Die Türkei ist NATO-Mitglied. Die Türkei bekommt von Deutschland Waffen geliefert. 2019 ging es um einen Wert von 344,6 Millionen Euro und damit um mehr als ein Drittel der gesamten deutschen Kriegswaffenexporte. Die Türkei ist (offiziell immer noch) Kandidat für den Beitritt zur EU und bekommt als „Vorbeitrittshilfe“ auch 2020 168 Millionen Euro. Also ist doch alles in Butter!
Nein, ist es eben nicht! Denn der Autokrat am Bosporus macht, was er will. Erdoğan schickt aktuell Truppen ins muslimisch geprägte Aserbaidschan, um damit das christlich geprägte Armenien zu schwächen. Die Türkei erkundet rechtswidrig im Gebiet südlich der griechischen Insel Rhodos Erdölvorkommen. Erdoğan beleidigt den französischen Staatspräsidenten Macron, als dieser einen verschärften Kampf gegen Islamismus ankündigt.
Nun hat Erdoğan Deutschland erneut brüskiert. Die deutsche Marinefregatte „Hamburg“ sollte am Sonntagnachmittag, 22. November, ab späterem Nachmittag, im östlichen Mittelmeer etwa 150 Seemeilen nördlich der libyschen Stadt Bengasi 250 Container an Bord eines unter türkischer Flagge fahrenden Frachters kontrollieren. Der Frachter stand im Verdacht, Waffen nach Libyen zu transportieren und damit das UN-Waffenembargo zu unterlaufen. Die türkische Regierung protestierte dagegen, die Inspektion musste unterbrochen werden und das Containerschiff durfte weiterfahren. Die deutschen Marinesoldaten hatten bis dato zwar nichts Verdächtiges gefunden, sie konnten aber die Inspektion nicht zu Ende führen.
Der Hintergrund: Erdoğan behauptet eine gemeinsame Seegrenze zwischen der Türkei und Libyen, auch wenn in diesem Bereich die griechische Insel Kreta liegt. Nach Libyen schickte er Anfang 2020 sogar Soldaten zur Unterstützung des international anerkannten, aber reichlich machtlosen Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch, der über Tripolis hinaus kaum libysche Gebiete beherrscht – anders als sein Kontrahent General Chalifa Haftar, der über rund 80 Prozent der libyschen Ländereien gebietet und von Russland und Frankreich unterstützt wird.
Und dann? Nichts mehr! Berlin schweigt, Brüssel schweigt – sowohl als EU wie auch als NATO. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte, man habe wegen des Vorfalls die türkische Regierung kontaktiert und berichte derlei Fälle den Vereinten Nationen. Bei so viel lascher Reaktion wird Erdoğan weiter sein Unwesen treiben. Und er wird sich motiviert sehen, die Grenzen seines Handelns immer noch weiter auszudehnen.
Es ist lächerlich, was dieses „Europa” hier mal wieder (nicht) zustande bringt. Nicht einmal (oder schon gar nicht?) unter einer deutschen EU-Ratspräsidentschaft!