Offensichtlich gerät die Unabhängigkeit der Gerichte immer mehr in Gefahr. Sie gilt, wenn regierungsnahe Entscheidungen getroffen werden. Aber sie gilt nicht, wenn Gerichte sich für das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit entscheiden.
Das Bautzener Oberverwaltungsgericht genehmigte die Querdenker-Demonstration am vergangenen Wochenende mit gut 20.000 Teilnehmern in der Leipziger City. Dafür gerieten die Richter unter Beschuss bis hin zu persönlichen Unterstellungen, sie seien selbst sogenannte „Corona-Leugner“. Ein ungeheuerlicher Vorwurf.
Daraufhin musste sich OVG-Präsident Erich Künzler gegen solch üble Anwürfe sogar öffentlich rechtfertigen. Er wies Unterstellungen um eine ideologisch motivierte Entscheidung klar zurück. In vielen Äußerungen seien – weit über legitime Kritik hinaus – selbst Vermutungen angestellt worden, dass die Richter des OVG Bautzen „Corona-Leugner“ seien. Es sei eine absurde Annahme, dass Richter in Bautzen mit Verschwörungstheoretikern sympathisierten, verteidigt sich Künzler. Selbst der frühere sächsische Justizminister Geert Mackenroth hatte den OVG-Beschluss kritisiert.
Urteilsbegründung hat Kritiker zurecht gestutzt
Was bundesweite Medien nicht gerne berichten, findet ab und zu noch in den Regionen statt. Leipzigs Bild-Zeitung recherchiert und kommt zum Ergebnis: „Warum das OVG mit der Demo-Entscheidung doch Recht hatte“, lautet die Schlagzeile im Lokalteil – völlig gegen den allgemeinen Medientrend.
Gerichtsurteile würden doch nicht die Richter aus der Pflicht entlassen, „Antwort und Rede zu stehen auf die Frage, wie kommt es zu einer solchen Wertung des allgemeinen Demonstrationsrechts über dem Recht auf körperliche Unversehrtheit“, kritisiert Jung.
Die jetzt vorliegende Urteilsbegründung der Bautzener Richter zeige aber: „Formal hatte das OVG recht“, berichtet Bild Leipzig. Denn anders als in den sozialen Medien kolportiert, hätten sich die Richter des Oberwaltungsgerichts Bautzen eben nicht vermessen, als sie die Demo-Fläche mit über 111.000 Quadratmeter angaben. Kritiker aus dem Rathaus monierten, der Hauptdemonstrationsort, der Leipziger Augustusplatz mitten in der City, umfasse nur 38.000 Quadratmeter, und sei damit von vornherein zu klein gewesen, um genügend Abstand zu halten.
Doch das ist falsch! Fakten checken gehört offensichtlich nicht zum Handwerk der Empörer. Denn die „Querdenker“ hatten ihre Versammlung nicht nur für den Platz, sondern auch für Teile des Stadtrings (s. Karte) angemeldet. Das heißt: Es gab sogar genug Platz für mehr als jene 16.000 erwarteten Teilnehmer!
Das OVG Bautzen hatte also in der Tat richtig entschieden.
Dass Oberbürgermeister Jung und sein Rathaus davon nichts wussten, sei unwahrscheinlich, schreibt Bild Leipzig. Noch am vergangenen Freitag hatte die Stadt selbst eine Auflistung aller Demos verschickt, in der genau jene Flächen den „Querdenkern“ zugeordnet waren. Und die angemessene Antwort haben die Richter mit dem richtigen Maß jetzt gegeben.
Am Mittwoch beantwortete der Leipziger Ordnungsdezernent Heiko Rosenthal (46, Linke) zudem auch die Frage, warum dennoch mehr als 16.000 kommen durften: „Es wäre zu Menschenansammlungen an den Absperrungen gekommen und die Teilnehmer hätten sich dann in der City verteilt. Wir wollten die Lage aber auf dem Augustusplatz halten.“
Dennoch wurden im Leipziger Stadtrat die Veranstalter der Kundgebung, die Polizei, das OVG und Innenminister Roland Wöller (CDU) für ihre Maßnahmen und Entscheidungen von den rot-rot-grünen Mehrheit heftig kritisiert – moderat begleitet von der städtischen CDU.