Tichys Einblick
Sie folgten dem Stern

Die Weisen am Hof des Herodes auf dem Weg zum messianischen Kind

Dreimal hatten sich die Bahnen von Jupiter und Saturn gekreuzt. Für die weisen Sterndeuter aus dem Morgenland eine eindeutige Botschaft: Die Geburt eines königlichen Retters und der Beginn eines goldenen Zeitalters standen kurz bevor!

Es ist nicht überliefert, ob Maria und Josef bei ihrem Tempelbesuch durch das Tor gingen, über dem der Bauherr Herodes einen goldenen Adler angebracht hatte. Diese Skulptur sorgte damals für großen Ärger. Aus Sicht der Pharisäer handelte es sich dabei um einen Verstoß gegen das zweite Gebot und einen Schritt in Richtung Abgötterei. Zwei prominente Prediger, Judas und Simon, wetterten dagegen und riefen ihre Jünger zum Protest, ja sogar zur Demontage des Objekts auf. Für den Fall des Martyriums stellten sie den jungen Leuten ewige Himmelsfreuden in Aussicht.

Eines Tages machte die Nachricht die Runde, König Herodes sei gestorben. Ein paar Dutzend Jung-Pharisäer zogen daraufhin am helllichten Tag zum Tempel, kletterten vor den Augen einer großen Menge auf das Tor, hämmerten den Adler vom Sockel und ließen ihn auf dem Boden in tausend Stücke zerschellen. Vermutlich applaudierte die Menge laut. Aber zu früh gefreut. Herodes war noch höchst lebendig. Er ließ die beiden Anstifter und die jungen Saboteure verhaften und bei lebendigem Leib verbrennen. Die Volksseele kochte, ihr Hass auf den dahinsiechenden Herodes wuchs.

Dessen Paranoia wurde noch durch einen anderen Vorfall verstärkt. In Jerusalem tauchte um diese Zeit eine Karawane aus dem Mittleren Orient auf. Matthäus spricht von «Weisen aus dem Morgenland». Diese Gruppe wird nur von Matthäus erwähnt, während die Hirten nur bei Lukas vorkommen. Die beiden Evangelisten verfolgten unterschiedliche Absichten. Matthäus betont die geografische Universalität der frohen Botschaft, Lukas die soziale.

"Siehe ich verkündige Euch große Freude ..."
Der gefährliche Weg nach Bethlehem und eine schwere Geburt
Dass es sich um die drei Könige Kaspar, Balthasar und Melchior handelt, ist eine freie Erfindung. Weder die Zahl noch die Namen noch der Ursprungsort der exotischen Besucher werden bei Matthäus erwähnt. Er verrät immerhin, dass sie sich mit Sterndeuterei auskennen, also in Astronomie und Astrologie bewandert sind. Diese Disziplinen wurden von den Juden eher argwöhnisch betrachtet. Bei den übrigen Völkern standen sie allerdings in hohem Ansehen – nicht als esoterisches Geheimwissen, sondern als seriöser Forschungszweig. Die Menschen gingen vom Kosmos als einem Gesamtkonstrukt aus, in dem alles mit allem zusammenhing. Da war die Annahme nur logisch, dass die Vorgänge auf der Erde eine Folge galaktischer Ereignisse waren. Deshalb war es bei der Geburt von Prominenten üblich, durch aufwändige Horoskope ihre Lebensläufe vorauszusagen. Besonders fasziniert von der Sterndeuterei waren Kaiser Augustus und sein Nachfolger Tiberius.

Auch für jüdische Tora-Experten hatten Sterne eine besondere Bedeutung. In der Zeit des Exodus hatte ein damaliger Astrologe, Bileam, vorhergesagt: «Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen.» Für viele fromme Juden bezog sich diese Prophezeiung auf den Messias.

Die Spekulationen darüber, woher genau die weisen Männer kommen, reichen vom heutigen Iran bis zum Irak. Auch über Jordanien als Herkunftsregion wird spekuliert. Oder das heutige Jemen: Aus dem südlichen Zipfel der arabischen Halbinsel stammte vermutlich die Königin von Saba, die fast tausend Jahre zuvor Salomo einen Besuch abgestattet hatte. Eine Prophezeiung aus dem Jesaja-Buch scheint in diese Richtung zu weisen: «Sie werden aus Saba kommen und Gold und Weihrauch bringen.» Die antike «Weihrauchstraße», über die Duftmittel, Gewürze und andere Kostbarkeiten transportiert wurden, nahm im Jemen ihren Anfang und führte über die Nabatäer-Hauptstadt Petra im heutigen Jordanien nach Jerusalem. Im gesamten Imperium mit seinen vielen Kultstellen war Weihrauch eine gefragte Substanz. Pro Jahr sollen insgesamt zehntausend Tonnen verbraucht worden sein. Für den ganzen Weg benötigte eine Karawane rund hundert Tage. Die Weisen könnten als Mitreisende einer solchen Karawane nach Bethlehem gekommen sein.

Noch mehr spricht allerdings dafür, dass die Weisen aus dem Teil der Welt kamen, der von den einzig übriggebliebenen Rivalen Roms beherrscht wurde: den Parthern. Sie kontrollierten neben Persien den gesamten Mittleren Orient. Ihre Hauptstadt Ktesiphon befand sich südöstlich des heutigen Bagdad. Die parthischen Wissenschaftler kannten sich nicht nur mit den Sternen aus, sondern auch mit der jüdischen Messias-Vorstellung, schließlich lebten im ehemaligen Babylon viele Juden.

Einen königlichen Retter konnten damals auch die Parther gut gebrauchen. An ihrer Staatsspitze ging es nicht viel friedlicher zu als am Hof des Herodes. Der Parther-König Phraates hatte seinen Vater und alle dreißig Brüder getötet. Später hatte er sich in eine schöne Sklavin verliebt, Musa, die der römische Kaiser Augustus ihm geschenkt hatte. Musa setzte alles daran, den gemeinsamen Sohn zum Thronerben zu machen. Mit Intrigen schaffte sie es, dass Phraates seine anderen Söhne ins römische Exil schickte. Bald danach wurde Phraates von seiner Frau vergiftet. Musa übernahm zusammen mit ihrem Sohn die Herrschaft. Diese Ereignisse waren um die Zeitenwende in vollem Gang. Die führenden Intellektuellen des Landes hatten also einen zusätzlichen Anreiz, am Sternenhimmel nach Hinweisen auf die zukünftige Entwicklung zu forschen.

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Im Jahr 7 vor Christus, also zwei Jahre vor dem wahrscheinlichen Geburtsdatum von Jesus, nahmen die vermutlich parthischen Sterndeuter etwas Erstaunliches wahr: Dreimal hintereinander kreuzten sich die Bahnen der Planeten Jupiter und Saturn. Der Jupiter galt bei den Parthern wie auch bei den Römern als königlicher Planet. Der Saturn symbolisierte das erhoffte goldene Zeitalter. Genau davon hatte auch Vergil in seinem Hirtengedicht geschrieben, dessen Inhalt auch im Parther-Reich bekannt war. Die Botschaft der seltenen Dreifach-Konjunktion war aus Sicht der Astrologen somit eindeutig: Die Geburt eines königlichen Retters und der Beginn eines goldenen Zeitalters standen kurz bevor!

Die Sterne verrieten sogar den Ort des Ereignisses. Die letzte der drei Planeten-Konjunktionen fand im Zeichen des Fisches statt, der damals mit Israel in Verbindung gebracht wurde. Zwei Jahre später gab es ein weiteres Himmelsphänomen zu bestaunen: Ein Stern explodierte. Diese Supernova wurde von zeitgenössischen chinesischen und koreanischen Sterndeutern bemerkt und notiert. Theologisch gesehen würde eine Supernova, die bei der Explosion die Lebens-Grundsubstanz Kohlenstoff ins Weltall verströmt, zum Weihnachtsereignis passen: ein sterbender Stern, der die Elemente des Lebens produziert, als Symbol für ein neues Zeitalter.

Es ist also gut möglich, dass die Weisen die Supernova als Signal zum Aufbruch interpretierten. Sie machten sich auf den ungefähr tausend Kilometer weiten Weg gen Westen – auf der Suche nach dem messianischen Kind. Es waren sicher nicht nur drei Kamele, auf deren Rücken die babylonischen Würdenträger in Jerusalem einritten und dort für Aufsehen sorgten. Es handelte sich um eine Karawane inklusive Dienerschar und soldatischem Begleitschutz. Die Ankunft der parthischen Promis sorgte am Königshof für helle Aufregung. Herodes hatte mit den Parthern seit langem ein Hühnchen zu rupfen. Sie waren einige Jahrzehnte zuvor, kurz vor seiner Ernennung zum König, in Jerusalem eingefallen und hatten die Stadt geplündert. Außerdem galten sie als natürliche Gegner der Römer, auch wenn gerade Frieden herrschte. Was führten sie nun im Schilde?

Matthäus berichtet, dass die Besucher schnell zur Sache kamen: «Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir sind gekommen, um ihn anzubeten.» Herodes muss sich in seinen paranoiden Befürchtungen bestätigt gefühlt haben. Jetzt war es schon so weit gekommen, dass sogar die Parther vom Ende seiner Dynastie ausgingen und einen neuen Königsanwärter im Blick hatten. Doch die Weisen wussten genauso wenig wie er selbst, wo sie suchen mussten. Da hatten die theologischen Experten von Jerusalem einen Tipp. Der Prophet Micha hatte vorhergesagt, dass der Messias in Bethlehem zur Welt kommen würde. Vielleicht sollten die Weisen dort weiterforschen. Selbst machten der Hohepriester und die Bibelgelehrten keine Anstalten, nach Bethlehem aufzubrechen. Auch Herodes schlug nicht sofort zu. Noch gab es ja keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr tatsächlich von Bethlehem ausging. Er schickte womöglich einige seiner Spione hinter den Weisen her.

In Bethlehem erkundigten sich die Weisen nach einem Säugling, auf den die Beschreibung «Davidsohn» zutreffen konnte. Die Dorfbewohner erzählten von den zwei Neuankömmlingen, denen vor kurzem ein Sohn geboren wurde: Josef und seine Frau Maria.

Die Weisen besuchten die drei, huldigten dem Kind und beteten es sogar wie einen Gott an. Als Geschenke haben sie Gold, Weihrauch und Myrrhe dabei. Gold bekamen Könige geschenkt, Weihrauch wurde den Göttern geopfert. «Wer kommt herauf aus der Wüste, umgeben von Rauchsäulen aus Weihrauch und Myrrhe?», fragt der Autor des biblischen Hohelieds. Er beschreibt einen Hochzeitszug, mit dem sich der Bräutigam naht. Auf die Weihnachtsgeschichte bezogen ist Jesus der göttliche Bräutigam, der sich mit Israel, seiner Braut, vermählt. In der Myrrhe steckt auch ein Hinweis auf die Passion Christi. Am Kreuz wird er ein Getränk mit Myrrhe angeboten bekommen. Nach der Abnahme vom Holz wird sein Leib mit einer Myrrhen-Salbe eingerieben.

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Die andächtige Stimmung hält nicht lange an. Noch bevor die Spione des Herodes ihn über den Aufenthaltsort des angegebenen Kindes informiert haben, verbringen die Weisen und auch Josef eine unangenehme Nacht. Beide träumen von einer tödlichen Bedrohung durch Herodes. Die einen reisen nach Osten zurück in die Heimat und umgehen dabei Jerusalem. Josef, Maria und das Kind fliehen in Richtung Mittelmeer und von dort die Küste entlang nach Ägypten. Wer sich übrigens darüber wundert, wie oft es in der Weihnachtsgeschichte zu Träumen kommt, dem ist zu empfehlen, andere zeitgenössische Geschichtswerke zu lesen. Auch dort werden Träume häufig als übernatürliche Orientierungshilfen interpretiert. Der jüdische Historiker Josephus etwa sah in Träumen, die zukünftige Ereignisse vorwegnehmen, einen «Beweis für die Unsterblichkeit der Seele und für das Walten der göttlichen Vorsehung».

Matthäus informiert uns, dass Herodes auf den plötzlichen Abzug der Weisen mit einer unglaublichen Brutalität reagiert. Er ordnet die Liquidierung der Kleinkinder in Bethlehem an, vermutlich nur der männlichen. Blutige Weihnachten. Anders als Matthäus erwähnt der Historiker Josephus nichts davon. Warum sollte er auch? Der Vorfall, der sich abseits von Jerusalem ereignet, fällt für ihn kaum ins Gewicht. Die letzten Tage des Tyrannen sind so randvoll mit Scheußlichkeiten, dass ein paar tote Dorfkinder dabei nicht der Rede wert sind.

Herodes verfällt allmählich dem kompletten Wahnsinn. Sein letzter Wunsch, Hunderte Mitglieder der jüdischen Oberschicht nach seinem Tod niederzumetzeln, bleibt unerfüllt. Seine eigene Schwester setzt sich darüber hinweg. Herodes stirbt qualvoll und unbeweint. «Gott züchtigte ihn offenbar für seine Freveltaten», mutmaßte Josephus. Nach damaligem Verständnis offenbarte die Art, in der ein Mensch starb, den wahren Charakter. Während Augustus ruhig und gefasst aus dem Leben schied, zeigte Herodes zuletzt seinen wahren teuflischen Kern.

«Er stößt die Gewaltigen vom Thron», hatte Maria gejubelt. Mit Herodes fiel der erste.

Auszug aus:
Markus Spieker. Jesus. Eine Weltgeschichte. Fontis Verlag, Hardcover, mit goldfarbenem Vor- und Nachsatzpapier und Lesebändchen, 1004 Seiten, 30,00 €.


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