ist traurig zu sehen, dass er in der freien Zeit vor allem Computerspiele zockt. Und morgens im Bett seine Vorlesung hört. Weil etwas anderes gar nicht möglich ist. Nicht einmal die Bibliotheken haben offen, wo man sich mal ein Buch holen könnte. Irgendeinen doofen Krimi, den man nicht kaufen mag, aber der für Ablenkung gut ist.
Wir versuchen von zuhause aus unseren Job zu machen. Wenn ich es nicht mehr aushalte, gehe ich zum Pferd. Und bin dankbar, dass ich wenigstens diese Ausweichmöglichkeit habe. Andere Hobbies, das Spielen im Orchesterverein, findet auch nicht mehr statt.
Wenn ich mit anderen rede, so sehe ich Verzweiflung bei meiner Friseurin, Hoffnungslosigkeit bei unserer Gastronomie, Ermüdung bei den Eltern, Wut bei den Kids, Unverständnis bei meinem Arzt. Ja, auch der kapiert die Lockdownmaßnahmen nicht. Ich war bislang zweimal in Quarantäne, Test negativ, mein Sohn einmal, Test selbstverständlich auch negativ. Wir werden vom Gesundheitsamt rumkommandiert, dagegen ist der Ton bei der Bundeswehr Ammensprache. Ich muss mir von einem 25jährigen Hiwi im Gesundheitsamt sagen lassen, was ich alles nicht darf. Aber die Mitteilungen über meine Quarantäne bekam ich grundsätzlich 14 Tage nach telefonischer Anordnung der Quarantäne schriftlich per Post. Massentests der Schulen werden so verschleppt, dass die Kinder tatsächlich 3 Wochen in Quarantäne sind statt der geforderten 14 Tage. Wie stellen sich die Verantwortlichen das vor, Kinder und Jugendliche in der Hochzeit ihres Bewegungsdrangs in vier Wände einzusperren. Keine Eltern fanden das angemessen. Aber dann gibt es noch die hysterischen Eltern, die ihre 12jährigen Kinder wegen Quarantäne 14 Tage ins Zimmer sperren. Leute, das ist Kindswohlgefährdung.
Es sind meine Kinder, die das bezahlen müssen, und zwar auf mehreren Ebenen. Auch Kinder und Jugendliche haben Entwicklungsaufgaben, die sie erfüllen müssen. Und es ist kein Argument zu sagen, dass die Nachkriegsgeneration auch unter massiven Einschränkungen leiden musste. Ja, das ist richtig, aber die hatten auch ihr Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Und ich will diese Traumatisierungen nicht für meine Kinder, so ohne Not. Kann das niemand verstehen? Und im Gegensatz zu den ganzen wunderbaren Statistiken der Regierung ist dies die Meinung, die ich in meinem Umfeld höre. Was ich aber auch merke, ist wie müde wir des Ganzen sind. Es ist wirklich ein Fehler, Politiker zu wählen, die niemals selbst als Freiberufler Geld verdienen mussten oder Familie haben, auf die man Rücksicht nehmen muss. Und ja, mir geht es gut, sehr gut. Habe ich deshalb kein Recht auf Kritik? Und ich leide mit all den Eltern, die ihre kleinen Kinder betreuen müssen, mit denen, die nicht finanziell abgesichert sind, mit den Gewerbetreibenden, die Angst haben pleite zu gehen, mit denen, die auf engen Raum in der Stadt leben.
Und ich bin sehr, sehr wütend.
Der Name der Leserin ist der Redaktion bekannt.