Es klingt wie ein Stück aus dem Tollhaus. Und das ist es auch. Während die Gesundheitsämter wegen der Corona-Krise an ihre Belastungsgrenzen stoßen und Soldaten bereits zur Unterstützung eingesetzt werden müssen, schickt der Bund in den nächsten vier Jahren rund 4.000 körperlich und geistig gesunde Beamte ab dem 55. Lebensjahr in einen sogenannten engagierten Ruhestand. Erfahren soll die Öffentlichkeit von diesem Vorruhestandsprogramm nichts. Die Große Koalition nutzte Kniffe im Gesetzgebungsverfahren, um die Maßnahme unbeobachtet durchs Parlament zu bringen.
Generalmajor Carsten Breuer vom Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr hat inzwischen 6.100 Soldaten für den Einsatz bei zivilen Behörden im Zusammenhang mit Corona-Bekämpfungsmaßnahmen im Einsatz. Die Anträge von 220 Gesundheitsämtern auf Amtshilfe hätten positiv beschieden werden können, so der Generalmajor in einer Mitteilung. Die Amtshilfe der Bundeswehr reicht jedoch vorne und hinten nicht aus. So konnten in Köln vom dortigen Gesundheitsamt 800 positiv auf Corona getestete Personen nicht über die Testergebnisse informiert werden. Es gab dafür nicht genug Personal.
Vom „Gesetz zur Modernisierung des Versicherungssteuerrechts und zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften“ (Bundestagsdrucksache 19/21089) haben der Generalmajor und die Leitung des Kölner Gesundheitsamtes vermutlich noch nie etwas gehört oder gelesen. Das sollen sie auch nicht und die Öffentlichkeit schon gar nicht, denn hinter diesem unscheinbar klingenden Titel einer Steuerrechtsänderung verbergen CDU/CSU und SPD die Verlängerung einer lukrativen Vorruhestandsregelung für ehemalige Postbeamte. Um sicherzugehen, dass das Thema seinen Weg nicht in die Öffentlichkeit findet, versteckten die Koalitionsfraktionen die Vorruhestandsregelung im „Änderungsantrag Nummer 3“ zum Versicherungssteuergesetz und bauten den Passus im Finanzausschuss des Bundestags Ende Oktober in den Gesetzentwurf ein. Schon einen Tag später wurde das um den Postbeamten-Ruhestand ergänzte Gesetz im Parlament beschlossen.
Eine Vorruhestandsregelung für Beamte der früher staatlichen Post gab es bereits seit 2006. Die Befristung wurde mehrfach verlängert und zuletzt in einen sogenannten engagierten Ruhestand umfrisiert. Für die Betroffenen – in einer früheren Bundestagsdrucksache (Nr. 18/11559) ist von 1.000 Fällen pro Jahr die Rede, was 4.000 Frühpensionierungen bis zum Auslaufen der neuen Regelung im Jahr 2024 bedeutet – ist die Regelung äußerst attraktiv. Sie können ab dem vollendeten 55. Lebensjahr in einen sogenannten versorgungsabschlagsfreien vorgezogenen Ruhestand gehen. Das bedeutet: Die Pension ist so hoch, als wenn diese Beamten mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand gehen würden. Einzige kleine Bedingung: Für ihre Versetzung in den Ruhestand müssen die ehemaligen Postbeamten einen Bundesfreiwilligendienst ableisten „oder eine nach Art und Umfang vergleichbare ehrenamtliche Tätigkeit bei einer Körperschaft, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verfolgt, ausüben“.
Das heißt: Wer fit genug ist, als Trainer im Sportverein oder als Messdiener in der Kirchengemeinde einige Stunden in der Woche abzuleisten, kann ohne Abzüge in den vorzeitigen Ruhestand gehen.
Auf den Gedanken, diese Staatsdiener in die Gesundheitsverwaltung zum Beispiel in Köln abzuordnen, wo sie wie früher bei der Post zum Beispiel auch Adressen zu überprüfen hätten, kam die Koalition nicht. Dass die Maßnahme gut versteckt werden musste, war den Beteiligten aber offenbar bewusst. Denn im Finanzausschuss des Bundestages haben Gesetze zur Beamtenpensionierung nichts zu suchen. Dieser Bereich fällt in die Zuständigkeit des Innenministeriums und somit in einen anderen Ausschuss. Auch für Post-Belange ist nicht das Finanzministerium, sondern das Wirtschaftsministerium zuständig.