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EU-Parlament will einheitliche Gesellschaftsordnung erzwingen

EU-Parlament will eine einheitliche Gesellschaftsordnung in der EU erzwingen – und sagt den Nationalstaaten den Kampf an.

imago Images/LePictorium

Am 16. Dezember stimmte das EU-Parlament nicht einmal mehr über das gigantische Corona-Rettungsprogramm sowie über den Etat der nächsten sieben Jahre ab, die vorher schon vom sogenannten Europäischen Rat, dem Gremium der Staatschefs, gutgeheißen wurde. Eine Abstimmung war nicht nötig, denn die Wünsche des EU-Parlaments wurden erfüllt: Der Vertragstext enthält unverändert die von Ungarn und Polen abgelehnte Verknüpfung der Rechtsstaatlichkeit mit der Auszahlung der Hilfen an die einzelnen Mitgliedstaaten.

Um die beiden Regierungschefs von ihrem Veto abzubringen, wurde dem Gesetz vom Europäischen Rat eine ergänzende Klausel, eine Art Amendment, hinzugefügt, die die Geltung des Vorbehalts deutlich begrenzen und Polen und Ungarn Zeit verschaffen sollte, vor dem EuGH dagegen klagen zu können. Die beiden Ministerpräsidenten Orbán und Morawiecki haben auf diese Möglichkeit bestanden, weil sie davon ausgehen, dass die Verknüpfung der vermeintlichen Rechtsstaatlichkeit, wie sie heute von der EU interpretiert wird, mit wirtschaftlichen Gesetzen den EU-Verträgen widerspricht – dazu noch weiter unten. So lange das Verfahren läuft, sollte der Vorbehalt nicht zur Anwendung kommen. Auch sollte sich der Vorbehalt nicht auf bereits laufende mitfinanzierte EU-Projekte angewendet werden. Dies war vor allem für Ungarn wichtig, weil es noch über 10 Milliarden Euro Guthaben aus dem jetzt auslaufenden Budget verfügt.

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Darüber hinaus hat sich die Kommission in der Zusatzklausel verpflichtet, Direktiven zu erarbeiten, die bestimmen, dass der Vorbehalt nur im Interesse des Schutzes der finanziellen Stabilität des Programms angewendet werden und ausdrücklich weder die Frage der Migration noch der Familienpolitik betreffen darf. Bevor Auszahlungen verweigert werden, muss ein Dialog zur Lösung des Problems geführt werden, der gegebenenfalls auch den Europäischen Rat mit einbeziehen kann, wo dann für die Entscheidung komplizierte und schwer zu erreichende Mehrheitsverhältnisse erforderlich sind.

Schon gleich nach der Einigung haben polnische und ungarische Beobachter, insbesondere der polnische Justizminister Ziobro darauf hingewiesen, dass die Zusatzklausel im Gegensatz zum Gesamtpaket keine Gesetzeskraft hat und deshalb nichts mehr als ein vages Versprechen ist, das jederzeit gekippt werden kann. Zur Zeit sieht es so aus, dass sie Recht behalten sollten, und die beiden Länder von Merkel und von der Leyen mit der Zusatzklausel aufs Glatteis geführt und betrogen wurden.

EU-Parlament fordert das alleinige gesetzgeberische Recht

Zwar hat das EU-Parlament nun den vom Rat vorgelegten Gesetzesvorschlag durchgehen lassen, aber vorher schon reichten alle im Parlament vertretenen Mainstream-Parteien unter Führung des profilierungssüchtigen Manfred Weber (CSU) einen Resolutionsentwurf ein, indem sie nicht nur die vom Rat und der Kommission akzeptierten Einschränkungen des Rechtsstaatlichkeitsvorbehalts ablehnen, sondern dem Rat und der Kommission sogar das Recht absprechen, Gesetze eigenständig interpretieren zu dürfen. Sie berufen sich darin auf den Paragraphen 15/1 der EU-Verträge, wo es heißt: „Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest. Er wird nicht gesetzgeberisch tätig.“ Das EU-Parlament „vertritt daher die Auffassung, dass eine politische Erklärung des Europäischen Rates nicht als Auslegung von Rechtsvorschriften angesehen werden kann, da die Auslegung von Rechtsvorschriften dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegt“ – heißt es dazu in der Entschließung. Daraus leitet das Parlament für sich das Recht ab, als alleiniges Organ der EU gesetzgeberisch tätig werden zu dürfen.

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Weiter heißt es in der Entschließung an die Adresse der Kommission, das Parlament weise darauf hin, „dass die Kommission gemäß Artikel 17 Absatz 8 EUV dem Europäischen Parlament verantwortlich ist; weist erneut darauf hin, dass dem Parlament mehrere rechtliche Mittel zur Verfügung stehen, mit denen es sicherstellt, dass die Kommission ihren Pflichten aus dem Vertrag nachkommt, (…) betont zudem, dass das Parlament über mehrere rechtliche und politische Mittel verfügt, mit denen es sicherstellt, dass das Recht von allen – und in erster Linie von den Organen der EU – durchgesetzt wird; betont, dass den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates keine verbindliche Wirkung im Hinblick auf die Rechtsanwendung durch die Kommission beigemessen werden kann.“ (https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0428_DE.pdf)

Das sind starke Worte, die nichts anderes bedeuten, als dass das Parlament die Zusatzklausel für Null und Nichtig erklärt und alles daransetzen wird, zu verhindern, dass der Rat und die Kommission ihr folgen. In einem Atemzug wird auch verlangt, das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat aufzuheben. Und um Polen und Ungarn keine Atempause zu gönnen, will sich das Parlament selbst mit einem Eilantrag an den EuGH wenden, und die Rechtmäßigkeit der Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit und Finanzhilfen in einem Eilverfahren prüfen lassen.

Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, sich vorzustellen, dass Merkel bei ihren „Verhandlungen“ mit den Polen und Ungarn mit dieser Weiterentwicklung der Dinge nicht gerechnet habe. Wahrscheinlicher ist es, dass es sich dabei von Anfang an um ein abgekartetes Spiel handelte.

Ein Gesellschaftssystem für alle

Doch die Ereignisse der letzten Wochen sind viel mehr als die Geschichte einer Intrige. Der ganze Vorgang, die Erzwingung des Rechtsstaatlichkeitsvorbehalts durch das Parlament und der darauffolgende Angriff des Parlaments auf die gesetzgeberischen Kompetenzen der beiden anderen EU-Institutionen, läutet eine neue Ära in der Geschichte der EU ein. Es geschieht zum ersten Mal, dass sich EU-Organe anschicken, das Gesellschaftssystem der Länder zum Kriterium der Mitgliedschaft zu machen. Zwar spielte das Gesellschaftssystem bei der Aufnahme von ehemaligen Diktaturen wie Spanien, Portugal und Griechenland eine Rolle, aber es reichte aus, dass sich die Diktaturen formal in parlamentarische Demokratien verwandelten, die weiteren Details waren nicht von Interesse. Auch enthalten die EU-Verträge bisher keine Einzelvorschriften, wie die parlamentarischen Demokratien im Einzelnen zu gestalten sind: So hat Finnland zum Beispiel kein Verfassungsgericht, was bisher jedoch nicht problematisiert wurde.

Der Rückzug beginnt
Die EU ist kein Staat und hat kein Recht
Die Festlegung, was ein für alle verbindlicher Rechtsstaat sein soll, gibt es bisher nicht, weil sie nicht nötig war, so lange alle EU-Mitglieder von Linksliberalen verschiedener Schattierungen regiert wurden: Der Konsens ergab sich von selbst. Aber in dem Maße, wie die linksliberale Politik von einer Politik der unbegrenzten Migration sowie der globalistischen Klima-Öko-Gender-Politik abgelöst wurde, entstanden oppositionelle Bewegungen, und in zwei Ländern, nämlich Polen und Ungarn, kamen konservative Regierungen an die Macht, die die in der EU vorherrschende – bis dahin auf Konsens beruhende – politische Ausrichtung in Frage stellten und teilweise ablehnten.

Damit ist die Notwendigkeit entstanden, eine Art politisches Credo als Bedingung für die Mitgliedschaft festzulegen und durch Maßnahmen wie Geld- und Stimmenentzug zu erzwingen. Die EU legt mit dem Rechtsstaatlichkeitsvorbehalt ein zwingend einheitliches politisches System für alle Mitgliedstaaten fest und macht einen weiteren Schritt in Richtung Vereinigte Staaten von Europa. Viele der Ratsmitglieder waren bei der Abstimmung dieser Entwicklung womöglich nicht bewusst, aber sie waren gerade mit Blick auf ihre eigenen Oppositionen bereit, an Ungarn und Polen ein Exempel zu statuieren. Auch wenn ihre interessengeleitete Haltung verständlich ist, bleibt es eine Tatsache, dass damit in der EU eine neue politische und – durch die Verknüpfung der Rechtsstaatlichkeit mit Finanzhilfen – auch eine neue rechtliche Lage entstanden ist. Ungarn und Polen mögen die ersten Opfer sein – die letzten werden sie gewiss nicht bleiben.

Machtkampf unter den EU-Institutionen

Gleichzeitig hat diese politisch-rechtliche Veränderung den bisher nur latenten Kompetenzkonflikt zwischen den einzelnen EU-Institutionen offen aufbrechen lassen. Dabei geht es um die Verteilung der Macht zwischen Kommission, Rat und Parlament, die in den Verträgen bisher bewusst nebulös gehalten wurde. So heißt es dort über das EU-Parlament: „Das Parlament ist entsprechend der jeweils gewählten Rechtsgrundlage in unterschiedlichem Maße an der Verabschiedung der Rechtsakte der EU beteiligt. Seine Rolle hat sich allmählich von einer ausschließlich beratenden hin zu einer dem Rat gleichberechtigten Rolle mit Mitentscheidungsbefugnis entwickelt.“ (https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/19/das-europaische-parlament-befugnisse)

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Diese aus dem Vertrag von Nizza stammende Festlegung über die „gleichberechtigte Rolle“ befriedigt das Parlament offensichtlich nicht mehr, und dazu ist es von genau jenen Institutionen ermutigt wurden, denen es jetzt den Kampf angesagt hat. Seit einiger Zeit war man in der EU nämlich über das wachsende Legitimationsdefizit ihrer Institutionen unter den Bürgern bewusst geworden und glaubte, diesem Defizit mit der propagandistischen Aufwertung des Parlaments begegnen zu können: Man fing an, so zu tun, als handelte es sich dabei um ein echtes Parlament, das tatsächlich die Entscheidungsmacht über die Politik der EU habe. Bei den Wahlen wurde vorgetäuscht, es gebe so etwas wie einen Spitzenkandidaten, der dann – wie ein gewählter Ministerpräsident – der Kommission vorstehen würde und für eine bestimmte politische Ausrichtung stünde. Das Parlament bekam die Aufgabe zugeschrieben, „der EU ihre uneingeschränkte demokratische Legitimität zu verleihen“.

Was sich trotz des propagandistischen Aufwands nicht geändert hat, war jedoch die Angewohnheit so gut wie aller Parteien der Mitgliedstaaten, ihre einheimisch gescheiterten und aus welchen Gründen auch immer untragbar gewordenen Mitglieder als Kandidaten für die EU-Wahlen aufzustellen und sie auf diese Weise – finanziell weich abgefedert – zu entsorgen. Wenn man noch hinzunimmt, dass Wähler bei EU-Wahlen eher bereit sind, abenteuerliche, extremistische und unberechenbare Personen zu wählen, versteht man, wie die heutige Zusammensetzung des Parlaments zustande gekommen ist. Ermutigt durch die eigene Propaganda, hat das Parlament immer wieder versucht, mit ihren in der Regel absurden und extremistischen Forderungen die Kommission und den Rat vor sich herzutreiben, was der Kommission wiederum in vielen Fällen zupass kam, wenn es darum ging, extreme, realitätsferne Vorgaben (wie z.B. die zukünftigen Abgasnormen), die kein nationales Parlament zu verabschieden wagte, in Gesetze zu fassen. Mit diesen Erfahrungen im Rücken sah das Parlament bei der Verhandlung des Rechtsstaatlichkeitsvorbehalts seine große Stunde gekommen.

Eine Anleitung für Gegenwart und Zukunft
Ohne Zugehörigkeit kann es keine Freiheit geben
Man sollte nicht den Fehler begehen, diesen Aufstand des Parlaments als einen Sturm im Wasserglas abzutun. Der Rat, gegen den sich die Hauptstoßrichtung der Drohungen des Parlaments richtet, ist die einzige Vertretung der Nationalstaaten in der EU, alle anderen Organe, ob Parlament oder Kommission, kennen keine Nationen mehr, sie sind Organe des fiktiven EU-Staates. Deswegen tut man gut daran, diesen Vorgang als Angriff der Verfechter der Vereinigten Staaten von Europa (die im EP ohnehin in der Mehrheit sind) gegen das Organ der Nationalstaaten, und damit gegen die Vertretung der Nationalstaaten überhaupt, zu interpretieren. Dass dies in einem Atemzug mit der Durchsetzung des vereinheitlichenden Rechtsstaatlichkeitsgebots geschieht, ist daher nur konsequent und läutet eine neue Stufe der Unterwerfung der Nationalstaaten unter das Diktat des Imperiums ein – freilich durch tätiges Betreiben ihrer eigenen politischen Eliten.
Das Ziel: Regime- und Systemwechsel in Polen und Ungarn

Schon lange arbeitet die EU daran, in Polen und Ungarn einen Regime- und Systemwechsel herbeizuführen. Bisher führte sie diesen Kampf mithilfe der von ihr und dem amerikanischen Multimilliardär George Soros finanzierten und ermutigten NGO, sowie ihres Stoßtrupps, des Gerichtshofs der EU (EuGH). Die Rechtsstaatlichkeitsprüfung ist die bisher schärfste Waffe in diesem Kampf und soll die beiden Regierungen in eine ausweglose Lage drängen. Die Bürger der beiden Länder sind als Ergebnis jahrzehntelanger linker Propaganda in ihrer überwältigenden Mehrheit für die EU-Mitgliedschaft, weil sie glauben, ihren neu erworbenen Wohlstand der EU zu verdanken. Deshalb wäre jede Regierung, die die Mitgliedschaft aufs Spiel setzt, zum sofortigen Scheitern verurteilt.

Wenn es nach den Vorstellungen des EU-Parlaments weitergeht – und es sieht ganz danach aus –, werden beide Regierungen zwischen zwei unvereinbaren Vorgaben zerrieben. Sie können unmöglich nationale Interessen vertreten und gleichzeitig dem Wunsch ihrer Bevölkerungen, an den Geldflüssen der EU beteiligt zu werden, entsprechen. Ihr Ende ist damit absehbar geworden. Damit wäre die EU dem Ziel des einheitlichen Gesellschaftssystems überall auf dem Territorium des Imperiums einen großen Schritt nähergekommen – weg von Demokratie und Recht und Freiheit.

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