Wirtschaftsjournalisten schreiben über die währungspolitischen Folgen der Schweizer Nationalbank-Entscheidung, den Franken nicht mehr an den Euro zu binden. Schon die wirtschaftspolitischen Konsequenzen nehmen sie weniger in den Blick. Was dieser Schritt politisch für die Schweiz selbst, für Europa und das internationale Gefüge bedeuten kann, taucht in den Medien kaum auf. Da bin ich den zwei Schweizern Beat Balzli und Roger Köppel sehr dankbar, die sich auf der Plattform Die Welt widersprechen.
In einem stimmen beide Eidgenossen überein. Sie gehen davon aus, dass die Schweiz den wohl bevorstehenden Billionen-Aufkäufen von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank zuvorkommen und den Euro nicht weiter subventionieren will. Balzli sagt, der Chef der Schweizer Nationalbank (SNB) „wollte nicht auf einem noch größeren Euro-Berg mit zweifelhaftem Wert sitzen müssen.“ Köppel: „Was der Euro-Zone dringend benötigte Wachstumsimpulse geben soll, wäre für die SNB mit Blick auf die Untergrenze geldpolitischer Selbstmord gewesen.“ So weit so einig.
Für Roger Köppel ist das „die Emanzipation vom Euro“, für Beat Balzli „das schmerzhafte Ende der Illusion, stark genug für globale Verwerfungen zu sein“. Entgegengesetzter geht es nicht. Balzli sieht die Schweiz im Abstieg, Köppel im Aufstieg.
Für Balzli siegt mit dem Ende des Mindestkurses nicht die Unabhängigkeit: „Die Schweiz muss schlicht einmal mehr den Glauben aufgeben, sich so wie einst gegen die Realitäten von jenseits der Grenze abschirmen zu können.“ Köppels Prognose: „Der starke Franken wird durch die sprunghafte Aufwertung wohl eine Blutspur produzieren, aber mittel- bis langfristig wird er die Industrien und Dienstleistungsbetriebe wie bisher in der Wirtschaftsgeschichte zwingen, innovativ zu sein, hervorragende Produkte zu produzieren und sich auf Märkte mit hoher Wertschöpfung zu konzentrieren.“
Es gibt einen sehr einfachen Grund, warum ich meine, Köppel wird Recht bekommen. Mit dem garantierten Wechselkurs – 1 Euro = 1,20 Franken – kam die Schweiz dem Verlangen von höchst verschiedenen Interessengruppen von der Exportwirtschaft über die Tourismusbranche bis zu den Gewerkschaften nach, das teure, ja überteuerte Schweizer Preisgefüge über die Runden zu retten. Damit sollte nach offizieller Lesart dem Anpassungsprozess der Schweizer Wirtschaft mehr Zeit gegeben werden. Die tatsächliche Wirkung war weit überwiegend, dass Anpassungsprozesse an vielen Stellen aufgeschoben, zaghaft oder gar nicht in Angriff genommen wurden.
Roger Köppel schreibt: „Die Schweiz ist kein Auslaufmodell. Ihr politisches System der Bürgernähe, der direkten Demokratie und der Selbstbestimmung erweist sich im Gegenteil als zukunftsweisend.“ Die Schweizer Nationalbank setzt mit der Entkoppelung des Franken vom Euro Wettbewerbskräfte frei. Und zwar nicht nur in der Schweizer Wirtschaft, sondern auch in der innenpolitischen Debatte. Im Oktober finden Nationalratswahlen statt. Die Schweizer Parteien werden ihre Strategien im Lichte der Währungsentscheidung mindestens justieren müssen. Aber das ist noch nicht alles.
Dass ein Land, noch dazu ein kleines wie die Schweiz, zentralen Wünschen der Europäischen Union und ihrer Institutionen nicht folgen muss, entgeht natürlich anderen in Europa und international nicht. Überall gibt es mehr politische Bewegung, als uns die Medien bisher zeigen.