Tichys Einblick
IMAGE DES DEUTSCHEN FUSSBALLS AM TIEFPUNKT

Horst Lichter zwingt mit “Bares für Rares” die deutsche Nationalelf in die Knie

Nur 20 Prozent schauen ein Länderspiel, das die Nationalmannschaft 0:6 verliert. Und Bayern München watscht alle Bundesligaclubs ab, die anderer Meinung sind. Aber das interessiert nur noch die Funktionäre, denn die Fans haben sich längst abgewandt.

imago images / Eibner

Sevilla war bis am Dienstagabend in Fußball-Deutschland der Inbegriff von deutschen Fußball-Tugenden: Im denkwürdigen WM-Halbfinale von 1982 liegen die Bundesadler gegen Frankreich mit 1:3 zurück und gewinnen dank Kampf und Fleiß noch im Elfmeterschießen. Keiner anderen Mannschaft ist es seitdem gelungen, solch einen Rückstand aufzuholen. Seit Dienstagabend steht die südspanische Metropole aber für ein 0:6-Debakel Deutschlands gegen Spanien. Sevilla steht also für den absoluten Tiefpunkt von Joachim Löw und seinen verwirrenden Entscheidungen in den vergangenen Monaten nach dem frühen WM-Aus 2018 in Russland.

Der 60-jährige hat es nicht geschafft, aus einer Reihe von Weltklassespielern wie Toni Kroos, Serge Gnabry, Manuel Neuer, Leroy Sanè oder Timo Werner eine Einheit zu formen, die bei der EURO im kommenden Jahr ein Wörtchen um den Titel mitreden könnte. Die 90 Minuten im Estadio Olimpico de la Cartuja zeigten auf, dass der Nationaltrainer nicht mehr das Feuer entfachen kann wie bei der siegreichen WM 2014 in Brasilien. Das 0:6 war die zweithöchste Niederlage in der Geschichte des DFB (nach einem 0:9 am 16.11.1909 in Oxford gegen England) und zeigte somit deutlich auf, dass der Druck auf den Trainer und seinen Sportdirektor Oliver Bierhoff höher nicht mehr sein kann. Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Duo nun einen ruhigen Winter haben wird bis zum den nächsten Länderspielen im März, den letzten Tests vor der Europameisterschaft im Sommer.

Nochmals werden Fans und Medien fordern, dass Löw, immerhin mit einem Jahressalär von knapp 3,8 Millionen Euro, über die ausgemusterten Spieler Boateng, Hummels und Müller nachdenkt. Das Spiel in Sevilla hatte nochmals gezeigt, dass Talent allein nicht reicht, um mit den Großen des Weltfußballs mitzuhalten. Toni Kroos, wohl der kompetenteste deutsche Fußballer aller Zeiten, ist nicht in der Verfassung, um einem Team den Stempel aufzudrücken. Es entspricht nicht seinem Naturell. Die Zeit der Tests und taktischen Variablen ist endgültig vorbei und nun muss sich Löw selbst hinterfragen. Einen Kredit hat er nicht mehr. Die Nacht von Sevilla war auch für ihn ein negativer Höhepunkt, der schon eine Woche zuvor eingeläutet wurde.

Das erste November-Länderspiel gegen ersatzgeschwächte Tschechen am Mittwoch geriet auch öffentlich zur Farce und hinterließ erste Spuren auch bei den Fans. Baku, Max, Hofmann, Neuhaus, Koch oder Waldschmidt. Bei aller Liebe zu den deutschen Talenten und Hoffnungsträgern: Der erfolgsverwöhnte deutsche Fußballfan will Klassse statt Masse sehen und hinterfragt nicht, warum Bayern-Spieler ob ihrer Flut von Spielen geschont werden. Er bestraft ein Testspiel am 11.11. mit nur 5,28 Millionen TV-Zuschauern. Die parallel laufenden ZDF-Produktion “Bares für Rares” schalteten 5,45 Millionen Menschen ein. Marktanteil für RTL: schlappe 16,3 Prozent. Vernichtend und alarmierend – eine schallende Ohrfeige für die einstigen Lieblinge der Nation und Quittung für ein teilweise ungebührendes Verhalten während der vergangenen Corona-Monate.

Beim Deutschen Fußball-Bund tobt ein interner Grabenkampf zwischen Präsident Fritz Keller und Generalsekretär Dr. Friedrich Curtius (TE berichtete) und der Sportdirektor hat vor dem Tschechien-Spiel nichts besseres zu tun, als 15 Minuten lang über „dunkle Wolken“ zu sprechen, die über der Nationalmannschaft hängen: „Die Freude am Fußball sieht man gerade nicht – das wiederherzustellen geht natürlich auch nur über Ergebnisse”, sagte Oliver Bierhoff und appellierte an die Fachmedien, mit dem jungen Team doch geduldiger umzugehen. Dabei hatte er vergessen, dass es nicht die Mannschaft ist, die kritisiert wird, sondern die Führung. Die hat es nämlich verpasst, in den vergangenen Monaten einen nach vorne gerichteten Prozess einzuläuten. Das Trio Hummels/Boateng/Müller wurde abserviert und nicht durch gestandene Profis ersetzt. Hinzu kommt, dass vom Geist des Weltmeisters von 2014 nichts mehr übrig ist und somit die Basis, der Nachwuchs, zunehmend vergrault wird. Der Marketing-Geniestreich von Oliver Bierhoff von 2015, die DFB-Elf in “Die Mannschaft” umzubenennen, ist gehörig nach hinten losgegangen und die Verantwortlichen tun nun in den kommenden Monaten gut daran, Fehler einzugestehen. Vielleicht bedarf es auch einer Trainerdiskussion, vielleicht auch einer Brandrede des Präsidenten Keller. Es rumort auf jeden Fall gehörig im deutschen Fußball, weil sich auch in der Bundesliga dunkle Wolken zusammenbrauen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Denn dort tobt ein Machtkampf um die Verteilung der TV-Gelder. Fehdeführend ist Karl-Heinz Rummenigge, der allmächtige Funktionär des FC Bayern München. Mit seiner Einladung an 14 Vereine aus der ersten und zweiten Bundesliga hat der einstige Weltklassestürmer genau die Vereine in den Senkel gestellt, die ein Positionspapier unterschrieben haben, das eine gerechtere Verteilung der TV-Milliarden gefordert hatte, namentlich der VfB Stuttgart, Arminia Bielefeld, FC Augsburg und Mainz 05. So lud er zu seinem “Geheimtreffen” am Frankfurter Flughafen nur die restlichen 13 Bundesligisten ein und mit dem Hamburger SV nur einen Zweitligavertreter.

Es lud also mit Karl-Heinz Rummenigge ein Mann zu diesem Treffen ein, der seit Jahren versucht, sich für eine europäische Superliga einzusetzen, die fernab von der deutschen Bundesliga agiert und eigene TV-Verträge abschließen kann. Dies würde zu einem großen Imageverlust der nationalen Spielklassen führen und die Fernsehverträge würden ins Bodenlose sinken. Der Bayern-Boss ließ also die 13 Vereine mitten in der Pandemiekrise in die hessische Finanzmetropole kommen und machte somit nochmals klar, dass ohne die Meinung und das Gewicht des FC Bayern in Fußball-Deutschland nicht sehr viel geht.

Quo Vadis, Fußball-Deutschland?
Die Spitze des deutschen Fußballs ist in Schieflage geraten
Auf der Tagesordnung stand dann nicht nur eine Abstrafung der vier abtrünnigen Clubs, sondern auch, wer der Nachfolger des scheidenden DFL-Bosses Christian Seifert werden könne. Es sollte dann auch eine Person sein, die logischerweise die Sichtweise des FC Bayern vertritt und kein kühner Querulant, der die aktuelle Verteilung der TV-Gelder in Frage stellt, wie der ehemalige DFL-Boss Andreas Rettig: „Sollte ruchbar werden, dass man andere Gedanken hat als der FC Bayern oder Kollegen, dann könnte das ja dazu führen, dass man zukünftig auch Persona non grata wird und von allen anderen Dingen ausgeschlossen wird”, sagte er in einem Sky-Interview und holte gegen den Bayern-Boss aus: „Schmunzeln muss ich natürlich, wenn Herr Rummenigge sich über Geheimtreffen echauffiert oder Geheimpapiere. Schließlich hat der FC Bayern in Sachen europäischer Superliga oder in der Kirch-Krise nicht nur geheime Gespräche geführt, sondern auch geheime Verträge abgeschlossen. Also dass jemand mit dieser Vita sich dann so aus dem Fenster lehnt, das muss ich sagen, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.“ Andreas Rettig ist nur einer von vielen, denen der aktuelle Zustand des deutschen Fußballs und seine Protagonisten ein Dorn im Auge sind. Deshalb hat er sich aus dem Business zurückgezogen. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass einer der Gründe für den Abgang des DFL-Geschäftsführers Christian Seifert die zunehmende Gier und der Egoismus in diesem Metier sein soll.

Das 0:6 von Sevilla, das Rekordtief bei den TV-Einschaltquoten und auch die Fehde zwischen den Bundesligaclubs haben nicht dazu beigetragen, dass die Fans ein Hohelied auf den deutschen Fußball singen. Sie sehen leider weiterhin die dunklen Wolken über dem DFB-Team und der Bundesliga: „Sie können doch in der jetzigen Situation nicht hier das Säbelrasseln machen, wo Leute um ihre Existenz sich Gedanken machen”, bringt es Andreas Rettig nochmals auf den Punkt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen