Die Große Koalition darf bei Anne Will am Sonntagabend zur besten Sendezeit den Abgang von Donald Trump diskutieren und was aus den USA jetzt mit sich selbst wird. Ja, das ist ungefähr so sinnvoll, wie Tennisspielen oder Boxen ohne Gegner.
Die AfD hatte – gemessen an den Twittermeldungen ihrer Vertreter – mit großem Bedauern angemeldet, dass Trump sich abmeldet. AfD-Bundestagsabgeordnete schickten Trump Gratulationsschreiben, als dem Gratulierten längst klar gewesen sein muss, dass er mit der Auszählung der Briefwahl möglicherweise scheitern wird.
Der Oppositionsführer, der also noch am ehsten etwas über eine Faszination für Donald Trump erzählen könnte, darf nicht. Und den Öffentlich-Rechtlichen ist das wieder einmal nicht peinlich. Deshalb werden wir auch nicht müde, in Litanei immer wieder daran zu erinnern. Die ARD gibt also bei Anne Will den beiden GroKo-Bros Heiko Maas (SPD) und Armin Laschet (CDU) die Gelegenheit, mal ein bisschen so zu tun, als gäbe es da irgendwelche hörenswerten Nuancen in ihrem Bild von Trump.
Aber natürlich ist Laschet nicht einmal das. Er ist kein Nostaligiker, Armin Laschet will einfach nur Merkel werden. Und ja, hier ist er auf einem guten Weg. Auch muss er auf diesem Weg die Medien nicht fürchten, sie sind auf der Merkel-Seite. Wo sich Donald Trump vom Gegenwind hatte ins Weiße Haus tragen lassen, könnte Laschet ganz weich und lauwarm aus der Nähe der Kanzlerin mit einer leichten Brise ins Kanzleramt gepustet werden, fast so sanft, wie eine Wimper von der Wange abfällt, wenn man genau hinschaut.
Keine Sorge, auf den ebenfalls bei Anne Will zur Plauderei unter Gleichgesinnten eingeladenen Außenminister Heiko Maas müssen wir hier nicht näher eingehen – jedes Wort zu viel, Maas ist per Bildschirm zugeschaltet. Da sitzen also zwei Spitzenpolitiker, die den politischen Gegner über Jahre, ohne mit der Wimper zu zucken, diffamiert und diskreditiert haben. Absichtsvoll, auf Kosten des inneren Friedens und mit dem Hauptziel des unbedingten Machterhalts für ihre Parteien. Ja, wenn es um Trump und die Spaltung der USA geht, müssen diese schweren Karteikarten der beiden Herrn schon gezogen werden.
Nein, Maas und Laschet sitzen nicht mit Will alleine da. Ebenfalls eingeladen über die US-Wahl und ihre Folgen zu reden, sind die US-Professorin Lora Anne Viola von der Freien Universität Berlin, Klaus Brinkbäumer, Ex-Chefredakteur des Spiegel und also auch als langjähriger medialer Stichwortaufnehmer der GroKo einbestellt.
Nein, kontroverse Stimmen müssen sich dann wohl erst in der Sendung und spielerisch herausschälen. Ebenfalls mit in der Runde noch Peter Rough, republikanischer US-Politikberater aus Washington, Al Sharpton, evangelikaler US-Bürgerrechtler und Hedwig Richter, Geschichtsprofessorin der Universität der Bundeswehr in München. Maas und Laschet also eingebettet in …
Nun, in was eigentlich? Hören wir mal rein. Schauen wir besonders auf Armin Laschet, die rheinländische Frohnatur will es ja noch weit bringen. Laschet spricht von der Freude der Menschen auf den Straßen Amerikas. Und er sagt es tatsächlich so überschwenglich, als wäre ein Diktator abgewählt. Dass Trump quantitativ sogar noch mehr Stimmen bekommen hat als bei seiner Wahl zum Präsidenten vor vier Jahren, interessiert Laschet nicht oder er weiß es nicht einmal. Auch nicht, dass mindestens knapp die Hälfte der US-Amerikaner nicht auf den Straßen feiern war.
So beginnt dann diese Sendung. Anne Will weiß schon mehr als Amerika, spricht von Legenden rund um Wahlbetrug, die Trump gesponnen hätte. Vergisst dabei aber zu erwähnen, dass auch die deutschen Medien dieses US-amerikanische Wahlsystem immer nur da als marode und fehleranfällig bemängelt haben, wo es Donald Trump hätte helfen können. So war das schon vor vier Jahren.
Heiko Maas ist unser Außenminister, im Moment bei Anne Will muss er sich allerdings mit seinem kaputten Mikrofon am Laptop herumquälen, so wie wahrscheinlich hunderttausende zur Zeit im Corona-Home-Office. Dabei hatte Maas das alles so gut inszeniert, dieser atmosphärisch abgedunkelte Raum hinter ihm, diese dezente Dunkelheit um seine außenpolitische Lichtgestalt herum – und nun das. Oder ist es gar kein kaputtes Mikrofon, sondern eine Art verbale Abgespanntheit? Die Wahl in den USA ist noch nicht abschließend bestätigt, aber Maas verkündet schon mal den neuen Präsidenten mit Grußbotschaft an Biden, vom eingeblendeten Bildschirm aus, über den hinausblickend man als Zuschauer die anderen Gäste sehen kann. Little Brother is watching you.
Professorin Hedwig Richter ist gut drauf. Sie strahlt über das ganze Gesicht noch beim Erklären des komplizierten US-Wahlrechtssystems und wie es nun weitergeht. Also die angehenden Offiziere in München haben jedenfalls mit Richter ein As im Ärmel, soviel ist klar. Richter weiß um den Compromise of 1877, damals wurde die heftig umstrittenen Präsidentschaftswahl von 1876 geregelt. Seitdem lief es aber rund. Ist 2020 das neue 1877?
Und schwupps wird Maas ausgeblendet und ein junger Mann erscheint plötzlich auf dem Bildschirm. Hinter sich eine Aufnahme des Weißen Hauses: US-Politikberater und Republikaner Peter Rough findet es vollkommen legitim, darauf zu beharren, dass „jede legitime Stimme ausgezählt wird.“ Heiko Maas war das zuvor auf demselben Bildeschirm eher wurscht. Rough versteht auch nicht, warum republikanische Wahlbeobachter teilweise aus bestimmten Wahlkokalen verwiesen wurden oder warum die Briefwahlunterlagen in Massen an Leute verschickt wurden, die diese gar nicht beantragt hatten. Rough erinnert die Runde noch daran, dass es dem Präsidenten rechtlich durchaus zusteht, das Wahlergebnis anzuzweifeln.
Der Ex-Spiegel-Chefredakteur startet spaßig, wo er dem deutschen Publikum erzählen will, Machtverlust sei in Demokratien nun einmal „Teil des Systems“. Wem will er das erzählen? Etwa den Jungwählern, die eigentlich gar nichts anderes kennen in ihrem Leben in Deutschland als eine Bundeskanzlerin Angela Merkel? Die USA haben gewählt. Möglicherweise muss Trump gehen, während in Berlin die Spinnweben immer dichter werden.
Maas sagt, die Bundesregierung gratuliere überall, wo auf der Welt eine demokratische Wahl gewonnen werde. Nun gehört der Bundespräsident nicht zur Bundesregierung, der aber hatte zuletzt den revolutionären Mullahs im Iran gratuliert. Nein, nicht zur Wahl, sondern zum Jahrestag der Khomeini-Revolution. Maas gibt noch Tipps, wie man das „total gespaltene und polariserte“ Amerika wieder zusammenfügen könnte. Währenddessen schreitet die Spaltung Deutschland munter weiter voran und wird auch von Maas weiter befeuert – nein, bigotter geht es kaum. Maas weiß, was die Vereinigten Staaten „im Moment brauchen“. Das sind die Ratschläge eines sozialdemokratischen Gernegroß‘ und Spalters an der Seite der übergroßen Bundeskanzlerin.
22:06 Uhr wird Maas dann einvernehmlich besprochen abgestellt. Sein Auftritt war nur ein kurzer, dafür ein auch inhaltlich etwas spärlicher, was nicht nur an der Tonqualität gelegen haben kann.
Über 70 Millionen Wähler haben Trump gewählt, aber die seien nach der Wahl nicht einfach weg, erwähnt Anne Will fast so, als wäre ihr das eben erst klar geworden wie eine Erleuchtung. Dann kommt ein weiterer Einspieler, der über einen Film erzählt, der „Der Wahn“ heißt und von – na klar – dem anwesenden Ex-Spiegel-Chefredakteur gedreht wurde.
Die Anti-Trump-Show geht lustig weiter, das Stimmchen des Republikaners Rough ist da längst verklungen. Der Ex-Spiegel-Mann also in den USA auf den Spuren einer Spaltung der US-Gesellschaft, während der Spiegel zu Hause in Deutschland Speerspitze einer heimischen Spaltung ist, wie sie die Bundesrepublik wohl so noch nicht erlebt hat seit 1949.
Inhaltlich wird hier nichts neues erzählt. Laschet soll noch sagen, ob er es, ebenso wie Maas, Joe Biden zutraut, Amerika wieder zu einigen. Der hätte dem (hier macht Laschet eine abfällige Geste) „Kampf gegen das Establishment einen ruhigen und sachlichen Wahlkampf entgegengesetzt“. Oha, eine unerlaubte Erkenntnis? „gegen das Establishment” – wie politisch inkorrekt!
Die Antifa-Kampftruppen auf Amerikas Straßen, ebenso wie die Black-Lives-Matter-Übergriffe haben allerdings die Arbeit von Joe Biden mit erledigt, analog, wie das die GroKo in Deutschland von ihren außerparlamentarischen Kampftruppen, von Antifa, NGOs und der so genannten Zivilgesellschaft gemacht bekommt. Das ist die schöne neue Welt, der auch Armin Laschet hier bei Anne Will das Wort redet.
Was für ein Geplätscher, so einseitig und einig. Sollte das schon die Vorschau sein für GroKo-Wahlkampfhilfesendungen von jetzt an bis zum Wahlabend im Herbst 2021? Wer da noch zuschaut, der muss bitte erklären, wie das möglich ist, welche Medikamente oder illegalen Drogen das möglich machen. Es ist möglich: Die eigentlich recht sportlichen 45 Minuten (Plasberg mit Hart aber fair hat 75 Minuten Zeit) ziehen sich wie ein ausgelutschtes Kaugummi dahin.
Will: „Ist alles wieder gut?“
Brinkbäumer: „In Amerika alles wieder gut?“
Will: „Ne, nä?“ (lacht)
Brinkbäumer: „Nein, nein, nein.“ (lacht)
So geht heute öffentlich-rechtliches Fernsehen zur besten Sendezeit, wenn in Talkshows keine zweite Meinung mehr eingeladen, der Graben auch von hier aus immer tiefer gebuddelt wird und die Grabenbauer dann einwenden: Warum nur? Wenn ihr keine zweite Meinung mehr haben wollt, dann ist doch alles wieder gut. So wie bei uns, so auch in den USA.
Für Brinkbäumer spaltet sich die Gesellschaft, wenn Facebook und Twitter nicht schärfer zensieren und wenn neue Medien den etablierten Medien Konkurrenz machen. Der Ex-Spiegel-Chefredakteur meint über andere Medien, dass sich dort der Hass blendend verkauft – aber warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah?
Egal ob Brinkbäumer, Laschet oder Maas – natürlich auch Anne Will – die Damen und Herren kennen sich blendend damit aus, irgendein Schuldbewusstsein für die Situation im eigene Land sehr weit von sich zu weisen. Also wird es wohl zukünftig auch am Bürger liegen, Anne Will und diesen Herren ihr Tun wieder in den Vorgarten der Erinnerungen zurückzukippen, bis das zufriedene Grinsen ein stückweit einfriert und mindestens einem Schamgefühl Platz macht. Zum Wohle aller übrigens.