Tichys Einblick
Gibraltar, Ceuta und Melilla

Spaniens Regierung: Erneute Krise mit Marokko

In Spanien muss über die Aufgabe der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla und auch über die Zurückführung von Gibraltar offen nachgedacht werden.

imago images / Agencia EFE

Die verbleibenden Reste der spanischen Eroberungs- und Kriegsgeschichte stellen in der modernen Welt nur Probleme da, weil sie wie schwarze Löcher in einer noch jungen Demokratie wie der spanischen wirken. Die jahrhundertealte britische Kronkolonie Gibraltar und die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla auf marokkanischem Boden sind zu Sicherheitsrisiken für Europa geworden, auch wenn das kaum einer offen aussprechen mag, weil jegliches Wackeln am Status Quo diplomatische Krisen auslöst wie gerade wieder mit Marokko. Niemand traut sich den großen Wurf zu in der spanischen Regierung und auch nicht in der EU. Marokko, das seit den illegalen Migrantenströmen auf den Kanaren im Herbst 2020 nicht aus den Schlagzeilen kommt, hat in den vergangenen Wochen auch wegen seiner Anerkennung von Israel international für Aufsehen gesorgt. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem jüdischen Staat begann mit der Einführung von Direktflügen und einer israelischen Delegation in Marokko, um unter anderem den gegenseitigen Tourismus zu aktivieren.

Ein geschickter Schachzug von Mohammed VI., denn Donald Trump hat im Anschluss die besetzte Westsahara als marokkanisches Hoheitsgebiet anerkannt. “In Anbetracht der Aufrüstung Marokkos in den vergangenen Monaten und der Unterstützung der amtierenden amerikanischen Regierung im Westsahara-Konflikt muss Spanien befürchten, dass Marokko zur akuten Gefahr wird”, sagt Francisco Javier Álvarez, Strafrechtler und Sicherheitsexperte an der Madrider Uni Carlos III. Allerdings eher als Abschreckung und immer mit der Waffe der irregulären Einwanderung in der Hand. Der spanische Premier Pedro Sánchez versteckt sich offiziell hinter diplomatischen Phrasen und verweist auf die UN-Entscheidung, die ein Autonomie-Referendum für die Westsahara fordert. “Nach der Aufhebung des Waffenstillstandes der dort lebenden Unabhängigkeitsbewegung Polisario soll nicht weiter Öl ins Feuer gegossen werden, weil Spanien und die EU vom Wohlwollen der Marokkaner bei der Migration und Terrorismus-Bekämpfung abhängen”, glaubt der politische spanische Analyst Juan Luis Valenzuela.

Spaniens Regierung ist inkonsequent in ihrer Außen- und Innenpolitk

Der Koalitionspartner der spanischen Regierung, Unidos Podemos, hakte da in den vergangenen Wochen jedoch immer wieder offen nach und besteht auf der Selbstbestimmung der Westsahara, wo große Phosphat-Reserven die Begierden des marokkanischen Königs wecken. Das verärgerte Marokko. Die extremlinke Partei ist aber nur konsequent, da sie diese Haltung auch für die nach Unabhängigkeit strebende autonomen Regionen im eigenen Land einnehmen. In Reaktion darauf machte die marokkanische Regierung gerade wieder in einem Interview klar, dass sie, sobald der Konflikt in der Westsahara geklärt sei, auch offen über den Status von Ceuta und Melilla sprechen wollen. Daraufhin wurde in Madrid die marokkanische Botschafterin zum Gespräch gebeten.

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Die spanischen autonomen Städte im Norden des Landes dienten den Spaniern einst als militärischer Stützpunkt. De facto sind die Häfen und Grenzübergänge heute aber ein Markt für den illegalen Handel von Menschen, Drogen und Schwarzwaren. Der Reichtumsunterschied zwischen Marokko und den Exklaven ist enorm, damit auch der Migrationsdruck auf diese im Vergleich zum spanischen Festland armen Städte. In Ceuta und Melilla passiert wenig, auch touristisch. Die dortige Bevölkerung lebt eingekesselt und weit weg vom spanischen Festland. Die dort seit Jahrhundert lebenden Familien, teilweise Mischehen zwischen Christen und Muslimen, sind jedoch so stolz Spanier zu sein, wie die Einwohner in Gibraltar sich britisch fühlen.
Ein Affenfelsen voller Probleme

Der “peñion”, wie die Erzkolonie im Spanischen genannt wird, produziert aber pragmatisch gesehen für Spanien viel mehr Ärger als Gutes. Das Dreieck zwischen dem Affenfelsen und den spanischen Städten La Linea und Algeciras ist berühmt berüchtigt für seine mafiösen Machenschaften. Rund 15.000 Spanier pendeln jedoch auch jeden Tag zur Arbeit in die Kronkolonie, da in der Region 35 Prozent der aktiven Bevölkerung keine Arbeit haben und von den Jobs bei den auch in Pandemiezeiten gut laufenden Wettbüros, Tabak- und Alkoholläden in Gibraltar abhängen. Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten dort 95,9 Prozent der Bewohner für den Verbleib in der EU. Das hat jedoch nur praktische Gründe, da sie mit britischem Gehalt und europäischen Vorzügen ein Luxusleben führen an Spaniens Küsten, wo fast alle noch ein Haus oder Wohnung haben. Das hat in den vergangenen Jahren und könnte auch nach dem Brexit zu einem Sogeffekt führen. Schon jetzt ist der Affenfelsen mit rund 5000 Einwohner pro Quadratkilometer einer der dichtbesiedelsten Stellen der Erde, was ihn in Pandemiezeiten zu einem gefährlichen Hotspot macht. Denn Gibraltar hat nicht nur eine eigene Fuβball-Liga, sondern auch einen eigenen Flughafen. Dort sind derzeit Flüge nach und von Groβbritannien aus Berufs- und Familiengründen erlaubt trotz den auf beiden Seiten stark ansteigenden Infektionszahlen.

Die Frage der Souveränität über den Affenfelsen, den Spanien mit dem Frieden von Utrecht 1713 an Großbritannien abtreten musste und seither zurückfordert, wird von spanischen konservativen Politikern als unabhängige Frage von den Exklaven in Marokko gesehen. „Als Unidos Podemos noch nicht in der Regierung war, haben sie das anders gesehen”, sagt der politische Analyst Valenzuela. Spanien bezeichnete Gibraltar in der Vergangenheit gerne als Steuerparadies und kritisiert öfter die schwache Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Alle spanischen Regierungen bisher glaubten, dass Gibraltar durch zu großzügige Steuergesetze und fiskalische Schlupflöcher zweifelhafte Firmen und Investitionen anlockt. Bei den Brexit-Verhandlungen konnte jedoch jetzt ein Kompromiss gefunden werden. Momentan ist vereinbart worden, dass Briten sich auch in Gibraltar Passkontrollen unterziehen müssen, während die Spanier die Stadt frei betreten können und die Einwohner von Gibraltar wiederum unkontrolliert durch Spanien und durch die anderen Schengen-Länder fahren können.

Der Konflikt mit Marokko ist vorprogrammiert

Auch wenn uns der Coronavirus mehrmals im Laufe des Jahres 2020 gezeigt hat, dass sich gewohnte Dinge schnell ändern können oder müssen, scheint es wenig wahrscheinlich, dass die zwei spanischen Exklaven auf marokkanischem Boden in Kürze wieder an Marokko zurückfallen, und auch Gibraltar wird wohl nicht in den nächsten Jahren spanisch werden, glaubt Sicherheitsexperte Álvarez: “Zu eingesessen ist die Bevölkerung dort, zu abhängig von den Privilegien”. Zudem gibt es durch die Reihen der Volksparteien PP und PSOE sowie bei der rechtsextremen Vox einen deutlichen Widerstand gegen jede Art von Konzession gegenüber Marokko. Aber Álvarez glaubt, dass die Kontrollen in den Exklaven wie auch auf dem Affenfelsen in Sachen Drogenhandel, Geldwäsche sowie das Schmuggeln von Menschen verschärft werden müsse und die Probleme auch offen angesprochen werden sollten: “Dafür müssen sich alle beteiligten Länder zusammensetzen”.

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