Folgt man den Worten des Grünen-Politiker Cem Özdemir, dann könnten die „Grauen Wölfe“ die größte verfassungsfeindliche Bewegung Deutschlands sein: auf bis zu 20.000 Mitglieder schätzt er die Zahl der türkischen Ultranationalisten. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass allein der Dachverband ADÜTDF 7.000 Mitglieder umfasst, beziffert die Gesamtzahl aber auf rund 11.000. „Es kann doch nicht sein, dass türkische Rechtsextremisten mitten in Berlin, Dortmund oder Hamburg friedliche Bürgerinnen und Bürger einschüchtern, verprügeln oder mit dem Leben bedrohen“, sagte Özdemir in einem Interview mit der „Welt“ anlässlich eines Antrags im Bundestag, dessen Ziel die Einhegung und ein mögliches Verbot der Bewegung war.
In Frankreich verboten
Gut ein Monat ist seitdem vergangen. Der Vorstoß, der von Union, SPD, FDP und Grünen getragen wurde, entstand auch unter dem Eindruck eines Dekrets des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der die Grauen Wölfe am 4. November verbot. Die Parteien hatten nicht nur gefordert, Verbote gegen Teile der offiziell als „Ülkücü“-Bewegung bezeichneten Gruppierungen zu prüfen, sondern auch „Solidarität mit von den Grauen Wölfen verfolgten Personen und Gruppen“ zu zeigen.
Davon ist heute wenig zu spüren. Stattdessen bedrohen die Extremisten, die von einem rassisch reinen Turkreich in Zentralasien träumen, armenische Christen in ihrem deutschen Exil. In das ARD-Mittagsmagazin vom 2. Dezember schaffte es ein Beitrag über den Gemeindepfarrer Gnel Gabrielyan, der davon berichtete, dass in den Briefkästen seiner Gemeindemitglieder Drohbriefe der Grauen Wölfe aufgetaucht seien. „Ihr dreckigen Kinder Armeniens, wir werden euch alle finden und eure Kinder werden an euren Gräbern stehen, bevor sie in ihr eigenes Grab fallen“ ist darin zu lesen. Der Schatten Bergkarabachs fällt bis ins hessische Hanau.
Drohbriefe im Briefkasten
Schon tags zuvor bat Serovpe Isakhanyan, Bischof der Armenischen Kirche in Deutschland, in einem Brief an die Innenminister der Länder um Schutz für die Gotteshäuser seiner Landsleute. Man sei „als armenische Kirche und Gemeinschaft äußerst besorgt“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz antwortete dieser Zeitung angesichts der Vorfälle mit dem Verfassungsschutzbericht des Jahres 2019 und wollte zu aktuellen Entwicklungen keine Stellung nehmen. Ähnlich antwortete das Bundesministerium des Inneren auf die Umsetzung des Bundestagsantrages, da sich dieses zu „angeblichen oder tatsächlichen Verbotsüberlegungen“ grundsätzlich nicht äußere. Beide Bemerkungen verwundern angesichts der Äußerungen des BfV-Chefs zu den Anschlägen von Nizza und der Redefreudigkeit über Parteiverbote.
Die ARD berichtete, dass ein Verbot womöglich gar nicht zu erwarten sei, angesichts der Aufsplitterung der Grauen Wölfe in unzählige Vereine. Deutschland ist das Land, in dem infolge eines Infektionsschutzgesetzes selbst Grundrechte infrage gestellt werden dürfen, aber das Verbot einer juden- und christenfeindlichen Bewegung scheitert, weil sie aus drei Dachverbänden besteht. Indes unterwandern die Suprematisten laut „Report Mainz“ und DLF sogar Union, SPD und FDP.
DBK hält sich bedeckt
Während ein Sprecher der EKD auf die Drohgebärden gegen Mitchristen einging, hielt sich die Deutsche Bischofskonferenz bedeckt. Man werde sich „zu diesem Thema derzeit nicht äußern“, teilte Pressesprecher Matthias Kopp mit. Dabei hat nicht nur die Armenische Kirche, sondern auch die Katholische Kirche ihre Erfahrungen mit den türkischen Rechtsextremisten gemacht. Mehmet Ali Agca war in den 70er und 80er Jahren tief in die Strukturen der Grauen Wölfe integriert und türmte mit einem ihrer Anführer, Abdullah Catly, aus dem Gefängnis. 3 Millionen Mark soll der Waffenhändler Bekir Celenk, der als Unterhändler des Bulgarischen Geheimdienstes agierte, den Grauen Wölfen für Agcas Hilfe zugesteckt haben. Sie waren das Kopfgeld, das auf Papst Johannes Paul II. ausgesetzt wurde. Am 13. Mai 1981 haben auch die Grauen Wölfe mitgeschossen.
Dieser Beitrag von Marco Gallina erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.