Tichys Einblick
Britische Fachzeitschrift "The BMJ"

Die verlorenen Lektionen von Tamiflu und anderen Arzneistoffen

Eine renommierte Fachzeitschrift ruft das Scheitern des Impfstoffs Tamiflu in Erinnerung. Dessen gar nicht so alte Geschichte zeige uns jetzt, »wie wenig wir lernen«.

imago images / PA Images

Fiona Godlee ist Chefredakteurin der renommierten britischen Zeitschrift the bmj, früher British Medical Journal genannt, das seit 1840 wöchentlich über Medizinthemen informiert. In ihrem aktuellen Editorial schreibt Godlee: »Die Geschichte der Covid-19-Pandemie wird nicht nur mit verlorenen Menschenleben und Lebensgrundlagen übersät sein, sondern auch mit den aufgeblähten Kadavern von Behandlungen, die gehypt und mit großem Aufwand gekauft wurden.«

Fiona Goodlee, daran muss erinnert werden, ist diejenige Wissenschaftsjournalistin, die eine wesentliche aufklärende Rolle beim früheren Tamiflu-Skandal spielte. Sie tat etwas für zeitgenössische Wissenschaftsjournalisten Ungehöriges, zeigte anstelle von Haltung Recherchierwillen und griff den Hersteller Roche an, weil der sich weigerte, wichtige Daten offenzulegen. Das war 2009, als die »Schweinegrippe« kursierte und ebenso kräftig Panik geschürt wurde.

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Diese bei Schweinen weit verbreitete Atemwegserkrankung verläuft in der Regel harmlos, allerdings hatte sich in Mexiko und in den USA ein Subtyp des Virus entwickelt, der von Mensch zu Mensch übertragbar war und sogar Todesfälle verursacht hatte. Die WHO ordnete die Grippe als Pandemie mit der höchsten Gefahrenstufe ein, Impfstoffe wie Pandremix waren schnell da; das Grauen einer tödlichen Pandemie im Hintergrund orderten viele Länder für hunderte Millionen Euro Impfdosen, ohne dass zuverlässige Daten über Wirksamkeit und Folgewirkungen vorlagen. Allein Deutschland investierte 34 Millionen Euro. Es liessen sich allerdings längst nicht so viele Menschen impfen wie geplant, 30 Millionen nicht verbrauchter Impfdosen waren nach zwei Jahren abgelaufen und landeten in Müllverbrennungsanlagen.

Eine sehr unrühmliche Rolle spielte dabei übrigens ein Virologe namens Christian Drosten, der damals zur Impfung mahnte: »Bei der Erkrankung handelt es sich um eine schwerwiegende allgemeine Virusinfektion, die erheblich stärkere Nebenwirkungen zeitigt, als sich irgendjemand vom schlimmsten Impfstoff vorstellen kann«. Für einen Teil der Geimpften endete die Aktion tatsächlich mit einer schweren Erkrankung. Sie leiden seitdem an der unheilbaren Schlafkrankheit, der Narkolepsie. Lebenslänglich. Die Impfung hatte gesunde Menschen krank gemacht.

Tamiflu war ein weiteres Wundermittel, das von der Pharmaindustrie ins Spiel gebracht wurde. Dieser sogenannte Neuraminidase-Hemmer sollte die Schneidwerkzeuge der Viren beim Verlassen der befallenen Zelle blockieren. Die Idee des Mittels klang seinerzeit überzeugend – in der Praxis erwies es sich als eher schlecht, und die Schweinegrippe verschwand still und heimlich, wie sie gekommen war – wie jede Pandemie.

Milliarden Dollar waren 2009 im Spiel um die Schweinegrippe-Impfstoffe. Hauptsächlich Arzneimittelfirmen finanzierten die Forschung an den Mitteln, eine »qualitativ minderwertige Forschung«, wie Godlee urteilt. »Beide hinterlassen Schäden, die nur unzureichend erforscht und gemeldet wurden.«

Godlee erinnert sich an ihre Arbeit 2009 und vergleicht die Vorgänge damals mit der aktuellen Notzulassung von Remdesivir als Wirkstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2: »Während die Wahrheit über Tamiflu erst nach jahrelanger kräftezehrender Arbeit der Cochrane Review-Gruppe und der investigativen Journalisten ans Licht kam, wurden die Machenschaften hinter dem rasanten Aufstieg von Remdesivir bereits in einem frühen Stadium offensichtlich.«

Am 1. Mai erhielt die Herstellerfirma Gilead für Remdesivir in den USA die Notzulassung für schwer kranke Covid-10-Patitenten, am 3. Juli wurde Remdesivir in der EU zugelassen.

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Godlee: »Am 29. April, am selben Tag, an dem eine Studie veröffentlicht wurde, die keine signifikante Wirkung von Remdesivir bei Patienten im Krankenhaus zeigte, gab der Hersteller von Remdesivir die Zwischenergebnisse einer verheißungsvolleren Studie per Pressemitteilung und bei voller Ovation des Weißen Hauses bekannt.« Mit den minimalen Vorteilen, die sich seinerzeit bei schwerkranken Menschen zeigten, rechtfertigte sogar die amerikanische Zulassungsbehörde FDO die Arzneimittelzulassung von Remdesivir.

Eine viel umfangreichere Studie bei Krankenhauspatienten habe allerdings wenig oder keinen Nutzen ergeben, so Godlee weiter und eine Schnellempfehlung des BMJ, bei der auch die Weltgesundheitsorganisation WHO mitwirkte, kam zu einem konträren Ergebnis und hatte sich gegen den Einsatz von Remedesivir bei Patienten mit Covid-19 jeglichen Schweregrades ausgesprochen.

Godlee: »Wissenschaft durch Pressemitteilungen, auf der Grundlage von Zwischen- oder Ad-hoc-Analysen und ohne Zugang zu den Daten, beeinträchtigt auch unser Wissen über die Covid-19-Impfstoffkandidaten. … Die Patienten und die Öffentlichkeit haben Besseres verdient. Das gilt auch für die Angehörigen der Gesundheitsberufe. Pandemie oder keine Pandemie, Entscheidungen müssen auf der Prüfung der vollständigen Daten aus Studien beruhen, die von den Arzneimittel- und Impfstoffherstellern unabhängig sind.«

Die Pandemie, so schliesst Godlee ihr Editorial, habe sich besonders schädlich auf Kinder ausgewirkt, von denen viele im Winter hungern müssten, und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-Restriktionen spürten sie stärker.

The BMJ sammelt Spenden für das unabhängige Lebensmittelhilfswerk Independent Food Aid Network, das eine Reihe von Organisationen in ganz Großbritannien unterstützt. Godlee: »Die Vision des Netzwerks ist ein Land, das keine Nahrungsmittelsoforthilfe benötigt und in dem gute Nahrungsmittel für alle zugänglich sind.« Hungernde Kinder in Industriestaaten gefördert durch unfähige Pandemiepolitik – das muss erst sacken.

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