Das Corona-Thema treibt zwar alle um, die meisten können es seit April aber trotzdem nicht mehr hören. Jetzt kann es überraschenderweise schon im Frühjahr einen Impfstoff geben – die Mainzer Pharmafirma Biontech wurde zum „globalen Hoffnungsträger im Kampf gegen die Corona-Pandemie“ ernannt. Und so muss da natürlich drüber gesprochen werden. Während Markus Lanz sich am späten Donnerstagabend unter anderem mit Alice Schwarzer zu anderen Themen vergnügen kann, ist Maybrit Illner wohl in die Bresche gesprungen.
Anders kann man sich die Stimmung der Sendung dieser Woche nicht erklären. „Große Hoffnung, knappe Mittel – Kraftakt bis zur Impfung?“ nannte sich das Ganze, aber von besonders großer Hoffnung oder überhaupt irgendwelchen Gefühlsregungen war kaum etwas zu erkennen. Es scheint sich eine allgemeine Coronadepression breit gemacht zu haben, vom Kamerateam angefangen bis zu den Gästen, und auch vor Illner selbst machte sie nicht halt. Allerdings muss man ihr eine Sache zu Gute halten, denn es ist ganz und gar nicht die erste Sendung zu diesem Thema. Seit knapp einem Jahr darf sie zu kaum etwas anderem sprechen als Corona – höchstens noch zu Trump oder einer Mischung aus Corona und Trump. Da ist auch bei den erfahrensten Profis irgendwann die Luft raus.
Untypisch dieses Mal: es gab gar keinen Stimmungsmacher – niemanden, der dagegen hält und dementsprechend auch für niemanden einen Grund zum Ausrasten. Die obligatorischen Zicken und Choleriker bleiben heute aus, stattdessen hatte man nur diese fahlen Gesichter:
Als erstes der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. Dieses schon bekannte Gesicht wiederzusehen, hat für treue Illner-Zuschauer sicher zur Realität geführt, dass sie sich ein Leben vor Corona schon gar nicht mehr vorstellen können. Denn diese Sendung war sein sechster Auftritt dieses Jahr. Dieser Tatsache wird es auch geschuldet sein, dass der Virologe trotz der vielen Kamerazeit kaum in Erinnerung blieb. Nach sechs Shows hat man irgendwann auch mal die ganze Munition verschossen. Sein Motto: „Wir müssen mit diesem Virus leben lernen“ ist wirklich bahnbrechend neu und hat man zuvor noch nirgendwo gehört.
Zum Glück ist hier alles ruhig
Der nächste Gast ist die SPD-Politikerin und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer. Sie ist anscheinen in der Mission gekommen, Lorbeeren einzuheimsen, weil sie zufälligerweise das Bundesland regiert, in dem der Held der Stunde Biontech mit dem neuen tollen Impfstoff sitzt. Während sie die Politikerin sein darf, die mal zur Abwechslung Vorbildliches zu berichten hat, hat der CDU-Politiker und Ministerpräsident von Sachsen gleich in mehrer Hinsicht den Kürzeren gezogen. Erstens sitzt er in häuslicher Quarantäne, und die scheint dem armen Michael Kretschmer so gar nicht zubekommen. Er blickt traurig und betrübt drein und ist ganz blass ums Nässchen rum, als hätte er seit Monaten die Sonne nicht gesehen. Und hätte der arme Mann, dessen Erscheinungsbild beinahe – beinahe! – herzerweichend nach einer Umarmung schreit, nicht schon genug gelitten, muss er jetzt auch noch ausgerechnet in dem Bundesland regieren, in dem die letzte große Coronademo stattfand.
Da kann er zwar wahrscheinlich genauso wenig was dafür wie Malu für den Impfstoff, trotzdem sitzt das Entsetzen wohl sehr tief. Dass die Coronaleugner nun unbedingt bei ihm rumtoben mussten, fand er „furchtbar“. Die Bilder von der Demo – ohne Abstand und ohne Masken – seien für ihn beängstigend, gerade wenn er die Bilder aus dem zutiefst gespaltenen Amerika sieht. Nun könnte man sich fragen, welche amerikanischen Bilder er meint, und dabei den gleichen Fehler machen wie ich zuerst. Ich habe bei dem Anblick der Coronademo instinktiv an die Bilder der Democrats denken müssen, die genauso ohne Maske und Abstand jüngst auf den Straßen feiern. Aber das meinte er natürlich nicht, sondern die furchtbare Spaltung zwischen Republicans und Democrats. Ja, Herr Kretschmer, es wäre wirklich unvorstellbar und extrem tragisch, wenn es in Deutschland auch eine Unterscheidung zwischen politischen Lagern geben würde. Zum Glück ist es hier noch nicht so weit.
Ebenfalls irritiert von den Corona-Leugnern ist der nächste Gast Stefan Kluge. Er ist Direktor der Klinik für Intesivmedizin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und hat offensichtlich berufsbedingt ab und zu mal was mit Intensivmedizin zu tun. Trotzdem ist er überrascht, dass selbst die Coronaleugner unter seinen Patienten Intensivmedizin in Anspruch nehmen – so als ob man die eigentlich aus Überzeugungsgründen abweisen müsste, selbst wenn man schon sein Leben in Bildern vorbeirauschen sieht. Ansonsten hat er nicht viel und auch nicht viel Interessantes gesagt.
Viel gesprochen aber trotzdem auch nichts Interessantes gesagt hat Alena Buyx. Sie ist ihres Zeichens die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Wie es ihr Beruf wahrscheinlich verlangt, hat sie ein Talent darin, sehr lang über nichts zu reden. Das war wohl sogar Illner zu viel, die sie immer wieder sehr abrupt unterbrach. Das machte Alena aber gar nichts aus, sie lächelte einfach darüber hinweg. Eine ähnliche Taktik wie der letzte Gast Peter Kremser. Die Vertreter für Biontech müssen kurz vorher abgesagt haben, denn der Naturwissenschaftler ist der Studienleiter des Konkurrenz-Impfstoffs von CureVac. Er machte gute Miene zum bösen Spiel und lächelte einfach über die Tatsache hinweg, jetzt höchstens noch Zweiter werden zu können. Auf alle Fragen von Illner reagierte er positiv und unparteiisch. Welchen Impfstoff von beiden die Regierung jetzt fördern sollte? Nun, der gute Mann ist nicht verwöhnt und zeigt sich froh, dass die Wissenschaft überhaupt gefördert wird. Und er als Naturwissenschaftler ist ja nur froh, dass es überhaupt einen Impfstoff gibt. Wie man wissen kann, dass es keine Nebenwirkungen gibt? Weil die bisherigen Daten das so zeigen. Na dann ist ja alles super.
Die größte Sorge der Ethikratsvorsitzenden ist, dass sich jemand in der Priorisierungsliste vordrängelt. Der Impfstoff muss zuerst bei denen ankommen, die ihn brauchen, denn leider wird es ja nicht gleich genug für alle geben. Über den möglichen Ernst der Dinge ist sich keiner bewusst, alle wiegen sich gegenseitig mit ihrem Singsang in den Schlaf.
Wenn die Gäste nichts bringen, müssen es die Einspieler richten
Einen Vorteil hat die Langeweile allerdings. Normalerweise geht es bei Illner heiß her. Da es dieses Mal nur in halber Geschwindigkeit voran ging, hatte man die Möglichkeit, sich die Produktion genauer anzuschauen. So gibt es bei Illner immer kleine Informationsfilmchen, dieses Mal mindestens drei Stück. Im ersten ging es um die bloße Botschaft, dass der Impfstoff da ist. Während Merkel in einem Ausschnitt ihrer Rede erklärt, dass es jetzt Hoffnung gibt, zum alten Leben zurückzukehren, hört man Musik – Musik die einem als fleißiger Filmzuseher bekannt vorkommt. Sie ist emotional, rührend und hoffnungsvoll. Es ist das Gitarrensolo aus „Fix You“ von Coldplay. Und in der Szene, in der ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, geht es um ein Attentat, bei dem einer Kongressabgeordneten in den Kopf geschossen wird – alle Nachrichtensender erklären sie für tot, bis plötzlich die Nachricht rein kommt, dass sie doch überlebt hat. In der Szene wurde genau die gleiche Filmmusik gespielt wie bei Illner. Das ZDF hat also ganz tief in die Manipulationskiste gegriffen, während zu der musikalischen Untermalung Bilder von Konzerten, Menschen, die sich in den Armen liegen, und einem küssenden Paar auf der Prideparade gezeigt werden.
Im dritten Film wird es besonders interessant. Zum Anfang geht es um den Lockdown. Man sieht leere Geschäfte und Straßen, Schilder, die auf Maskenpflicht im Freien hinweisen und man hört – fröhliche, lockere Musik. So als sei alles in Ordnung. Der Film endet mit den letzten Coronaprotesten. Als man nach dem Cut wieder Illner im Portrait sieht, hat sie plötzlich einen anderen Hintergrund.
Nachdem auf der Bildschirmwand hinter ihr vorher nur unauffällige Coronaviren-Kugeln umher schwammen, leuchtet nach dem Filmchen zu den Coronaleugnern plötzlich im grellen Lila ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Intensivstation“. Zufall oder eine versteckte Botschaft? Wer weiß. Nachdem Illner durch das Geblubber ihrer Gäste fast genauso schläfrig wird wie ihre Zuschauer, verspricht sie sich in ihrer Verabschiedung. Ich weiß nicht, ob ihr Schlusssatz „Kommen Sie gut durch die Nacht“ auch als Drohung verstanden werden sollte, aber ich fühlte mich mit meinem doppelten Espresso in der einen Hand und den Notizen über ihre langweilige Folge in der anderen persönlich angesprochen.