Manchmal ist es sehr erhellend, wenn man die Weisheit der Sprache bemüht. Zum Beispiel beim Wort „Angst“. „Angst“ hat phonetisch und semantisch mit „Enge“ zu tun: Man ist eingeengt, ausweglos, das Schicksal scheint unausweichlich, man spürt die Enge als Beklemmtsein und als Herzangst bis hinein in den Körper. Man ist angeleint, am kurzen Zügel, angststarr, weiß nicht, wie es weitergehen soll.
Klar, solches Erleben wird seit Menschengedenken missbraucht – von Regenten und Erziehern. Denn Angst macht gefügig. Spätestens der römische Kaiser und Gewaltherrscher Caligula hat es auf den Punkt gebracht: Oderint dum metuant („Sie mögen mich hassen, solange sie mich nur fürchten.“)
Perfektioniert hat die Angst als Herrschaftsinstrument Niccolò Machiavelli mit seinem Traktat Der Fürst (Il Principe) von 1513, veröffentlicht nach seinem Tod (1527), in deutscher Sprache erschienen 1580. Einem Fürsten, so schreibt Machiavelli, sei es erlaubt, zu belügen, zu betrügen, zu unterdrücken und sogar zu ermorden. Der Zweck, nämlich der Erhalt der eigenen Macht, heilige jedes Mittel. Deshalb sei es für einen Fürsten besser, gefürchtet zu sein als geliebt. Dass Hitler und Mussolini Machiavellis Buch sehr geschätzt haben, versteht sich von selbst.
So gewalttätig wie im 16. Jahrhundert und in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts geht es heute nicht mehr zu. Zumindest in den – vermeintlich oder „Noch-“ Demokratien. Aber der deutsche Michel und Leid-Hammel mit seinen, auch politisch und medial oktroyierten Ängsten hat sich an ein Regiertwerden mit Angst (Phobokratie) gewöhnt.
Heute indes haben wir alles zu fürchten einschließlich uns selbst sowie unsere offenbar unausrottbaren „Nazi“- und Populismus-Gene. (Wann erfindet jemand das Wort „autophob“, sich selbst ängstigend?) Außerdem geht volkspädagogisch heute nichts ohne ersatz- und zivilreligiöse Apokalypsen aus Politik, Apportier- und Gefälligkeits-„Wissenschaft“, Apportierpresse und NGOs, die besser statt „non-governmental“ „semi-governmental“ hießen. Die Themen sind sattsam bekannt: „Pestizide“, „CO2“, „Klima“, „Erderwärmung“, „Gletscherschmelze“, „Diesel“, „Antibiotika“, „Artensterben“, „Corona“ und so weiter. Gelegentlich toppt „Trump“ die Liste deutscher Ängste. So förderte eine von den R+V-Versicherungen in Auftrag gegebene Umfrage unter 2.400 Bundesbürgern im September 2020 zu Tage: Am meisten Angst haben die Deutschen mit 53 Prozent vor einer „Gefährlicheren Welt durch Trumps Politik“. „Corona“ rangiert auf Platz 9 mit 42 Prozent. Wie gesagt: Es hängt von der Befragungsmethode, der Stichprobe und vom Auftraggeber ab, was herauskommt. Es soll bitte auch möglichst politisch korrekt sein. Trump hat zwar keine Kriege angefangen wie sein Vorgänger Obama. Aber: „So what! Passt doch!“
Vieles ist eben saisonal oder auch oktroyiert! Die Summe der Ängste bleibt aber wohl mindestens gleich. Bereits 1988 hatte Erich Wiedemann den Deutschen mit seinem Buch „Die deutschen Ängste – Ein Volk in Moll“ den Spiegel vorgehalten. Der Club of Rome hatte kurz zuvor, 1972, seine Apokalypsen entworfen und ein baldiges Versiegen der fossilen Brennstoffe prognostiziert. Ferner war „Waldsterben“ angesagt, ebenso die Angst vor dem atomaren GAU durch Hochrüstung (NATO-Doppelbeschluss von 1979/80) oder auch durch Beispiele wie Tschernobyl (1986) ging um.
Qua apokalyptisch unterlegtem „Greenwashing“ sind wir einem neuheidnischen Naturkult ausgesetzt – unterfüttert mit neuen Ersatz- und Schuld-Religionen. Schuldreligion, ja: Denn wer nicht Müll trennt, ist schuld daran, wenn die Eisbären aussterben. Wer einen SUV fährt, bringt die Gletscher zum Schmelzen. Wer Fleisch isst, fördert die CO2-Katastrophe. Siehe die These vom schier narzisstisch gepflegten anthropogenen Klimawandel! Untergangspropheten sind nun mal hoch im Kurs, auch wenn es psychiatrisch auffällige Heranwachsende sind. Und alle spielen mit, auch in dem Bereich, der sich früher als rationale Wissenschaft verstand.
Sie versprechen nichts Geringeres als die Rettung der Welt, in kleinerer Münze geht es nicht. Erfolg aber haben sie damit, weil jedem solchen Heilsversprechen eine Elendspropaganda vorausgeht. Denn: Angst „sells“. Mittels Angstmachen lässt sich schließlich alles Mögliche verkaufen: teurer Strom, teurer Sprit, vegane Kost, E-Mobilität, unbegrenzte Zuwanderung wegen angeblichem „Fachkräfte“-Mangel. Angstlust und Angstsucht greifen um sich, denn nach einer Art Angsterhaltungssatz ist die Summe aller Ängste gleich. Mindestens gleich, wahrscheinlich sogar exponentiell wachsend. Friedrich Nietzsche nennt diesen Typus Mensch den „Nothsüchtigen“. Nur eine Angst ist nicht erlaubt: Die Angst um die innere Sicherheit ob gewisser Kriminalitätszahlen gewisser Ethnien. Das ist eine Angst, die von den Regierenden schnell psychiatrisiert wird als Islamophobie oder Xenophobie.
Mit einem Angstregiment lässt sich offenbar alles begründen, auch die Einschränkung von verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten. „Die Wohnung ist unverletzlich.“ So heißt es in Artikel 13 des Grundgesetzes. Für den SPD-Gesundheits-„Experten“ Karl Lauterbach scheint das nicht zu gelten. Er will bei gestiegenen Corona-Infektionszahlen auch Treffen selbst in den eigenen vier Wänden unterbinden lassen. „Die Unverletzbarkeit der Wohnung darf kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein“, sagte er Ende Oktober 2020 der Rheinischen Post. Nur am Rande: Die Nazis hatten das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung neben weiteren Menschenrechten 1933 außer Kraft gesetzt. Und auch in der DDR waren konspirative Hausdurchsuchungen der Stasi an der Tagesordnung.
All das reicht dem medial exzessiv herumgereichten Lauterbach nicht. Er ist und bleibt aber reines Medienprodukt. Nach dem Motto „Gib ihnen ihre tägliche Angst heute“ will der „Experte“ die durch Corona bedingten Einschränkungen zugunsten des Klimas über Corona hinaus prolongieren. In einem Gastbeitrag für die „WELT“ vom 27. Dezember 2020 fordert er einen „Klima-Lockdown“. Seine umwerfende Begründung: Eine Impfung gegen CO2 werde es niemals geben. Deshalb benötige man Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung seien.
Typisch deutsch alles, denn: „Die Deutschen bilden weltweit die Avantgarde der Angst. ‚German Angst‘ und der deutsche Größenwahn sind offenbar Komplementärphänomene.“ Das schreibt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz in seinem im Herbst 2020 erschienenen Buch „Avantgarde der Angst. Deutschland – ein angstgeplagtes Land“.
Es könnte aber auch etwas anderes dahinterstecken: eine „Demophobie“ der Regierenden vor dem Volk, dem „demos“, dem dummen Lümmel. Vulgo: Die Regierenden haben Angst vor dem Volk. Deshalb haben die Regierenden das Volk als den eigentlichen Souverän, als den Auftraggeber der Regierenden zu einem einen angeleinten Empfänger von Ängsten und Anordnungen degradiert.