Bevor es hier um Volker Kauder (CDU) gehen soll, der gerade geäußert hat, die illegalen Migranten auf den griechischen Inseln und der Balkanroute seien ein „Ebenbild Gottes“ kurz eine Meldung, die damit nur indirekt zu tun hat, aber dafür umso eindringlicher ist. Denn auch hier geht es um den Nächsten, um Menschenliebe, um Humanität, um Ebenbilder und um die in zivilisierten Gesellschaften notwendige Zuwendung gegenüber Mitbürgern – in diesem Fall sogar konkret um Liebe:
So einfach wie ergreifend und in den sozialen Netzwerken zehntausendfach gelikt und geteilt: Ein Mann rasiert seiner Frau den Kopf, weil diese erkrankt ist. Als er damit fertig ist, führt er den Elektorrasierer zur Überraschung der Frau an seinen eigenen Kopf und teilt damit als gesunder Mensch symbolisch und sichtbar das Leid seiner erkrankten Frau. Für so eine univerelle Geste des Mitgefühls braucht es keinen Gott. Sie ist im Menschen selbst angelegt, ob nun als Ebenbild Gottes theolgisch interpretiert, als Wunder der Natur oder beides.
Der langjährige ehemalige Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien im Bundestag, Volker Kauder, hat sich jetzt zur Situation auf den Migrationsrouten im Balkan und auf den griechischen Inseln geäußert. Was sich dort in Lagern abspielen würde, sei „eine Schande für Europa“. Dass diese Lager immer wieder angezündet werden, dass sich die Menschen weigern, in feste, bessere Unterkünfte umzuziehen, dass sie einfach nur nach Deutschland wollen, interessiert Kauder nicht. Seine Beurteilung der Lage entspricht wohl jener standhaften Weigerung, einen Pullfaktor anzuerkennen, wo Migranten in marode Schlauchboote steigen, sich fahrlässig in Seenot bringen, um von Nichtregierungsorganisationen „gerettet“ zu werden. Aber die wenigsten aus der vor Libyen aus der selbstverschuldeten Seenot Geretteten sind Libyer. Sie flüchten also auch nicht aus ihrer Heimat vor Folter und Vergewaltigung in Libyen, sie sind meist aus dem afrikanischen Hinterland erst nach Libyen gekommen mit dem Ziel, nach Deutschland zu gelangen mit Hilfe der Schlepper und Schlepperhelfer vor der Küste in ihren Schiffen.
Für Kauder sind die Zustände in den Lagern in Bosnien und auf Lesbos „eine Schande für Europa“. Der evangelikale Deutsche mit einem Hang zur katholischen Liturgie, der Fotografien persönlicher Begegnungen mit dem Papst im Büro gerahmt und aufgehängt haben soll, sagte über Migranten in der aktuellen Zeit-Beilage Christ und Welt: „Jeder Flüchtling ist Ebenbild Gottes, und jeder Flüchtling muss so behandelt werden, wenn er bei uns ist.“
Muss behandelt werden wie Gott? Wir fragen einen Muslim, was er davon hält, wie ein Ebenbild des christlichen Gottes behandelt zu werden und was er glaubt, was seine Glaubensbrüder und -schwestern davon halten. Ihm gefällt die Idee. Ob der Gott der Christen identisch ist mit dem der Muslime, sei eine nicht enden wollende Diskussion, sagt er, eine Debatte, deren unterschiedliche Auffassungen von der Intensität des Glaubens bestimmt werden. Er glaubt, dass es nur den einen Gott gibt. Auch Jesus sei ja ein Prophet im Koran.
Und wir fragen einen deutschen Theologen. Der empfindet Kauders Vorstoß zunächst einmal als Framing, als Euphemismus. Die Botschaft Kauders würde sich an Kritiker der Zuwanderung richten, auch an Rechte, bzw. an Christen in diesen rechten Kreisen, die er bei ihrem Glauben für seine Sache packen will.
Allerdings könne der Gott der Christen gar nicht der gleiche sein wie jener der Muslime, sagt der Theologe. Wenn Jesus von Gott als seinem Vater spricht, würde diese Selbstoffenbarung fundamental dem islamischen Verständnis widersprechen. Hier könne es keinen Konsens geben, weil damit die wichtigste Säule des Christentums berührt ist. Die Fleischwerdung ist nicht kompatibel. Für den Theologen sind die beiden Konzepte von Gott völlig unvereinbar.
Aber was will dann der Christ Kauder? Er framt. Er heult mit den Wölfen und will dabei Lamm sein. Die Behauptung, die Migranten – die Kauder übrigens wider besseres Wissen weiter alle „Flüchtlinge“ nennt – seien ein Ebenbild Gottes ist deplatziert schon deshalb, weil das keine Kategorie weltlicher Politik sein kann und darf. Und weil es letztlich jeden Christen in Deutschland nötigen will.
Volker Kauder nötigt seine Glaubensbrüder und -schwestern, die sich Gedanken machen über den Umgang mit Menschen. Solche zum Beispiel, die sich auf Lesbos oder in Bosnien selbst in eine denkbar schlechte Situation gebracht haben, um illegal nach Deutschland zu kommen.
Volker Kauder hat aus über fünf Jahren Massenzuwanderung nach Deutschland nichts gelernt. Schlimmer: Seine Intervention zielt darauf ab, noch mehr Menschen nach Deutschland zu holen als „Ebenbild Gottes“, so wie nach dieser Lesart allerdings weit über sieben Milliarden Menschen nach christlicher Lesart Ebenbilder Gottes sind. Menschen, denen es, jedenfalls gemessen am Wohlstand, überwiegend weniger gut geht als Deutschen. Vielen sogar sehr viel weniger gut.
Der linke Journalist Jakob Augstein hat einmal sinngemäß gesagt, dass man es einem Afrikaner nicht verdenken könne, nach Deutschland kommen zu wollen, wenn der damit automatisch sein Leben um Jahrzehnte verlängern könnte. Ja, diese Welt ist nicht gerecht. Aber auch Deutschland arbeitet seit Gründung der Bundesrepublik daran, seinen wachsenden Wohlstand auch dafür einzusetzen, Entwicklungshilfe zu finanzieren und also die Welt gerechter zu machen.
Private christliche Organisationen sammeln seit Jahrzehnten Geld beispielsweise mit der Aktion „Brot für die Welt“. Man kann das für zu wenig halten. Aber man macht diese Welt keinen Deut besser, wenn man Menschen nach Deutschland lockt, weitere Pullfaktoren erzeugt, Christen nötigt, wie es Kauder getan hat, wo jeder Euro, den man in Deutschland aufwenden muss, diese Menschen zu versorgen, vor Ort ein vielfaches davon bewirken kann.
Warum haben sich 2015 so viele Menschen in Bewegung gesetzt? Auch weil der UNHCR aus bestimmten Gründen nicht mehr genügend Geld zur Verfügung hatte, es so zu einer Verknappung oder Halbierung der Zuwendungen gekommen ist. Das hat die Menschen faktisch auf den Weg in die EU und nach Deutschland getrieben.
All das weiß Volker Kauder. Hier jetzt von einem „Ebenbild Gottes“, gar von Schande zu sprechen, wie es im Übrigen EKD-Chef Bedford-Strohm schon vorgemacht hatte, ist Nötigung. Und es ist vor allem auch höchst unanständig denjenigen gegenüber, die sich oft schon seit Jahrzehnten darum bemühen, die Welt ein Stückweit besser zu machen ohne dafür Christen oder Muslime sein zu müssen. Viele beginnen damit in ihrer persönlichen Umgebung, es wird schon Früchte tragen. So wie das Video des jungen Mannes, der so ein eindrucksvolles Zeichen von Mitgefühl für seine Liebste abgelegt hat, anstatt anderen Vorwürfe zu machen für was auch immer. Echte Männlichkeit. Empathie und Mitgefühl. Die Anwürfe von Kauder gegen jedermann reichen dafür noch lange nicht.