Tichys Einblick
Die USA: Treibhaus des linken Zeitgeistes

Aus „GO WEST“ wurde „GO LEFT”

Der deutsche Zeitgeist wird die USA weiter als das Land des Rassismus, Turbokapitalismus, Militarismus, der Kriegstreiberei sehen. Und sich nicht erinnern, dass die Linken in Deutschland und in Europa nichts auf die Beine gebracht haben, was nicht vorher in den USA gedacht worden wäre.

imago Images/ZUMA Wire

Machen wir uns nichts vor: Das Establishment ist in den USA politisch und ideologisch genauso links wie in Deutschland. Mindestens!

Wie bitte? Die USA links? Sind die USA nicht der anti-kommunistische Staat schlechthin? Haben nicht die Amis die Deutschen und das westliche Europa vor Kommunismus, Marxismus, Bolschewismus und Sozialismus bewahrt? Hatte denn die 1919 gegründete Kommunistische Partei der USA (CPUSA) über Promilleergebnisse hinaus jemals eine Chance? Gab es in den USA nicht zwischen Ende der 1940er und Mitte der 1950er Jahre in der sogenannten McCarthy-Ära schier eine Hexenjagd auf echte oder vermeintliche Kommunisten? Haben die USA nicht Nord-Korea im Korea-Krieg (1950 – 1953) und Cuba samt Fidel Castro in Schach gehalten? Haben sie nicht die Sowjetunion, das „Reich des Bösen“ (Ronald Reagan, 1983) niedergerungen? Gab es seit 1945 nicht sechs US-Präsidenten der Demokraten mit 36 und sieben US-Präsidenten der Republikaner mit 40 Amtsjahren?

Ja! Stimmt alles. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Antikommunismus war zwar jahrzehntelang das zentrale Dogma des US-Selbstverständnisses. Doch das ändert sich: Der US-Sozialismus hat sich im Mainstream etabliert. Und so ziemlich alles, was an linker Ideologie durch die westliche Welt wabert, hat ebenfalls mit den USA zu tun. Um es hart zu sagen: Vor allem die US-Universitäten, allen voran die „Elite“-Unis, sind Treibhäuser eines linken Zeitgeistes. Der linkslastige Campus wiederum korrespondiert mit einer Presselandschaft, die – zumindest was die „Leitmedien“ im Printbereich betrifft – ausgesprochen linksliberal aufgestellt sind: New York Times, Washington Post, Los Angeles Times usw.

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Dazu gesellen sich linksgestrickte NGOs. Die 1971 gegründeten „Southern Poverty Law Centers (SPLC)“ gehören zu den mächtigsten NGOs in den USA. Ihr Ziel ist es, „Hassgruppen und andere Extremisten“ in den Fokus zu nehmen. Der Stiftungsfonds ist 530 Millionen Dollar schwer (2019). Langjährige Partner sind übrigens die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Mit von der Partie ist auch das „Center for American Progress“ mit einem Budget von 51,8 Millionen Dollar, zuletzt genährt unter anderem durch eine Spende von rund 1,5 Millionen Dollar aus der Bill & Melinda Gates Stiftung. Dazu gesellen sich linke Aktivisten wie Deepak Bhargava, der bis 2018 Präsident des „Center for Community Change“ (CCC) war. Gleichzeitig sitzt Bhargava im Aufsichtsrat der Open Society-Stiftung, einem Netzwerk des US-Investors George Soros.

Unterstützung findet die US-Linke seit den späten 1980er Jahren mittlerweile auch durch eine Antifa. Sie war zunächst als Anti-Racist Action (ARA) aufgetreten und versteht sich als ein loses Sammelsurium anarchistischer, marxistischer und subkultureller Gruppen. An öffentlicher Aufmerksamkeit gewann die Bewegung mit Antritt der Trump-Regierung und Trumps Attacken gegen die Antifa. Verschrieben hat sich die US-Antifa dem Kampf gegen Rassismus, gegen „White Supremacy“ bzw. „White Skin Privileges“, gegen Ku-Klux-Klan, gegen Polizeigewalt. Aufwind bekam die Bewegung ab dem 25. Mai 2020, als bei einer polizeilichen Festnahme der Schwarze George Floyd, ein mehrfach vorbestrafter Krimineller, ums Leben kam, und wurde Teil des weltweit initiierten Hypes „Black Lives Matter“ (BLM)

Links ist „in“ in den USA

„Links“ ist im Mainstream der US-Politik angekommen, trotz und wegen Donald Trump. Die Linke fordert in der Wirtschaft mehr Staat und weniger Kapitalismus. Aber diese Bewegung ist ein Großstadtphänomen. Sie hat ihre Wurzeln bei Gutsituierten in Kalifornien und an der Ostküste, im Landesinneren dominieren eher wirtschaftliche Nöte und oftmals eine konservative Grundhaltung. Schließlich hatte Trump 2016 und 2020 in fast allen Bundesstaaten, in denen überdurchschnittlich viele Leute im Niedriglohnsektor arbeiten, gewonnen.

Der „working class“ hilft „links“ nicht wirklich; sie sieht sich von den „unpatriotic globalists“ ignoriert, sie hat das Gefühl, dass das Establishment der „Democrats“ moralisch-überheblich auf sie herabsieht, sie will nicht von Gesinnungseliten aus den „save spaces“ vom Campus dirigiert werden. Oder wenn Trump-Wähler von einer Hillary Clinton in zynischer Überheblichkeit zu einem „basket of deplorables“ (Korb an Bedauernswerten) degradiert werden. Das Land ist jedenfalls zweifach gespalten: zwischen Republicans und Democrats, zwischen Volk und Mainstream, zwischen Campus und Farm. Parallelen mit Deutschland? Nur rein zufällig!?

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Laut Umfrage des Pew-Instituts aus dem Jahr 2011 zeigten 60 Prozent der 18- bis 29-Jährigen („Millennials“, also die um 1990 Geborenen) Sympathien für den Sozialismus, der in den USA ja über Jahrzehnte hinweg verpönt war. Es ist dies das Ergebnis eines Generationenwechsels, denn es wuchs in der urbanen Mittelklasse eine Generation nach, die sich belastet sah mit zigtausenden Dollar an Ausbildungskosten – bei zugleich miserablen beruflichen Perspektiven. Die Sympathie für den Sozialismus unter jungen Leuten verstetigte sich: Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup von 2019 ergab: 51 Prozent der 18- bis 29-Jährigen haben ein positives Bild vom Sozialismus.

Erster spektakulärer Höhepunkt dieser Entwicklung war die Bewegung „Occupy Wall Street“ (OWS von 2011). Zehntausende Menschen protestierten gegen Konzerne und ihren Einfluss in Washington. Eine Umfrage des „Time Magazine“ bescheinigte OWS Sympathien bei 54 Prozent der Bevölkerung. Die in diesem Zusammenhang in Barack Obama (Präsident 2009 – 2017) gesetzten Hoffnungen wurden aber enttäuscht. Auch Obama kam nicht gegen die Großbanken („too big to fail“) an.

Das Bildungswesen als Transmissionsriemen der Linken

An den US-Universitäten wächst eine hyperideologisierte, hypersensible und hypermoralische „Generation Snowflake“ heran. Wenn es nach dieser Generation geht, dann sollen Universitäten zu diskursfreien Streichelzoos werden. Ständig fühlt man sich rassistisch oder sexuell beleidigt. Bei jeder noch so winzigen Abweichung vom Mainstream entrüstet man sich: „I feel offended“ – verletzt durch „Mikroaggressionen“: ein angeblich falsches Wort, einen falschen Blick, ein falsches T-Shirt. Bestimmte „trigger“ (Reizbegriffe) müssen vermieden werden, sie könnten gar posttraumatische Belastungsstörungen provozieren. Deshalb werden sogar Ovids „Metamorphosen“ an entsprechenden Passagen geschwärzt – etwa dort, wo es um „sexuelle Mikroaggression“ durch Liebe geht.

Zwei Studentinnen am Claremont College in Kalifornien verkleideten sich zu Halloween mit Sombreros, Ponchos und schwarzem Klebeschnäuzer als Mexikaner. Das Foto, gepostet auf Facebook, löste einen gigantischen Shitstorm aus. Eine Minderheit sei lächerlich gemacht worden. Ein Student drohte mit Hungerstreik. Die Uni-Dekanin musste gehen. Der Soziologe Nicholas Christakis wurde an der Yale University in Connecticut niedergebrüllt, weil seine Frau Zweifel an „sensiblen“ Kleidervorschriften für Halloween-Kostüme angemeldet hatte.

Wenn jemand niest, sagt man in Deutschland „Gesundheit!“, in Bayern „Helf‘ Gott!“, im englischen Sprachraum sagt man: „Bless you!“, also: „Gott segne dich!“ An US-Universitäten muss man sich so etwas gut überlegen, denn der Niesende könnte ja Atheist sein. Amerikanische Studenten sind zudem überzeugt, dass es „diversity“ nur da geben kann, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Einer Umfrage des Gallup Instituts von 2018 zufolge sind Vielfalt und Inklusion 53 Prozent der US-Studenten wichtiger als Meinungsfreiheit. Kaum noch möglich ist es auch, offen über die Evolutionstheorie zu sprechen. Wie in der Türkei, wo solches aus religiösen Gründen untersagt ist!

Der große Graben in der Gesellschaft
Zweierlei Demokratie
Vor diesem Hintergrund sollte man sich daran erinnern, dass eine gewisse Angela Merkel am 31. Juli 2019 an der „Elite“-Universität Harvard den Ehrendoktor bekam. Sie hatte dort die Hauptrede zur 368. Abschlussfeier gehalten. Wie nicht anders zu erwarten, gab Merkel dort den Anti-Trump und wurde bejubelt. Sie meinte, Wahrheit dürfe nicht Lüge sein (und umgekehrt), redete von Multi- statt Uni- oder Bilateratismus. Das Harvard-Elite-Publikum nahm diese Trivialitäten dankbar hin.
„political correctness“ und “gender” – US-Produkte

Das linke Gesinnungsdiktat der „political correctness“, dieses fundamentalistische Diktat des „richtigen“ Denkens, Fühlens, Erinnerns und Sprechens, ist ebenfalls ein universitäres US-Produkt – und zwar schon aus den 1980er Jahren. Man wetterte gegen PPPP (pale, patriarchal, penis, people). Und gegen DWEM (dead white european men). Critical Whiteness-Research ist angesagt. Für Rochelle Gutierrez, Professorin an der Universität Illinois, ist sogar die Mathematik rassistisch, weil Mathematik von den toten weißen antiken Griechen abstamme. Dies sei der Grund, warum Menschen mit Migrationshintergrund hier schwach seien.

Die PC-Beispiele, die nach Europa gelangten, waren schon vor der letzten Jahrhundertwende Legion: Statt mankind hat es humankind zu heißen, statt heroes heroes / sheroes. Goyas Nackte Maja wird aus Seminarräumen der Universität von Pennsylvania verbannt, weil sie sexistisch sei. Im Sinne eines sogenannten Ableismus heißen Behinderte „differently abled“, Nichtbehinderte „temporarily abled“, Blinde „other-visioned“, Geisteskranke „emotionally different“, Zwergwüchsige „vertically challenged“ und Häßliche „cosmetically different.“ High-school-Schüler weigern sich, Bakterien durch das Mikroskop zu betrachten, weil das die „Privatsphäre“ dieser Mikroorganismen belästige.

Robert Hughes („Nachrichten aus dem Jammertal. Wie sich die Amerikaner in political correctness verstrickt haben“, München 1994) sah in solchem Verhalten schon vor einem Vierteljahrhundert ein neues „Mainstream-Curriculum“, und er meint damit: Die PC-Amerikaner sind „politikverdrossen, voller Misstrauen gegen jegliche Art von Autorität, dafür umso anfälliger für Aberglauben, mit einer politischen Sprache, die zerfressen ist von geheucheltem Mitleid und Schönfärberei.“ Die schärfsten Kritiker der PC sprechen gar von einem linken „McCarthyismus“, von PC als „moralischem Reinigungsmittel“ (Michael Bonder: „Ein Gespenst geht um die Welt: Political Correctness“, Frankfurt/M. 1995), von PC als „sprachlichem Lourdes“ (Hughes). Wer nicht politisch korrekt denkt und spricht, wer im Orwellschen Sinn ein „Gedankenverbrecher“ ist, wird zur Zielscheibe wüster Zensur, der „Gedankenpolizei“, er wird der „Herrschaft des Verdachts“ (Hegel), vor allem des Faschismusverdachts unterstellt, oder er wird im Sinne des „big brother“ einfach „vaporisiert“, verdampft, das heißt, er findet in der Meinungsbildung nicht mehr statt.

Kaum anders ist es mit „Gender“. Der „rosa Marxismus“, nach dem Körper und Geschlecht nichts miteinander zu tun haben, nahm seine Anfänge in den USA. Dort ist man auch führend in „Gender Studies“. Als Pionierwerk der Gender Studies gilt zwar die zweibändige Studie „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir, die 1949 in Frankreich erschien. Der Schwerpunkt der Rezeption lag ab 1953 aber zunächst in den USA. Die „Women’s Studies“ kamen auf. Die „Philosophin“ Judith Butler (*1956) von der Berkeley-University of California gilt auch in Deutschland als die große Gender-Ikone.

Hintergrund: Kulturmarxismus

Kulturmarxismus, was ist damit gemeint? Historisch gehen Ideologie und Strategie des Kulturmarxismus auf Antonio Gramsci (1891 – 1937) zurück. Gramsci war Historiker, Philosoph, Parteiführer, Theoretiker der kommunistischen Arbeiterbewegung, Abgeordneter, 1921 Gründer der Kommunistischen Partei Italiens. 1926 wurde er trotz Immunität verhaftet und ein Jahr darauf zu 20 Jahren Kerkerhaft verurteilt. Dort schrieb er 3.000 Seiten Tagebuch, veröffentlicht als „Gefängnishefte“. Gesundheitlich angeschlagen starb er 1937. (1922 bis 1943 war Bennito Mussolini italienischer Ministerpräsident, als „Duce“ ab 1925 dessen Diktator). Jedenfalls erhoffte sich die Linke, nachdem der Marxismus im Westen der Welt nicht hatte Fuß fassen können, eine Überwindung der Krise des Marxismus. Dies sollte vor allem über eine „kulturelle Hegemonie“ in Medien und Bildungswesen geschehen. Es gibt für Kulturmarxisten auch keine „objektiven“ Wahrheiten, sondern nur perspektivische Standpunkte des Interesses, so etwa die Sozialwissenschaften als Produkte einer Gruppe alter weißer Männer. Im Grunde setzten etwa die „Frankfurter Schule“, französische Soziologen wie Foucault und Derrida, die Ideologie des „Postmodernismus“ und des „Dekonstruktivismus“ Gramscis Linie fort.

Ihren fruchtbarsten Nährboden fand die kulturmarxistische Bewegung in den USA, vor allem in den dortigen Universitäten und Denkfabriken. Es kein Zufall, dass die ab 1923 aufgebaute, 1933 geschlossene und 1951 wiedereröffnete „Frankfurter Schule“ („Instituts für Sozialforschung“, IfS) ihr Exil in den USA fand. Ursprünglich war die „Schule“ als Forschungsstätte für Marxismus, Sozialismus und die Probleme der Arbeiterbewegung begründet worden. Zu deren später von der 68er Studentenbewegung angehimmelten Visionären gehörten vor allem Horkheimer, Adorno und Herbert Marcuse. Horkheimer übrigens baute das Institut für Sozialforschung an der Columbia University in New York ab 1933 neu auf. Die enge Verbindung in die USA setzte sich dann auch über die Rückkehr des IfS nach Deutschland im Jahr 1951 intensiv fort. Zwischen 1960 und 1971 organisierte man denn auch 22 Studienreisen von Lehrern, Professoren, Schulbuchexperten und anderen Multiplikatoren in die USA.

Zu den angehimmelten Autoritäten hatten schon zuvor die Behavioristen Watson, Thornedike, Skinner usw. gehört. Der Behaviorismus hatte ab etwa 1920, auf Pawlows Hundeexperimente um 1900 rekurrierend, den Menschen als „white paper“ eingestuft, auf dem mittels Konditionierung willkürlich alles (!) gemacht werden könne – vom Nobelpreisträger bis zum Massenmörder. Lenins „Der neue Mensch wird gemacht“ lässt grüßen.

Linke Vorbilder kamen schon immer aus den USA

Kein Wunder, dass die großen linken Vorbilder der deutschen 68er aus den USA kamen – linken Antiamerikanismus hin oder her. Begonnen hatte die Entwicklung 1959 in den USA mit den „Studies oft the Left“, 1969 mit dem „Nonviolent Coordination Committee“ Stokely Carmichaels und 1964 mit dem „Free Speech Movement“. 1968 begann die „Gay Liberation“ mit „coming outs“. San Francisco wurde zu einem linken Mekka. Eine maßgebliche Rolle spielte der lange Vietnam-Krieg (1955 bis 1975), in den die USA ab 1964 eingriffen und in dem die USA vorübergehend mit bis zu 584.000 Soldaten (Januar 1968) präsent waren. Die geschätzt bis zu vier Millionen zivilen Todesopfer und die 58.220 getöteten US-Soldaten ließen die USA-amerikanische Öffentlichkeit nicht ruhen. 1967 kam es zur ersten Verbrennung von Musterungsbescheiden, um dem „draft“, der Einberufung zur Wehrpflicht, zu entgehen. Ab 1966 kam die „Black Panther Party“ hinzu, nicht nur, aber wohl auch im Kontext mit dem Vietnamkrieg, denn viele der in Vietnam eingesetzten Soldaten waren Schwarze.

„Links und Gewalt schließen einander aus“
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit – in Theorie und Praxis
Einen spektakulären Höhepunkt erlebte die Black Power Bewegung am 16. Oktober 1968 anlässlich der 19. Olympischen Spiele in Mexiko bei der Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf-Finale. Der Sieger Tommie Smith (USA) und sein Landsmann John Carlos (Bronze) trugen je einen schwarzen Handschuh und liefen mit den Schuhen in der Hand ein, um gegen die Unterdrückung der Schwarzen zu demonstrieren. Als die Medaillen verteilt waren und die Nationalhymne lief, senkten Smith und Carlos ihren Kopf und streckten den Arm mit dem Handschuh, die Hand zur Faust geballt, in die Luft zum „Black Power“-Gruß. Dass sie ohne Schuhe einliefen, sollte ihre Armut in der Kindheit symbolisieren.

Auf den ersten Blick weniger politisch, spielte die Hippie-Bewegung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre eine Rolle. Sie mündete zum Teil in New Age ein, zu einem erheblichen Teil politisierte sie sich als Friedensbewegung („Make Love Not War!“). In diesem Umfeld kam es am 26. April 1968 zur Uraufführung des Musicals „Hair“ in New York. In diesem Stück geht es um eine Hippie-Kommune, die ein Mitglied im Vietnam-Krieg verliert. Ein Jahr später, vom 15. bis 17. August 1969, folgte bei New York „Woodstock Nation“ mit dem legendären Woodstock-Meeting samt 400.000 Besuchern. Dort ging es um Verweigerung und Subversion. Ein Schlachtruf war das „four letter word“ „F-U-C-K“. Diese Bewegungen gingen einher mit Drogen-Experimenten. Timothy Leary, vormaliger Harvard-Professor, wurde zum Guru der Bewegung. Er trat für die Legalisierung von psychedelischen Drogen ein, der Slogan hieß: „Turn on, Tune in, Drop out!“ Ab 1965 stellte er LSD (Lysergsäurediethylamid) her; man versprach sich Intelligenzanreicherung und Bewusstseinserweiterung. Angesagt war in Deutschland: „High sein, frei sein, es bisschen Haschisch muss dabei sein!“ oder „Ha‘t du Haschisch in de Tasch’n, ha‘t du immer was zu nasch’n!“.

Und über 2021 hinaus?

Mit dem wider Erwarten knappen Wahlsieg des Tandems Joe Biden / Kamala Harris dürfte in den USA ein neuer roter Geist erwachen – egal, wer zukünftig die Ikonen der Demokraten sein werden: Kamala Harris (*1964) oder der amtierende (linke) Bürgermeister von New York Bill de Blasio (*1961) oder die vom Mainstream hochgerühmte (links-sozialistische) Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (*1989).

Für die weitere Entwicklung in den USA wird entscheidend sein, wer auf Biden folgt. Und: Ob es der „Grand Old Party“ gelingt, nach Trump eine charismatische Persönlichkeit gegen diese drei Demokraten zu setzen. Auszuschließen ist es nicht, dass in den USA – der ältesten Demokratie der Geschichte der Neuzeit – demnächst mit „socialism“ vielleicht sogar Wahlen gewonnen werden.

Ob die US-Bürger sich darauf besinnen, was ihnen der Franzose Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) ins Stammbuch geschrieben hat, darf bezweifelt werden. De Tocqueville hatte die Gefährdungen der Freiheit erahnt: Freiheit versickere in Gleichheit, schreibt er in seinem Buch „Die Demokratie in Amerika“ (1835). Freiheit erliege der Gleichheit, weil Gleichheit ihre Genüsse von selbst darbiete, Freiheit aber mit Opfern erkauft werden müsse. Am Ende sei den Menschen die Gleichheit in Knechtschaft lieber als die Ungleichheit in der Freiheit – in einem „Termitenstaat“ der „Verähnlichung“. Am 12. September 1848 fügte de Tocqueville vor der Deputiertenkammer hinzu: „Demokratie erkennt jedem einzelnen seinen Eigenwert zu, Sozialismus degradiert jeden einzelnen zu einem Funktionär der Gesellschaft, zu einer bloßen Nummer.“

Und die offiziellen Deutschen? Sie werden weiter ihre schizophrene Doppelmoral leben. Man wird den eigenen Anti-Amerikanismus wie eine Monstranz vor sich hertragen, tatsächlich aber nach dem linken amerikanischen Mainstream gieren. Man wird die USA – Trump oder Biden, hin oder her – weiter als das Land des Rassismus, Turbokapitalismus, Militarismus, der Kriegstreiberei sehen. Man wird sich aber nicht erinnern, dass die Linken in Deutschland und in Europa nichts auf die Beine gebracht haben, was nicht vorher in den USA gedacht worden wäre.

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