Nein, es ist noch nicht der 1. April, noch lange nicht. Es ist Januar, und eine Nachrichtenagentur verbreitet folgenden Text:
„Nach einer verbotenen Gebetsstunde in einem Wohnhaus im niedersächsischen Emsland hat die Polizei den flüchtigen katholischen Geistlichen identifiziert. Es handle sich um einen Kaplan aus dem nordrhein-westfälischen Bochum, teilten die Beamten am Freitag in Lingen (Ems) mit. Die Polizei hatte am Dienstag nach einem Zeugenhinweis in Aschendorf einen heimlichen Privatgottesdienst im Wohnzimmer eines Wohnhauses aufgelöst. Dabei floh der Pfarrer. Nach Angaben der Beamten hatten sich 15 Gläubige im Alter von 53 bis 81 Jahren dort versammelt, wobei sie „eng an eng“ saßen und keinen Mundschutz trugen. Beim Eintreffen der Polizei hielt der Kaplan eine Predigt. Der Geistliche nutzte jedoch das anfangs noch übersichtliche Geschehen, um sich unerkannt zu entfernen.“
Illegale Messe! Pfarrer flüchtig! Tüchtige Polizei bekommt ihn nach heldenhaftem Einsatz zu fassen! Noch mal gutgefangen! Puuuuuh. Eigentlich kannte man solche Storys nur aus, sagen wir: China? Der Sowjet-Union? Aber nein, sie kommt aus dem aufrührerischen Dorf Aschendorf in der notorischen Unruheprovinz Emsland. Deutschland hat sich verändert. Die Polizei greift hart durch. Gegen Nähe, Mitglieder aus dem zweiten Hausstand, Nicht-Masken-Träger. Gut, es ist ihre Pflicht. Polizisten vollziehen, was der Gesetzgeber vorschreibt. Und doch: Der Ton der zitierten Polizeimeldung ist verdächtig. Man hört gerade den knurrenden Ton des rechthabenden Presse-Polizisten: Denen haben wir es mal gezeigt. Und bezeichnend für Deutschland im Jahr 2021: Viele Journalisten machen mit. Glauben Sie nicht? Hier Beispiel Nr. 2:
„llegaler Kindergeburtstag: Gäste verstecken sich im Bad
Hameln (dpa) – Die Polizei in Hameln hat einen Kindergeburtstag mit 30 Gästen aufgelöst. Um von den Beamten nicht entdeckt zu werden, schloss sich eine Frau mit fünf Kindern in der Toilette ein, wie ein Polizeisprecher am Mittwoch sagte. „Die anderen haben sich in Schränken versteckt.“ Nachbarn hatten sich am Dienstag bei der Polizei über den Kindergeburtstag beschwert.“ (Quelle: SZ)
Die Überschrift des Süddeutschen Zeitung gehört wirklich in das Pressemuseum, oder vielleicht auch nur in das Wörterbuch unmenschlicher, zumindest wirklich dummer Überschriften: „Illegaler Kindergeburtstag“. Können Geburtstage generell und die von Kindern im speziellen „illegal“ sein? Man ist eben geboren; und das Datum hat sich kein Geborener bislang selbst ausgesucht. Aber Selbstverständlichkeiten sind dabei, illegal zu werden. Was die Süddeutsche meint: Zu viele Kinder an einem Tisch. Aber dahinter steckt mehr als eine verunglückte Formulierung. Es ist eine Geisteshaltung. Sie fragt nicht mehr danach, ob sich tatsächlich jemand angesteckt hat; bekanntlich sind Kinder kaum gefährdet. Und wenn Opa oder Oma dabei waren: deren Verantwortung. Vielleicht ist ein Lächeln auf dem Gesicht des Enkels mehr wert als ein Dahinvegetieren im total kontrollierten und abgeschotteten Pflegeheim. Es ist deren Entscheidung, und sie findet im Privaten statt. Aber nichts ist mehr privat. „My home is my Castle“, die älteste Formulierung von Bürgerrechten: auf den Müll damit unter dem Jubel willfähriger Zeitungen und Staatsbediensteter im Homeoffice, die nicht mehr hinterfragen, sondern nur noch lobhudeln. Vermutlich weiß die Süddeutsche Zeitung sich in engster (also nicht räumlich, nur ideell) Übereinstimmung mit ihren letzten Lesern, den Braven, den Gesetzestreuen – und den Blockwarten:
„FAMILIE GEHT ZU VIERT SPAZIEREN – ANWOHNER RUFEN POLIZEI
Eine Familie in Stuttgart weckte bei Anwohnern Misstrauen, weil sie zu viert mit Mundschutz spazieren ging. Die Polizei wurde alarmiert.
Stuttgart – Dass die Polizei sie beim abendlichen Spazierengehen kontrollierte, kann eine vierköpfige Familie aus Stuttgart nicht fassen. „Wir gehören zu den wenigen, die alle Vorsichtsmaßnahmen zu 100 Prozent befolgen“, sagte die Tochter den Stuttgarter Nachrichten. Alle seien Corona-Risikogruppe, weshalb sie beim Spazierengehen Masken und an nicht allzu grellen Tagen Sonnenbrillen tragen. Ihr Aufzug erschien jedoch einem Anwohner so verdächtig, dass er die Polizei alarmierte.“ (Quelle: Echo24.de)
Schade, das war in Stuttgart. Sorry, Süddeutsche, dass wir bei Blockwartmentalität gleich an Dich gedacht haben. Bayern war immer schon die Ordnungszelle im Reich. Das zeigt sich auch jetzt:
„Bis zu 25.000 Euro für Ausflüge ins Berchtesgadener Land
Das Landratsamt untersagt touristische Tagesausflüge in den Landkreis Berchtesgadener Land. Die neue Allgemeinverfügung tritt am morgigen Mittwoch, 0 Uhr, in Kraft. Wer dagegen verstößt, muss mit bis zu 25.000 Euro Bußgeld rechnen. Das Verbot gilt zunächst bis Ende Januar.“ (Quelle: pnp.de)
Der Obersalzberg gehört jetzt wieder ganz allein dem … halt. Das geht zu weit. Die Zeit liegt lange zurück, in der die schönsten Ecken des Berchtesgadener Land für die braune Elite reserviert war. Vor allen Dingen: Auch die Taunus-Gemeinde, die Hügelchen rund um Frankfurt, sperrt ihre Straßen gegen Ausflügler. Die Frankfurter sollen in ihren Wohnlöchern bleiben – der Taunus gehört den Villenbesitzern. In keiner der Zeitungen von Süd über Mitte nach Norden, Ost oder West wird die Sinnhaftigkeit in Frage gestellt: Gibt es einen, auch nur einen einzigen Fall, dass ein Rodler sich angesteckt hat? (Nicht die Aprés-Ski-Gaudis.) Klar, auch auf der Piste stehen die Familien eng zusammen. Dürfen sie keinen Spaß mehr haben? Ist Bewegungsverbot wirklich ein Rezept gegen Krankheit, abgestandene Luft, Übergewichtigkeit gesundheitsfördernd? Neuerdings werden solche Fragen nicht mehr gestellt. Und eine Schande: Viele machen dabei mit. Endlich erwacht der Schäferhund im Nachbarn:
„Party trotz Corona-Lockdown: Nachbarn rufen die Polizei – mehrere Anzeigen
Die Polizei hat eine unerlaubte Party in einer Wohnung in Herten (Kreis Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen) beendet. Neun Menschen hatten dort „lautstark“ gefeiert.
Die Beteiligten im Alter zwischen 21 und 56 Jahren seien aus völlig unterschiedlichen Haushalten gewesen, erklärte eine Sprecherin der Polizei am Mittwoch. Die Polizisten lösten die Feier am frühen Dienstagabend auf und schrieben Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Corona-Schutzverordnung.
Ein 33-Jähriger habe zudem noch eine weitere Anzeige bekommen, weil er die Beamten und Gespräche gefilmt habe. Die Polizisten stellten das Handy sicher.“ (Quelle: tonight news)
Es ist eben wichtig, die Polizei nicht bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit zu filmen. Zeugen werden heute nicht mehr in den Rücken geschossen. Aber die Aufzeichnung wird beschlagnahmt. Es könnte ja sein, dass die Intensivstationen bald überfüllt wären mit Leuten, die am Lachkrampf schwer erkrankt sind.
Gut, dass war jetzt alles etwas vereinfacht. Es gibt auch Ausnahmen. Es ist nicht so, dass die Obrigkeit nicht zu differenzieren verstünde. Klar, illegale Zusammenkünfte dürfen nicht sein. Außer es macht Sinn. Etwa folgenden:
Genau, der Ton macht die Musik. Und die beherrschen viele Medien. Es ist der unkritische Ton nicht allein, dazu kommt die Oberstimme der Denunziation und die Kopfstimme des Polizeisprechers, wiedergegeben in Zeitungsspalten. Wer solche Presse hat, braucht keinen Zwang. Wenn alle der Meinung der Regierung folgen, kann man ja endlich wieder Meinungsfreiheit zulassen, oder?
Und dieses Verhalten hat Tradition. Zur Ehre der Deutschen sei gesagt: Es gibt auch eine andere Tradition. Hier ein nicht veränderter Lexikoneintrag:
„Der Hessische Landbote ist ein ursprünglich von Georg Büchner im Jahr 1834 verfasstes, nach redaktioneller Überarbeitung des Butzbacher Rektors Friedrich Ludwig Weidig gedrucktes und veröffentlichtes achtseitiges Pamphlet gegen die sozialen Missstände der Zeit. Die ersten Exemplare der Flugschrift wurden in der Nacht zum 31. Juli 1834 heimlich im Großherzogtum Hessen-Darmstadt verteilt.[1] Die Streitschrift ist bekannt für ihren Aufruf: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“
Die angegriffene Obrigkeit reagierte heftig auf das Erscheinen des Flugblattes. Büchner wurde steckbrieflich gesucht, konnte aber 1835 über die französische Grenze nach Straßburg fliehen. Weidig, nach Zwangsversetzung mittlerweile Pfarrer in Ober-Gleen, wurde mit anderen Oppositionellen verhaftet. Zunächst wurde er in Friedberg, dann in Darmstadt inhaftiert. Dort wurde er unmenschlichen Haftbedingungen unterzogen, gefoltert und kam 1837 unter nie völlig geklärten Umständen ums Leben. Die offizielle Untersuchung stellte Selbstmord (durch Öffnung der Pulsadern) fest.“
Das waren Zeiten! Heute sind wir viel ziviler, der Pfarrer aus dem Emsland muss nicht um seine Pulsadern fürchten, nur eine saftige Geldstrafe. Seine Bischöfe schweigen dazu. Sie verstecken sich hinter ihren Dukateneseln, nehmen lieber Milliarden vom Staat, statt sich um die Not ihrer Herde zu kümmern. Die guten Hirten gibt es nicht mehr.
Heute ist wohl der Slogan: Friede den Clans, Krieg den Bürgern.
Aber es gibt sie trotzdem, die deutsche Freiheitsgeschichte- und Tradition. Auch wenn sie hinter einer Maske steckt.