Letzte Woche durfte ich mitten in der Adventszeit die Andacht eines Theologen in kirchenleitender Funktion erleben. Eigentlich ein Grund zur Freude, denn ich höre gerne von dem Glauben meiner Kollegen und freue mich immer auf Impulse für meinen eigenen christlichen Glauben.
Doch leider wurde ich in dieser Andacht tief frustriert.
Der zugrundeliegende Bibeltext aus der Weihnachtsgeschichte lautete: „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ (Lukas 2,7).
In mir als evangelischem Pfarrer regen sich mittlerweile bei solchen Andachten größte Widerstände und Aversionen:
Erstens: In dieser Andacht wird fatal mit der Bibel umgegangen. Da beschreibt die Bibel kurz und nüchtern, wie die schwangere Maria mit ihrem Verlobten Josef wegen Überfüllung der Stadt für eine Nacht kein Hotelzimmer findet und darum in einen Stall ausweichen muss. In der Andacht aber wird diese Bibelstelle dazu instrumentalisiert, um eine bestimmte staatliche Migrationspolitik zu legitimieren und zu sakralisieren. Aus einer kurzzeitigen Hotel-Überbuchungsnotlage in Bethlehem vor 2000 Jahren wird kurzerhand eine apodiktische politische Maxime für die Völkerwanderungszeit des 21. Jahrhunderts.
Die Bibel ist bei solcher Auslegung kein anregendes Gegenüber mehr, das mich in meinem Leben und in meinem Glauben herausfordert, hinterfragt, mir neue Horizonte eröffnet. Stattdessen werden biblische Worte als Sprungbrett missbraucht, um die eigene Ideologie der grenzenlosen Flüchtlingsaufnahme religiös überhöht in Szene zu setzen. Damit ist aus dem protestantischen „alleine die Schrift“ ein „allein die Ideologie“ geworden, die über die heilige Schrift gestellt wird.
Dass wir Flüchtlingen helfen müssen, das steht außer Frage; dafür brauche ich nicht die Weihnachtsgeschichte. Wer aber ein Flüchtling ist, dem wir helfen müssen, und auf welche Art und Weise wir Flüchtlingen helfen sollten und wieviele Flüchtlinge wir nach Deutschland holen können, ohne die eigenen Sozialsysteme zu überfordern, bei diesen zentralen politischen Fragen hilft mir die Weihnachtsgeschichte auch nicht weiter.
Vielleicht ist der Verzicht auf die eigene Ideologie der erste und wichtigste Schritt, der Weihnachtsgeschichte bei uns eine Herberge zu geben. Ansonsten kommen Andachten heraus, wo unsere Ideologie eine wunderbare Hotelunterkunft hat, aber die Weihnachtsgeschichte mit ihrer frohen Botschaft elendig im Stall landet.
Zweitens: In dieser Andacht wird die Kirche überflüssig gemacht. Alles, was in der Andacht gesagt wird, kann ich jeden Tag im Jahr in Endlosschleife in den Medien und auf allen rotgrünen Parteitagen hören. Wenn die Kirche aber nichts Eigenes mehr zu sagen hat und zu einem Echo des Mainstreams degeneriert, dann macht sie sich selber überflüssig.
Es braucht nun mal keine Kirche, die in der Sahara daran erinnert, dass wir den Sand nicht vergessen sollen. Genauso wenig wie unsere Gesellschaft eine Kirche braucht, die uns ermahnt, die Klimaerwärmung nicht zu vergessen, wo von „Fridays for Future“ über „klimaneutrale DHL-Paketzustellungen“ bis hin zur CO2-Besteuerung ab 1.1.2021 an allen Ecken und Enden dieses Thema bespielt wird.
Drittens: Mit solchen Andachten vergrault man einen erheblichen Teil seiner Kirchenmitglieder – nämlich all die politisch aufgeweckten Gemeindeglieder, die der Meinung sind, dass grundlegende politische Fragen nicht vom Pfarrer in Andachten von oben herab für alles Volk zu bestimmen sind. Demokratie braucht nicht klerikale politische Besserwisserei, sondern die offene und ehrliche Diskussion und den kontroversen Streit.
Viertens: In dieser Andacht wird die frohe christliche Botschaft, dass Gott selbst in die dunkelsten Ställe unseres Lebens kommt, zu einer moralinsauren Gardinenpredigt: Nehmt alle Flüchtlinge auf! Beendet die Klimaerwärmung! Macht endlich das Weltwirtschaftssystem gerecht!
Die echte biblische Weihnachtsgeschichte dagegen ist eine Goldgrube. „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Das ist die Goldader, die es freizulegen gilt.
Doch Goldschürfen ist eine harte Arbeit. Da mag es eine Versuchung sein, diese harte Arbeit zu umgehen, und sich stattdessen kurzerhand mit einer vermeintlich glänzenden politischen Ideologie zu schmücken. Gerade wenn diese politische Ideologie von einer Mehrheit der Bevölkerung oder der gesellschaftlichen Elite geteilt wird. So hat sich die Evangelische Kirche in weiten Teilen 1900 mit dem Kaiserreich verschmolzen. So hat sich die Evangelische Kirche 1933 in weiten Teilen mit der Nazi-Ideologie verschmolzen. Und so verschmelzt man sich 2020 halt mit dem linksgrünen Zeitgeist.
Parteipolitische Weihnachtspredigten sind ein Irrweg, die sowohl dem Glauben als auch der Politik nicht gut tun. Darum wird es Zeit, dass immer mehr Gemeindeglieder solchen parteipolitischen Weihnachtspredigten widersprechen und nach der biblischen Botschaft fragen.