Tichys Einblick
Totensonntag

Friedhof: Besinnung inmitten der Stadt

Der Friedhof ist ein friedevoller Ort der Ruhe und der Trauer, durch eine Mauer abgeschieden von der lauten und trubeligen Welt da draußen.

imago images / Norbert Neetz

Ein Friedhof in Düsseldorf an einem schönen Herbsttag im November 2020. Einige Menschen pflegen die Grabstätten mit hingebungsvoller oder pflichtbewusster Sorgfalt. Ihre Sprache der Trauer und der Liebe.

Andere gehen ihren Erinnerungen nach oder unterhalten sich gar mit dem Verstorbenen. Ihre Art tiefer Verbundenheit.

Wieder andere haben sich im laufe der letzten Friedhofsbesuche etwas kennengelernt und kommen ein wenig ins Gespräch. Das tut gut. „Hier versteht mich jemand, weil er in einer ähnlichen Situation ist.“

Und manche nutzen den Friedhof einfach als grüne Oase und Besinnungsmeile inmitten der Stadt. Der Friedhof – ein friedevoller Ort der Ruhe und der Trauer, durch eine Friedhofsmauer abgeschieden von der lauten und trubeligen Welt da draußen.

In der Nähe des Eingangs steht ein „Schaukasten“; das Aushängeschild des Friedhofsbesitzers, eine evangelische Kirchengemeinde. Mit dem Schaukasten kann die Kirche in Kontakt mit den Friedhofsbesuchern treten.

Was ist der Kirche wichtig zum Thema Tod und Trauer und Seelsorge?

Der Schaukasten wird dominiert von einem großen grellroten Plakat. Darauf stehen folgende Worte: „Düsseldorf steht für Humanität, Respekt, Vielfalt.
Rassismus, Hetze und Ausgrenzung haben bei uns keinen Platz.“

Hat die Kirche keine eigene Botschaft? Hat die Kirche im Angesicht des Todes nichts anderes als das, was auch sonst tausend mal in der ganzen Stadt plakatiert ist?

Ungewollt wird dieser Schaukasten für mich zu einem Symbol für eine ichschwache evangelische Kirche: Sie verleugnet ihre eigenen jahrtausendbewährten Goldschätze der Empathie und des Trostes und wird zur abgehalfterten Echokammer staatlicher Propaganda in staatlich-kirchlicher Symbiose.

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Und das mit einem Inhalt, der hier auf dem Friedhof hinpasst wie ein Hering in die Sahara. Denn das ist nicht „Humanität“ und „Respekt“, wenn ich trauernde Menschen zum Objekt politischer Belehrung mache. Das ist nicht „Humantität“ und „Respekt“, wenn ich wie in der DDR immer und überall gutmenschliche Begriffe über die Menschen auskippe – ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten und Situationen. Freiheit beginnt nicht zuletzt da, wo der einzelne Bürger vor einem übergriffigen Staat und seinen kirchlichen Vollstreckungsgehilfen geschützt werden muss.

Wenn die Inhalte des Propaganda-Plakats wenigstens noch Sinn machen würden.
„Ausgrenzung hat bei uns keinen Platz“, sagt die Kirche auf dem Friedhof. Dabei drückt die Friedhofsmauer doch das Gegenteil aus – eben genau die Sinnhaftigkeit mancher Ausgrenzung. Oder möchte die Kirche auf dem Friedhof Fußball-Grillparties und Skateboard-Slalomfahrten zwischen den Grabsteinen erlauben?

„Düsseldorf steht für Vielfalt“ – auch darüber lässt sich streiten. Versuchen Sie mal auf einem städtischen Friedhof einen Trauerfeiertermin freitags nach 13.00 Uhr zu bekommen. Wer solche Vielfalt will, der muss sich schon an private Friedhöfe wenden, wo sogar Beerdigungen um 2.00 Uhr nachts bei Mondschein möglich sind. Von den oftmals knappen Zeit-Taktungen einer Trauerfeier in großstädtischen Trauerhallen ganz zu schweigen. Auch hat die Vielfalt auf manchen Friedhöfen in Punkto Grab- und Grabsteingestaltung durchaus noch Luft nach oben.

Und wie sieht es aus mit Rassismus und Hetze auf dem Friedhof? Ist das an diesem Ort ein ernsthaftes Problem, dem der Kampf angesagt werden muss? Lassen Sie mich dazu ein Begebenheit aus meinem Arbeitsbereich in Mülheim erzählen. Als ich nach einer Beerdigung zu meinem Auto gehen will, treffe ich auf dem Friedhof einen Mann serbischer Herkunft, nennen wir ihn Herrn Ilic. Wir kennen uns von einer Diskussion in seinem Schrebergarten.

Er ist immer noch voll Hass auf Albaner und Kroaten, sogar antisemitische Töne spuckt er immer wieder aus. Ich versuche tapfer dagegenzuhalten. Doch es ist vollkommen zwecklos. Die „Diskussion“ bringt nur heiße Köpfe und kalte Herzen.

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Jetzt treffe ich Herrn Ilic direkt an dem Grab seiner Frau. Um nicht wortlos an ihm vorüberzugehen, spreche ich ihn an: „Sie pflegen das Grab ihrer Frau aber liebevoll.“ Und dann passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe: Zwanzig Minuten erzählt er mir mit Tränen in den Augen, was ihm seine Frau bedeutet und wie sehr er unter ihrem Tod leidet. Und ich erlebe eine ganz andere Seite von Herrn Ilic. Und er erlebt eine ganz andere Seite von mir.

Die Trauer als Brücke. Das Wunder einer kleinen Annäherung, die außerhalb der Friedhofsmauern eventuell sogar Konsequenzen für unsere politischen Diskussionen haben könnte.

Billige Platzverweise mit roten Karten oder roten Plakaten auf dem Friedhof helfen nicht weiter. Vielleicht spüren das die Menschen. Kein Friedhofsbesucher bleibt an diesem Nachmittag vor diesem Schaukasten stehen. Auch in der DDR hatten viele Bewohner die Propaganda schon gar nicht mehr wahrgenommen. Wo vor lauter Parolen und Ideologie die Realität aus dem Blick gerät, da wenden sich die Menschen ab – die einen früher, die anderen später.

Aber irgendwie schaffe ich es noch nicht, Worte nicht beim Wort zu nehmen. Irgendwie schaffe ich es noch nicht, Schaukästen nicht ernst zu nehmen, meine Kirche nicht ernst zu nehmen. Ich bin vielleicht noch nicht ganz im Neuen Deutschland angekommen.

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