Tichys Einblick
Geschichten aus dem Lockdown

„Der Tod meines Nachbarn Hans“

Leserin Angelika Püschner ist froh, dass sie ihren Nachbarn vor dessen Corona-Tod noch einmal besucht hat - und sich nicht an den Aufruf der Kanzlerin gehalten hat.
Schicken auch Sie uns Ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen.

imago Images

Am 03.01.2021 starb mein Nachbar Hans im gesegneten Alter von 88 Jahren. Hans hatte schwere Vorerkrankungen, und zwar Parkinson und Hautkrebs. Er pflegte jahrelang mit Hilfe von Pflegerinnen aus Rumänien seine schwer demente Frau Käthe, die am 21.01.2020 starb. Trotz Erlösung für seine Frau war Hans sehr unglücklich und todtraurig über ihren Tod. Hans und Käthe hatten keine Kinder, sie lebten sehr bescheiden, gingen ihrem Beruf nach und pflegten im Ruhestand weiterhin ihr Haus und ihren Garten. Ihre Nichte Andrea kümmerte sich aufopferungsvoll um beide, damit ihnen das Altersheim erspart blieb. Die letzten Jahre habe ich immer darauf geachtet, daß ich meine Nachbarn zu Festtagen (Weihnachten, Nikolaus, Ostern, Geburtstage etc.) besuchte, man spürte immer, wie dankbar sie für diese Besuche waren und wie sehr sie sich freuten.

Geschichten aus dem Lockdown
Wer tröstet Kinder, denen man das Rodeln verbietet?
Am 17.10.2020 hat Hans meine Mutter (81 Jahre) und mich explizit zu seinem Geburtstag eingeladen. Bei Kaffee und Kuchen verbrachten wir einen wirklich wunderschönen und im nachhinein einen sehr wertvollen Nachmittag bei ihm, wir waren zu sechst (Nichte Andrea, eine Schwägerin, Pflegerin Minna, meine Mutter und ich), wir erzählten von früher, auch Hans und wir haben häufig von ganzem Herzen gelacht. Es war eine wahre Freude zu sehen, wie sehr Hans seinen Geburtstag genoß, er hat sich nicht nur einmal sondern mindestens fünfmal bedankt, daß wir gekommen sind und wir sollen jederzeit wiederkommen.

Der Samstag, 17.10.2020, war genau jener Samstag als unsere Bundeskanzlerin mit einer Brandrede (Podcast) dazu aufrief, auf alle nicht notwendigen Treffen und Feiern zu verzichten. Als in den regierungsfreundlichen “Qualitätsmedien” dies die Runde machte, waren wir zunächst entsetzt und auch verunsichert, was wir jetzt machen sollen. Gehen wir zu unserem Nachbarn, der uns eingeladen hat, oder geben wir ihm einen Korb, weil es die Bundeskanzlerin so will?

Ich bin sehr froh, daß wir mit gesundem Menschenverstand entschieden haben und zu Hans gingen. Wenn er keinen Besuch haben wollte, wären wir wieder gegangen. Doch davon konnte, wie geschildert, gar keine Rede sein. Ich besuchte Hans nochmals am 07.12.2020 und brachte ihm und der Pflegerin Marcella ein kleines Nikolausgeschenk. Wie immer freute er sich riesig, als ich nach ca. 20 Minuten wieder gehen wollte, sagte er: “Gehst schon wieder, Du darfst gerne noch länger bleiben.” Was ich dann auch machte.

Geschichten aus dem Lockdown
"Ich fühle mich ausgebrannt"
Am 19.12.2020 wurde Hans in die Goldbergklinik in Kelheim mit einer Lungenentzündung eingeliefert, er wurde Corona positiv getestet. Er bekam Antibiotika und überstand die Lungenentzündung sehr gut. Am Montag, 28.12.2020, rief man bei seiner Nichte an, die samt ihrer ganzen Familie mit ihren Eltern in Quarantäne genommen wurde, ob Hans evtl. in den nächsten Tagen entlassen werden könnte. Am Dienstag verschlechterte sich sein Zustand jedoch, er hatte große psychische Probleme, es durfte ihn ja keiner besuchen. Man ließ dann in den letzten Tagen seine Nichte zu ihm, sie sagte, er war ganz klar bis zum Schluß, er wollte nicht mehr, es war sein Wille, zu sterben. Am 03.01.2021 schloß Hans gegen 21 Uhr für immer die Augen.

Er wurde 88 Jahre alt, in seiner Todesanzeige steht: “Als die Kraft zu Ende ging, war es nicht Tod, sondern Erlösung.” Am 08.01.2021 verließ seine Pflegerin Marcella sein Haus und mir wurde schmerzlich bewußt, daß nach fast 28 Jahren Nachbarschaft das Haus unserer Nachbarn Hans und Käthe das erste Mal leer war. Käthe und Hans fuhren nie in den Urlaub, sie waren immer Zuhause, hiermit bedanke ich mich bei beiden für die gute Nachbarschaft.

Was bedeutet der Tod von Hans nun in der “neuen Normalität”? Für die Politiker ist es ein wichtiger Toter, um mit hohen Todeszahlen, die immer schärfer werdenden Corona-Maßnahmen zu rechtfertigen. Für mich ist der Tod von Hans eine Erlösung.

Soweit ein Lockdown-Erlebnis von mir, ich könnte ein Buch schreiben. Es ist unfassbar, wie unsolidarisch die Gesellschaft geworden ist. Solidarität ist “purer Egoismus”, wer wirklich solidarisch ist, hat einen weiten Blickwinkel und nicht nur eine gewünschte Sichtweise. Eine Arzt eines Gesundheitsamtes sagte kürzlich als Privatmann zu mir, als Beamter dürfte er dies nie sagen, er deutete auf den Wald: “Wer stirbt zuerst? Alles Schwache und Alte, das hat die Natur richtig so eingerichtet. Es ist absolut unverständlich, wie unsere Kinder von der heutigen Politik benachteiligt werden.“

Die mobile Version verlassen