Tichys Einblick
Stefan Krikowski geehrt

Ein aufrechter Mann

Stefan Krikowski hat die Erinnerung an das Leid der Opfer des Kommunismus zu seiner Aufgabe gemacht. Die Ehrung, die er dafür erhielt, wollte er nicht aus der Hand des Linke-Senators Klaus Lederer annehmen.

© Thomas Platow

Zuweilen geschehen noch Wunder. Der Bundespräsident, der in Bellevue eigentlich nie heimisch wurde und immer noch zwischen dem Willy-Brand- und dem Karl-Liebknecht-Haus zu pendeln scheint, hat Stefan Krikowski mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt.

Stefan Krikowski engagiert sich ehrenamtlich als Koordinator der „Lagergemeinschaft Workuta“ dafür, dass die schlimmen Schicksale derjenigen Deutschen, die in der Sowjetischen Besatzungszone und auch noch der DDR vor ein sowjetisches Militärtribunal gestellt und verurteilt, in ein sowjetisches Arbeitslager verschleppt oder in der Butyrka oder in der Lubjanka in Moskau erschossen wurden. Jedes einzelne dieser Schicksale ist erschütternd. Das Leben in den sowjetischen Arbeitslagern war brutal und menschenverachtend. Zwölfstündige Arbeitstage, mangelndes Werkzeug, Hungerrationen, die an die Arbeitsleistung gekoppelt waren, gehörten zur Regel.

Ich hatte in der Printausgabe von Tichys Einblick über die Belter-Gruppe berichtet, Studenten der Universität Leipzig, die im Oktober 1950 verhaftet und im Januar 1951 zu 25 Jahren Arbeitslager Workuta verurteilt worden waren. Alle bis auf Herbert Belter selbst. Der 21-jährige Student wurde in Moskau erschossen. Das Verbrechen der Studenten bestand darin, „antidemokratische Literatur“ gelesen zu haben, also Melvin J. Laskys Zeitschrift „Der Monat“ oder Publikationen der Freien Universität oder der SPD.

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Nicht nur Erwachsene wurden inhaftiert. Auch Jugendlichen, darunter fast noch Kinder, blieb die Hölle der Spezial-und Arbeitslager nicht erspart. Einer der Studenten der vom sowjetischen Staatssicherheitsdienst zusammengestellten Belter-Gruppe hatte als Schüler der Leipziger Petri-Schule das plötzliche Verschwinden seines besten Freundes, des sechzehnjährigen Detlev Weinhold, miterlebt. Den verzweifelten Eltern gelang es nicht, herauszufinden, was mit ihrem Sohn geschehen ist und wo er sich befand. Insgesamt wurden über 10 000 Jugendliche verhaftet, entweder in einem Speziallager des NKWD in Ostdeutschland wie in Bautzen eingekerkert, nach Russland verschleppt oder erschossen. Der jüngste von ihnen war erst 13 Jahre alt.

Im Thüringischen Treffurt wurde im August 2019 an einem Haus ein 11 mal 19 Zentimeter großes Schild in einer Gedenkveranstaltung angebracht, auf dem steht: „Hier lebte Heinz Baumbach, Installateur, geboren 1926, verhaftet 10.05.1952, zum Tode verurteilt 16.07.1952, in Moskau erschossen 23.10.1952, rehabilitiert 1996.“
In Russland hat die Stiftung „Letzte Adresse“ bereits 980 Gedenktafeln angebracht. Die in Treffurt, die an Heinz Baumbach erinnert, ist die erste in Deutschland. Dass diese erinnernde „Letzte Adresse“ angebracht werden konnte, ist der Arbeit der „Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion“ zu verdanken, die zum Verband der „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“ gehört. Eines dieser Lager, wohin auch die Studenten der Belter Gruppe verschleppt und geschunden worden sind, befand sich in Workuta.

Stefan Krikowskis Vater, Johannes Krikowski, hatte Anfang der 50er Jahre in der DDR freie Wahlen gefordert, wurde verhaftet und nach Workuta deportiert. Unter den letzten deutschen Kriegsgefangenen, die Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955 nach Hause holte, befanden sich auch die politischen Gefangenen, auch Johannes Krikowski. Bis zu seinem Tod 2007 litt Johannes Krikowski unter posttraumatischen Belastungsstörungen.

Dessen Sohn sieht es als seine Pflicht an, sich für die Erinnerung an die Leiden der GULag-Opfer in Deutschland zu engagieren. In der Pressemitteilung des Senats von Berlin heißt es: „Der Ausgezeichnete leistet seit vielen Jahren kontinuierliche Dokumentationsarbeit zur Erfassung der noch lebenden Zeitzeugen, die sich in ihrem letzten Lebensabschnitt befinden. Damit die Arbeit der Häftlingsgruppen und ihr Anliegen – Erzählen ihrer Lebensgeschichte und Kampf dem Vergessen – weiterverfolgt werden kann, bemüht er sich auch, Kinder und Enkel der ehemaligen politischen Strafgefangenen, die sogenannte Folgegeneration, zu erreichen, zu aktivieren und für die gemeinsame Erinnerungsarbeit zu begeistern. Darüber hinaus bietet Herr Krikowski auch Schulen und anderen Bildungseinrichtungen seine Zusammenarbeit an und trägt bei Nachfrage selbst vor. Das Engagement von Herrn Krikowski, die Biografien der Opfer vor dem Vergessen zu bewahren, verdient die Auszeichnung mit der Verdienstmedaille.“

Diese Auszeichnung sollte Stefan Krikowski von Kultursenator Klaus Lederer überreicht werden. Am 5 Oktober 2020 schrieb Stefan Krikowski deshalb einen Brief an den Bundespräsidenten: „Bittere Ironie ist, dass ausgerechnet ein Politiker der Partei „Die Linke“, Dr. Klaus Lederer, dessen Partei, die sich damals noch SED nannte und für diese willkürlichen Verhaftungen mitverantwortlich ist, mir diese Auszeichnung überreichen soll.“ Dass es sich hierbei nicht um eine Frage der Geschichte handelt, sondern, dass es auch und vor allem um die Gegenwart geht, verdeutlicht Stefan Krikowski, wenn er explizit auf Lederers Rolle bei der Ablösung des Leiters der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hinweist, denn genau diese Vorgänge haben ihn in seinem Entschluss bestärkt, die Verdienstmedaille „nicht aus der Hand des Berliner Kultursenators entgegenzunehmen.“

Seit den achtziger Jahren wird der antitotalitäre Konsens in der Bundesrepublik aufgelöst, so dass nur ein antifaschistischer Konsens übrigbleibt und die Verbrechen des Kommunismus verharmlost werden. Linke und Linksliberale, die sich wieder dem Projekt des Sozialismus zuwenden, wollen in der Erinnerung an die Verbrechen des Kommunismus einen Schlussstrich ziehen – und erfreuen sich hierbei der Unterstützung des Bundesfamilienministeriums unter Franziska Giffey durch die exorbitante Unterstützung des Amadeu Antonio Stiftung.

Inzwischen will man in althergebrachter Manier gegen die Erinnerung und Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus sogar kämpfen, denn wie sagte doch die Berliner Landesvorsitzenden der Linken, Katinka Schubert: „Der Antikommunismus, wo wir dachten, er wäre überwunden, wird im Moment dermaßen lebendig, was wir möglicherweise lange unterschätzt haben…wenige Wochen vor Thüringen wurde in Berlin eine linke Verfassungsrichterin nicht gewählt, die rechte Opposition feiert sich dafür, dass sie das verhindert hat, wir werden nächste Woche wieder eine feministische Juristin zur Wahl stellen – und warum? Weil wir jetzt die sogenannten liberalen Demokraten auch zwingen wollen, die Mauer nach rechts aufzubauen…wenn wir die Rechten isolieren wollen, wenn sie gesellschaftlich geächtet werden sollen, dann müssen wir eine Brandmauer aufbauen.“ In bester kommunistischer Manier will man wieder Menschen aufgrund ihrer Meinung und ihrer Überzeugungen „isolieren“ und „ächten“, weil sie nicht für den Kommunismus sind, und man will – und auch darin besitzt man ja historisch einschlägige Erfahrungen – wieder Mauern aufbauen. Die als Realpolitikerin geltende „Pragmatikerin“ Hennig-Wellsow äußerte im Spiegel: „Zum Regieren braucht es realistische und radikale linke Einstellungen.“

Die Auszeichnung wurde Stefan Krikwoksi nicht per Post zugeschickt. Die Auszeichnung nahm der Protokollchef des Landes Berlins im Auftrag des Bundespräsidenten vor.

Stefan Krikowski ist ein aufrechter Mann, der seiner Sache, der Sache der Demokratie und der Bürgerrechte, treu bleibt. Die Republik braucht mehr Männer wie ihn.

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