Im Oktober war die Lage noch eine andere. Der Volkszorn in den sozialen Medien drohte hochzukochen, nachdem am 4. Oktober in Dresden zwei Homosexuelle von einem als Gefährder bekannten Islamisten aus Syrien mit einem Messer angegriffen worden waren. Für eines der Opfer endete diese Begegnung tödlich. Danach setzte sich Innenminister Horst Seehofer sich entsprechend in Szene, indem er ankündigte, den Abschiebestopp nach Syrien nun zu beenden bzw. überprüfen zu wollen. Ausweisungen für Straftäter und Gefährder sollten neu geprüft werden. Das klang aber bereits schon verdächtig so, als wolle er gar nicht so recht.
Dass Abschiebungen zu Hunderttausenden nicht vollzogen werden, liegt aber nur zum geringeren Teil an diesem speziellen Abschiebestopp nach Syrien, sondern nicht zuletzt auch an jener Armee von Anwälten, die auf Masse arbeitet und über die Hälfte aller ablehnenden Bescheide zum Beispiel nach Afghanistan erfolgreich torpediert und Abschiebungen oft lange genug verzögert, bis der befristete oder gar Daueraufenthalt der Mandanten automatisch gesichert ist.
Faktisch ist das, was Seehofer in Aussicht stellte, tatsächlich ein großer Quatsch, denn Abschiebungen funktionieren in der Regel nur, wenn auch diplomatische Beziehungen zum Herkunftsland der Abzuschiebenden bestehen. Aber zum Assad-Regime gibt es diese nicht mehr.
Kurios übrigens die nachgeschobene Begründung von Pistorius, dass die Mehrzahl der Gefährder zudem gar nicht aus Syrein stamme. Wie ist das gemeint? Dass die Syrer gar keine Syrer sind, sondern mit falschem syrischem Pass eingereist sind, weil sie sich als Syrer einen sichereren Aufenthaltstitel in Deutschland erhofften? Wenn man das aber weiß, warum wurde hier nicht viel früher reagiert? Auch diese Zurückhaltungen sind populistisch. Nur eben in die andere Richtung.
Jetzt sind ein paar Wochen ins Land gezogen und die Innennministerkonferenz auf der Seehofer den Abschiebungsstopp durchsetzen zu wollen behauptet, beginnt am Mittwoch und dauert bis Freitag. Der thüringische Innenminister Georg Maier, der dieses Treffen leiten wird, bescheinigte dem „Unionsvorstoß“, den Abschiebestop teilsweise aufzuheben aber bereits kaum Aussicht auf Erfolg, weil die SPD-Innenminister diesem Vorschlag nicht zustimmen würden. Man würde nicht zustimmen, weil hier rechtliche und praktische Gründe dagegen sprechen würden. Was faktisch übrigens auch so ist.
Aber warum wird dann nicht darüber verhandelt, diese rechtlichen Grenzen, wo das möglich ist, zu refomieren?
Beispielsweise in Sachen Klagen gegen Corona-Maßnahmen war die Bundesregierung in wenigen Tagen in der Lage, sich zu bestimmten zuvor unrechtmäßigen Maßnahmen neu zu positionieren und den Bundestag darüber positiv abstimmen zu lassen, auch der Bundespräsident hat noch am gleichen Tag seinen Segen per Unterschrift gegeben.
Man muss aber gar nicht lange rätseln, warum das nicht beim Themenkomplex anstehende Abschiebungen ebenso flott geht. Oder noch umfassender formuliert: Warum nicht gleich der gesamte Komplex Asylgesetzgebung refomiert wird.
In vorangegangenen Konferenzen haben sich die Innenminister über ganz andere Dinge den Kopf zerbrochen, als in Sachen anstehende Abschiebungen endlich effektiver vorzugehen und die Dringlichkeitsglocken zu läuten. Die Frage, ob der Mord in Dresden hätte verhindert werden können, ist daher zwingend zu stellen.
Aber stattdessen werden eben ganz andere Themen von den Innenministern besprochen. Themen, die den Steuerzahler am Ende Milliarden kosten, ihre Lebensumstände aber keinesfalls verbessern. Beispiele gefällig?
TOP 2: Intensivierung und Ausweitung der Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/Antisemitismus in Deutschland
TOP 6: Maßnahmen zur Stärkung der Bearbeitung des Rechtsextremismus im Verfassungsschutzverbund in Verbindung mit
TOP 7: Umgang der Verfassungsschutzbehörden mit rechtsextremistischen Bestrebungen im Internet, insbesondere mit Blick auf die Bearbeitung in den Ländern
TOP 17: Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen und Strafverschärfung bzw. Schaffung eines Straftatbestandes bei Einsatz von Pyrotechnik
Und unter TOP 28 findet sich dann der Punkt: „Verlängerung Abschiebestopp nach Syrien“ und gleich einen Punkt weiter heißt es:
„TOP 29: Verbesserung der Durchsetzung von Ausweisungen und Abschiebungen bei straffälligen Ausländen/ Flüchtlingen und Gefährdern“
Alleine in diesen beiden aufeinanderfolgenden Punkten ist das ganze Dilemma ablesbar: Abscheibungen stoppen ja, aber gleichzeitig darüber debattieren, anderswo Ausweisungen und Abschiebungen zu erleichtern.
Die Innenminister löffeln im Auftrag der Bundeskanzlerin ihren Eintopf mit der Gabel und der Bundessinnenminister haut auf den Tisch und verlangt Löffel in der Hoffnung allerdings, dass die Suppe zwischenzeitlich kalt geworden ist und niemanden mehr interessiert. Und so wird es dann auch ab Mittwoch auf der Innenministerkonferenz in Sachen Abschiebungen nach Syrien kommen.
Als Schlussbemerkung: Auch das ist natürlich nur die vermeintliche Fleischeinlage. Denn es spricht tatsächlich vieles dafür, nicht nach Syrien abzuschieben. Aber was hat das mit weiteren hunderttausend Abschiebungen zu tun, die vollzogen werden müssen? Nichts. Es lenkt nur geschickt davon ab, dass die Regierung ihre Arbeit nicht macht und stattdessen Horst Seehofer losschickt, die Backen aufzublähen bis es vorbei ist.