„Corona-Protestbewegung steht dem etablierten politischen System fern“ ist die Überschrift eines kurzen Berichts auf der Website der Universität Basel über die Studie: Corona-Maßnahmen und ihre Gegner in Deutschland und der Schweiz mit Online-Befragungen in Telegram-Gruppen von „Querdenkern“ zwischen dem 18. und 24.11.2020 (Autoren Professor Dr. Oliver Nachtwey, Dr. Robert Schäfer, Dr. des. Nadine Frei).
Wesentliche Feststellungen der Studie
„Die Bewegung der Coronakritiker … ist intern heterogen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass es sich mehrheitlich um gebildete Angehörige der Mittelschicht handelt. Es handelt sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter der Umfrageteilnehmenden beträgt 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur und 34 Prozent einen Studienabschluss. Letzteres ist höher als der schweizerische Durchschnitt von 29,6 Prozent und fast doppelt so hoch wie in Deutschland, wo 18,5 Prozent über einen Hochschulabschluss verfügen. Überraschend ist der hohe Anteil Selbständiger: Mit 25 Prozent ist er deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.“
„Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland haben 18 Prozent die Linke und 23 Prozent die Grünen gewählt. Der … AfD haben 15 Prozent ihre Stimme gegeben …“
„Charakteristisch für diese neue Bewegung ist eine starke Entfremdung vom politischen System und den etablierten Medien … Insgesamt weder ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich, teilweise sogar eher antiautoritär und der Anthroposophie zugeneigt …“
Aus dem Fazit der Studie
„Das Projekt der Moderne hat bei den von uns untersuchten Personen seine normative Anziehungskraft eingebüsst. Der normative Gehalt der Moderne, der durch ihre zentralen Versprechen – Aufstieg durch Leistung, Freiheit durch Demokratie, Gleichheit durch Rechtssicherheit, Wahrheit durch Wissenschaft, steigende Lebenserwartungen durch die Errungenschaften der modernen Schulmedizin oder ganz allgemein: Die Menschheitsgeschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit – gekennzeichnet war, hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Die Moderne legitimiert sich selbst stets dadurch, dass sie Kritik ermöglichte; doch genau dieses Element ist in den Augen der Querdenker:innen verloren gegangen.“
„Die Bewegung der Querdenker:innen kommt jedoch nicht einfach aus dem Nichts. In den letzten Jahren gab es bereits eine Reihe von Bewegungen – linke wie rechte – die sich jenseits tradierter Formen der Repräsentation verorteten. Zu ihnen können etwa die Montagsmahnwachen für den Frieden, Pegida und Occupy gezählt werden, anders als ausserparlamentarische Bewegungen, wie die Klimabewegung oder der Schweizer Frauenstreik, wo die Bewegungsakteure auf einen direkten Einfluss auf das Parteiensystem zielten und in vielen Fällen sogar mit ihm verwoben waren.“
„Im Umgang mit diesen Protesten ist es aus unserer Sicht wichtig, die Kritiker:innen der Corona-Massnahmen nicht einfach zu pathologisieren. Das ist zwar ver-führerisch und entlastend, hilft aber nicht wirklich weiter.“
Das Beste am Schluss
„Für den Soziologen Niklas Luhmann nahmen Proteste und soziale Bewegungen die Rolle des “Immunsystems” der Gesellschaft ein, das die Selbsterhaltung der Gesellschaft sichere. Man könnte allerdings auch die Perspektive umdrehen und – statt nur einen Umgang mit den existierenden Bewegungen zu suchen – einen Prozess der gesellschaftlichen Selbstreflexion beginnen und fragen: Was für eine Gesellschaft bringt derartige Bewegungen hervor, was sind ihre strukturellen Voraus-setzungen?“
Durch die ganze Studie zieht sich das Bemühen der Wissenschaftler, der in der Tat heterogenen Zusammensetzung der Gegner und Kritiker der Corona-Politik der Regierenden gerecht zu werden, ohne selbst die Schutzzone des Zeitgeists zu verlassen. In dieser Lage befinden sich täglich Millionen Berufstätige.
Hier die komplette Studie.