Tichys Einblick
Durchblick schenken 2020

Über Richard David Precht und die Kunst des Prechtlns

Jan Fleischhauer beherrscht souverän die Kunst der eleganten Provokation. Kritiker loben seine Fähigkeit, ganz „old school“ eine Haltung der Distanz zu kultivieren, einer „destruktiven Teilhabe“, die seinen Kolumnen Milieudurchlässigkeit verleiht. Ein Auszug aus seinem aktuellen Buch "How dare you!".

In der »Zeit«, der bekannten Wochenzeitung aus Hamburg, las ich einen Beitrag über Leben und Wirken des deutschen Philosophen Richard David Precht. Wie beim Kulturteil der »Zeit« nicht anders zu erwarten, handelte es sich um eine Verfallsbeobachtung. Weil alles, was von oder über Precht zu sagen ist, unmittelbar moralsteigernd wirkt, sei der Text hier in Gänze wiedergeben:

»Richard David Precht trägt heute in der Gesellschaft kaum noch zur politischen Willensbildung bei. Er ist primär ein Selbsterhaltungssystem ohne echten Austausch mit anderen gesellschaftlichen Systemen. Dafür gibt es viele Gründe, von denen Richard David Precht durchaus nicht alle selbst verschuldet hat. Was vorrangig fehlt, ist eine Zukunftsvision, wie wir angesichts gewaltiger Herausforderungen in zehn oder zwanzig Jahren leben wollen. Doch statt Haltungen zu entwickeln und entsprechende politische Strategien zu generieren, reagiert Richard David Precht auf kurzfristige Aufregungsthemen, die von den Massenmedien gespeist werden. Was wir brauchen, ist eine ehrliche Diskussion über die Zukunft der Demokratie und seine Rolle dabei. Da diese aber von Leuten wie Richard David Precht nicht gewollt sein kann, bleibt alles beim Alten.« Okay, das entsprach jetzt nur zu 92 Prozent der Wahrheit. Der Beitrag in der »Zeit« behandelte in Wirklichkeit die deutschen Parteien. Der Autor war Precht selbst. Ich habe das Wort »Parteien« in seinem Text einfach durch den Namen »Richard David Precht« ersetzt.

Als Phraseologe ist der Mann unübertroffen. Ein Imitat lässt sich nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln, deshalb bin ich beim Original geblieben. Der Precht’sche Wortbaukasten funktioniert dabei bewundernswert zuverlässig, wie man sieht: Man könnte in dem von mir gewählten Textbeispiel statt »Parteien« auch »Focus« oder »Spiegel« eingeben und käme zum gleichen Ergebnis.

Peter Sloterdijk hat Precht den André Rieu der Philosophie genannt. Das war nicht sehr nett gegenüber André Rieu. Wäre Precht nur bei der Philosophie geblieben, möchte man erwidern. Wie alle Intellektuellen drängt es auch diesen Fahrensmann der Zeitdiagnostik in Gebiete, bei denen seine Expertise eher zweifelhaft ist. Nach dem Erfolg seines heiteren Philosophieführers hat er sein Themenspektrum um Beiträge zur allgemeinen Lebensführung erweitert.

How dare you!
Jan Fleischhauer ist so frei, sich unbeliebt zu machen
Dr. Precht lesen heißt zu lernen, wie man seine Kinder richtig erzieht. Was in den Schulen nottut, um die Bildungskatastrophe abzuwenden. Wie man im Alter geistig beweglich bleibt. Und, natürlich, wie man bessere Politik macht. Eigentlich erstaunlich, dass niemand an ihn gedacht hat, als das Amt des Bundespräsidenten neu zu besetzen war. Die Grünen haben schließlich auch schon Luise Rinser vorgeschlagen.

Precht ist Demokratieverachtung für die besseren Stände. Wenn der gute Doktor bei einer Sache den Bogen raus hat, dann über den politischen Betrieb so zu schimpfen, dass es nicht pöbelhaft klingt, sondern im Gegenteil besonders aufgeklärt. In Prechts Welt gibt es keinen Berlusconi oder Macron, mit denen man als deutscher Regierungschef zurande kommen muss. Auch kein Verfassungsgericht und keine Opposition, die über den Bundesrat mitregiert. Dafür durchzieht all seine Einlassungen zum politischen Geschäft das Misstrauen gegenüber den handelnden Akteuren, die zu bequem, zu uninspiriert und zu rückgratlos seien, um das zu tun, was auf der Hand liegt.

Die Türen, die dieser Philosoph eintritt, stehen immer schon sperrangelweit offen, deshalb knallt er sie in seinen Texten auch besonders laut zu. Leider beschränkt sich das Prinzip Precht, mit vielen Worten wenig zu sagen, nicht auf seine eigenen Bücher und die Sendezeit im ZDF. Bei vielen Kommentatoren, die ihm nacheifern, prechtlt es inzwischen gewaltig.

Ein typischer Precht-Vorwurf, den man in den Medien findet, lautet, die Kanzlerin verweigere dem Land die Debatte. Statt mit den Menschen über die Zukunft zu reden, beschränke sie sich auf die Tagesarbeit. Mir war neu, dass die Organisation von Debattenformaten zu den verfassungsmäßig verankerten Aufgaben eines Regierungschefs gehören würde. Ich hielt es eher für eine Ablenkung vom Regierungsgeschäft, wenn die Kanzlerin in der Öffentlichkeit herumturnt, statt in Berlin ihren Amtspflichten nachzugehen. Aber das ist vermutlich nur ein weiterer Beweis meiner Begriffsstutzigkeit.

Politik hat aus linker Sicht immer etwas Pädagogisches. Wenn die Leute lieber ihren Alltag bewältigen, statt von der Kanzlerin Auskunft über die Probleme des Landes zu verlangen, zeigt das, dass sie von Politik nichts verstehen. Am besten überlässt man die Demokratie den Philosophen. In der Frage hätte man sicher auch Richard David Precht auf seiner Seite.

Aus: Jan Fleischhauer, How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken. Siedler, 304 Seiten, 20,- €


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