Fake-Nuss spezial: Rekordtote und Stapelsärge – wenn der Journalismus stirbt
Alexander Wendt
Nicht traurig, sondern komisch war, dass das Satiremagazin „Postillion“ den SPIEGEL korrigierte. Aber in gewisser Weise auch ein medialer Höhepunkt im Corona-Jahr.
„In Deutschland sind binnen 24 Stunden 1.129 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben“, behauptete der SPIEGEL nach den Weihnachtsfeiertagen. Das sei ein „trauriger Höchststand“. Dabei handelte es sich um keinen Höchststand, sondern groben Unfug: da über die Feiertage Gesundheitsämter und andere Behörden kaum besetzt waren, gab es den so genannten Meldestau, der sich dann erwartungsgemäß in einer nachträglichen Welle von Todesmeldungen auflöste. Wie übrigens schon zu Ostern – das Phänomen des Meldeverzugs ist also nicht neu. Es starben also nicht an einem Tag 1.129 Menschen, sondern 1.129 wurden an einem Tag gemeldet, viele davon nachträglich. Wie hoch die Zahl der Toten an den Feiertagen jeweils tatsächlich war, ist wegen dieser Verschiebung offen. Auch, ob sie im Vergleich zu der Zeit vor Weihnachten höher lag – oder ob sie sogar zurückging.
Nicht traurig, sondern komisch war, dass das Satiremagazin „Postillion“ den SPIEGEL korrigierte. Aber in gewisser Weise auch ein medialer Höhepunkt im Corona-Jahr.
Wobei: es gab noch einen zweiten. Auch beim SPIEGEL. „Im Land der Verharmloser stapeln sich die Särge“, berichtete das Magazin atemlos aus Sachsen.
Die stapeln sich allerdings, wie der Leser erfährt, nicht in Massengräbern, sondern bei Bestattungsunternehmern. Zweifellos gibt es in Sachsen viele Tote, die mit oder an Corona starben. Nur führen die SPIEGEL-Autoren nirgends einen Beleg an, dass deshalb ganz Sachsen ein „Land der Verharmloser“ ist. Eine Umfrage der Deutschen Bank hatte zwar ergeben, dass gut 14 Prozent der Menschen in Sachsen in der Corona-Epidemie „keine Krise“ sahen. Nur wurde die Befragung im September durchgeführt, als die Infektionszahlen in Sachsen tatsächlich sehr niedrig waren.
Als im Oktober und November die 7-Tages-Inzidenz im Nachbarland Tschechien auf über 800 (841 am 1.11.) stieg, blieb die Grenze trotzdem uneingeschränkt offen. Erst am 16. November stoppte die Landesregierung den kleinen Grenzverkehr. Da war die Infektionswelle längst übergeschwappt. An den so genannten Verharmlosern dürfte das weniger gelegen haben als im Missmanagement durch die sächsische Staatsregierung. Stand 31. Dezember 2020 sind in Sachsen fünf Prozent der über 80jährigen Männer positiv auf Covid-19 getestet – im Bundesschnitt nur 2,4 Prozent. Auch das spricht weniger für „Verharmloser“ im ganzen Land, sondern für einen schlechten Schutz der Alten- und Pflegeheime.
Nach Sachsen wurden bisher 68 000 Dosen des Pfizer-Biontech-Impfstoffs geliefert – aber bis Dienstag gerade 1500 verimpft.
Viel zu späte Grenzschließung, schlechter Schutz für die Alten, sehr schleppende Impfung – das alles weist auf eine schlechte Organisation durch die Landesregierung hin – während Ministerpräsident Michael Kretschmer sich als besonders harter Corona-Bekämpfer inszeniert, und „autoritäre Maßnahmen des Staates“ ankündigt.
Normale Maßnahmen hätten schon genügt.
Statt nach dieser Verantwortlichkeit zu fragen, nimmt der SPIEGEL populistisch ein ganzes Land in Haftung.
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