Tichys Einblick
Ende einer Dienstfahrt

Angela Merkel: Aufbrausen in der Dämmerung ihrer Kanzlerschaft

Immer ausfälliger wird Angela Merkel, immer unwilliger im Auftreten. Was so machtvoll daher kommen soll, ist ein Zeichen der Schwäche: Längst macht man sich bereit für einen neuen Kanzler und beginnt, ihre Fehler zu benennen.

picture alliance / AA | Abdulhamid Hosbas

Was für eine indiskrete Meldung aus dem Inneren der partiellen Finsternis dieser nicht enden wollenden Kanzlerdämmerung: Angela Merkel hat in der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten – oder muss man sagen mit „ihren“ Ministerpräsidenten? – die Nerven verloren.

Die Bundeskanzlerin hatte einfach nach stundenlangen Debatten keine rechte Lust mehr auf dieses demokratisch-föderale potemkinsche Theater, sie hat auf den Tisch gehauen, sei „extrem genervt“ gewesen und hätte die Übertragung kurzfristig für 45 Minuten abgebrochen. Diese hemdsärmlige Gutsherrenart allerdings wäre einem Helmut Kohl eher würdig gewesen – Merkel wird sich erinnern ­– als heute der Bundeskanzlerin.

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Was war passiert? Die Corona-Schalte mit den Länderchefs war am Thema Schulen über kreuz. Mehrere Länder wollten weitere Verschärfungen bei den Schulen nicht mittragen. Und dann war es Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die mit Merkel aneinandergeraten war.

Laut Teilnehmern soll Merkel Schwesig erwidert haben: „Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle oder Arbeitnehmerrechte missachte.“ Wohlgemerkt, hier unterstellt die Bundeskanzlerin Länderchefs, sie würden ihr unterstellen mit ihren Maßnahmen Kinder quälen zu wollen. Der Spiegel schreibt immer noch fast huldvoll, Schwesig hätte „den Frust abbekommen“, als wäre so ein Wutausbruch zwar bedauerlich für Manuela Schwesig aber doch ein in Kauf zu nehmendes, irgendwie doch bewundernswertes Naturereignis.

Widerspruch wird nicht mehr geduldet in der Endphase der Kanzlerschaft, noch weniger, wo die große alte Dame schon ihren Garten für die Nachwelt bestellt. Da wird unvermittelt sogar eine Ministerpräsidentenrunde dank Corona zum inneren Zirkel der Kanzlerin hochgepimpt, eine Gefolgschaft, von der ein Helmut Kohl nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Später in der Pressekonfrenz eine Explosion des Größenwahns dieser merkelschen Supernova in einer noch größeren, aber wohl noch lange nicht in ihrer größten Ausdehnung, als die Kanzlerin die Presse ebenfalls wie selbstverständlich mit einbezieht in ihren Einflußbereich und erklärt, es sei „nicht interessant, wie viel Impfstoff wir bestellt haben.“ Also sagt: Klappe halten, nächste Frage.

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Und letztlich gilt dann diese Ansprache auch dem gesamten Volk. Denn nicht nur die Länder-Chefs in der Videokonferenz, die Medien in der Pressekonferenz, gleich alle Bürger und Neubürger sind in der Zeit der Corona-Maßnahmen von Angela Merkel zur Gefolgschaft verdammt worden. Impfstoff? Uninteressant! Selbst noch gegenüber dem kanadischen Premierminister klagte die Kanzlerin per Telefon über diese Medien in Deutschland, die so ungeduldig mit ihr wären in Sachen Impfstoff. Präziser: Merkel beschwerte sich bei Justin Trudeau letztlich darüber, dass diese längst eingeparkte Presse plötzlich dicke Backen bekommt. Also sie erregt sich über das kleinste Hüsteln einer ihrer Politik gegenüber so folgsamen etablierten Presse.

Aber woher kommt das alles? Was ist das für ein brutzliges Verglühen einer viel zu langen Kanzlerschaft? Dazu muss man weiter zurückgehen bis zum Showdown zwischen Helmut Kohl und Angela Merkel:

Die Zeit schrieb von einen „Merkel-Putsch“, die FAZ nannte sie später „Die große Vorsitzende“ in Anlehnung an den ersten kommunistischen Führer Chinas und die Süddeutsche schrieb rückblickend und doppeldeutig von Merkels „Abschied vom Alten.“ Der Tagesspiegel fasste über die Ereignisse vor über 20 Jahren zusammen: „Merkel geht auf Abstand zu Kohl, Schäuble entfernt sich von Merkel.“ Und über allem stand der finale Vernichtungsschlag von Angela Merkel hinsichtlich Helmut Kohl. Wer wenn nicht sie müsste sich erinnern?

Ende 1999 hatte sich die damalige Generalsekretärin der CDU im Vorfeld einer Präsidiumssitzung der Partei mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von Helmut Kohl losgesagt. Und sie tat es mit Worten, die heute auf eine Weise wieder gegenwärtig klingen, wie es Angela Merkel noch 1999 für sich selbst in vielerlei Hinsicht nicht für möglich gehalten hätte:

„Vielleicht ist es nach einem so langen politischen Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen, sich völlig aus der Politik zruückzuziehen und den Nachfolgern, den Jüngeren, das Feld schnell ganz zu überlassen.“ Merkel stach damals nach mit dem Satz: „Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen.“

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Vielleicht später irgendwann, können man dann „wieder mehr als heute“ zu so jemandem wie Helmut Kohl stehen. Jetzt sei die Zeit der Wunden und Verletzungen, schrieb Angela Merkel als vergifteten Abschiedsgruß an den nicht Abschied nehmen wollenden Helmut Kohl. Und sie fragte sich, ob man diesen von ihr quasi final öffentlich formulierten Abgang Kohls, „dieses scheinbar Undenkbare als Treuebruch verteufeln oder als notwendige, fließende Weiterentwicklung (…) begreifen“ sollte.

Aktuell, wo so viele nach Amerika schauen und sich echauffieren, was Donald Trump in seinen letzten Tagen alles noch beschlossen und unterschrieben hat, wird gerne vergessen, dass das ein Problem vieler scheidender Mächtiger ist. Das gilt für das blutige Ende von Zwangsherrschaften noch mehr als für Abgewählte, aber schon Helmut Kohl setze zum Ende seiner langen Kanzlerschaft auf unumkehrbare Weichenstellungen, mit denen die Nachfolger dann leben müssten, „ob sie wollen oder nicht“, wie es der Tagesspiegel formulierte. Angela Merkel würde es heute nicht anders machen, heißt es weiter. Es sei allerdings „ebenso mutig wie überheblich, das Land und Europa so zu prägen.“ Überheblich sei der Gedanke der Unumkehrbarkeit auch bei Merkel. Allerdings glauben wohl selbst ihre ärgsten Kritiker bzw. die blauäugigsten Optimisten nicht daran, dass die Finanz- und Europapolitik, dass die Migrationspolitik und die Corona-Maßnahmenpolitik der Kanzlerin noch umkehrbar wären.

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Angela Merkel ist jetzt ganz der späte Helmut Kohl geworden – und sie ist in dieser Rolle bedingungsloser: Merkel will sogar noch den positiven Blick auf die Wiedervereinigung ihres Vorgängers ungeschehen machen: Die Spaltung des Landes war nie so groß, das Selbstbewusstsein und der Stolz auf das Eigene, auf die Nation nie so gering wie heute. Nein, nicht Merkel hat Kohl verwundet, die Wunden die Kohl bei Merkel geschlagen hat, sind tiefer als vermutet und nie richtig verheilt. Kohl stand zur Feier der Wiedervereinigung neben Willy Brandt in einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer. Merkel räumte später im Gegenzug diese Farben von den politischen Bühnen ab und entsorgte sie am Bühnenrand.

Dabei ist die ewige Kanzlerin viel mehr Erbin Helmut Kohls als ihr lieb sein kann. Die mitunter fast betulich wirkende Bundeskanzlerin ist zum lähmenden Koloss geworden. Sie ist zum „alten Schlachtross“ geworden. Hatte Helmut Kohl zuletzt noch die Währungsunion durchgepaukt, hat Merkel sich in der Person von Armin Laschet verewigt, der ohne ihre massive Mithilfe gar nicht zum Erbverwalter hätte aufsteigen können. Ansonsten ist Angela Merkel nun immer öfter „extrem genervt“. Aber selbst dieses Bekenntnis im „engen“ Kreis sickerte durch. Fehlt nur noch der „Verrat“-Schrei aus dem Mund der so quälend langsam sich Verabschiedenden.

Aber dieser Schrei wird mit einem Jubelschrei beantwortet. Auch wir kennen unseren Bert Brecht.

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