Israel, kleines Land mit großen Problemen. Viele davon sind allerdings selbstgemacht. Zwei Egomane richten im 73. Jahr nach der Wiedergründung wieder ihre Stoßhörner aufeinander: Benyamin Netanyahu und Benny Gantz. Dabei könnte alles so schön sein: Israel wird zur Zeit von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein und Sudan besser behandelt als von seiner eigenen politischen Führung. Die deutsche Politik und auch die meinungsbildenden Medien nehmen die Entwicklung nur beiläufig zur Kenntnis.
Es geht natürlich wieder ums liebe Geld. Wenn der 128-Milliarden-Dollar-Staatshaushalt Israels bis zum 23. Dezember nicht abgestimmt ist, wird das Parlament aufgelöst. Neuwahlen sind dann zwischen März und Juni 2021 zu erwarten – die vierten in zwei Jahren. Weder das lebensbedrohende Corona-Virus noch der bevorstehende Wechsel im Weißen Haus, der mehr Fragezeichen als Antworten aufwirft, kann die beiden Kontrahenten davon abhalten, sich gegenseitig zu demütigen. Ihr gemeinsames Ziel: beide wollen die Abkürzung PM (Prime Minister) vor ihrem Namen sehen. Der eine ist es bereits im elften Jahr, der andere nennt sich seit Mai „alternierender Ministerpräsident“ und glaubt tatsächlich, dass er im Herbst 2021 übernehmen wird.
Zum Glück läuft die Außen- und Wirtschaftspolitik trotz eines begonnenen Wahlkampfes im Streitmodus und trotz beängstigender Corona-Zahlen so gut wie noch nie. Scheichs im Rang von Ministern aus den Golfstaaten VAE und Bahrein geben sich in Jerusalem die Klinke in die Hand und erzählen Dinge über Israel, von denen man vor wenigen Monaten nicht mal zu träumen wagte. Der Minister für Industrie, Handel und Tourismus aus Manama, Zayed R. Alzayani, verbrachte diese Woche drei Tage in Israel und bezeichnete seinen Spaziergang durch Jerusalem als „spirituellen Höhepunkt“. Von Reportern angesprochen, ob er sich wegen der Bedrohung aus dem Iran in Israel gefährdet fühle, meinte der Würdenträger aus Bahrein: „Nein, Sie schauen zu viel James-Bond-Filme“. Und fügte hinzu: die Bedrohung Israels durch Iran sei zuallererst eine Bedrohung Bahreins. „In Jerusalem fühle ich mich sicher“.
Ein milliardenschwerer Geschäftsmann aus VAE, Khalaf Ahmad Al Habtoor, dem auch das berühmte Burj Al Arab-Hotel in Dubai gehört, erzählt diese Woche einem israelischen TV-Sender ausführlich, dass Iran und Hisbollah eine große Terrorgefahr darstellen. Hisbollah müsse von der Erde verschwinden und Israel solle endlich aktiv werden – und zwar „100 Prozent“. Israeli, die 72 Jahre lang Krieg und Terror unterstützt durch arabische Nachbarstaaten er- und überlebt haben, reiben sich angesichts der täglichen Nachrichten ungläubig die Augen.
Dabei gäbe es dafür allen Grund. Israels High-Tech-Szene hat in den ersten elf Monaten dieses Jahres mit 9,7 Milliarden US-Dollar mehr an Investitionen angelockt als im gesamten Jahr 2019 mit 8,3 Milliarden. Zwar hat die Covid-19-Krise auch Israels Wirtschaft mit einer Arbeitslosenquote, die mit 16 Prozent viermal höher ist als im Januar, schwer getroffen. Aber nach der alten Weisheit, es gibt nichts Schlechtes, was nicht auch etwas Gutes bringt, sind in diesem Jahr die reisefreudigen Israeli zu Hause geblieben und haben drei Milliarden an Devisen im Staatssäckel belassen. Israels Energiebedarf wird immer mehr durch eigene Solartechnologie in der Wüste Negev und Gasvorkommen vor der Küste gedeckt. Auch dadurch fließen weniger Dollar-Milliarden ins Ausland. Eine Wohltat für Israels Staatsfinanzen, die Erfolge zeitigen: der israelische Shekel war seit der Finanzkrise im Juli 2008 nicht mehr so stark wie heute.
In Israel trauern viele dem scheidenden US-Präsidenten Donald Trump nach. Die Einführungs-Rede des neuen amerikanischen Außenministers Tony Blinken hat die Menschen tief berührt und lässt hoffen, dass der eingeschlagene Weg der US-Nahost-Politik sich nicht wesentlich ändern wird. Sein Stiefvater Samuel Pisar, erzählt Tony Blinken, sei eines von 900 Kindern aus dem polnischen Bialystok gewesen, das nach vier Jahren in einem Konzentrationslager überlebte. Als er eines Tages im Frühjahr 1945 auf einem Waldweg in Bayern einen Panzer auf sich zurollen sah, erkannte er anstatt des eisernen Kreuzes einen fünfzackigen weißen Stern. Es öffnete sich die Panzerluke und ein farbiger US-Soldat begrüßte ihn. Der kleine Samuel kniete nieder und sagte die einzigen englischen Worte, die ihn seine Mutter gelehrt hatte: God bless America.