Der Islamkritiker und Buchautor Hamed Abdel-Samad hatte einen denkwürdigen Auftritt in der Fernsehsendung 3sat-Kulturzeit am Dienstag, also unmittelbar nach dem Anschlag von Wien, life zugeschaltet aus Beirut:
„Ich sage, ich als Islamkritiker und viele andere Islamkritiker müssen ja ihre Bewegungsfreiheit beschränken, die leben in Angst, wir leben unter Polizeischutz. Ich wechsele meine Wohnung alle drei, vier Monate. Aber ein Gefährder, ein Salafist, ein Islamist können sich frei bewegen oder sogar auch Menschen umbringen. Irgendetwas läuft schief in diesem Land, in diesem Kontinent. Europa ist dabei, seine Werte aufzugeben zugunsten von einem komischen Verständnis von Toleranz.
Und ich höre seit dem 11. September nur die gleichen Sonntagsreden „Wir dürfen den Intoleranten nicht mit Toleranz begegnen. Wir kämpfen mit aller Vehemenz gegen Terrorismus.“ Aber ich sehe keine Strategie, ich sehe keine Konzepte, ich sehe, dass man versucht hat, sogar Islamisten ins Boot zu holen – türkische Organisationen, Erdogan-Anhänger.
Und am Ende hat man aber nicht erreicht, dass wir den Terrorismus bekämpfen, sondern den Islamismus stärken. Mit dieser falsch verstandenen Toleranz haben wir nicht Minderheiten geschützt, sondern eher Islamisten gestärkt, Rechtsradikale gestärkt und die Demokratie geschwächt.“
Die Moderatorin kommt dann auf Abdel-Samad Buch und dessen These zu sprechen, dass eine unsichere Identität jene, die neu dazu kommen, nicht zur Integration einlade. Sie fragt, was Deutschland zu einer gefestigten Identität fehle. Abdel-Samad antwortet:
„Vor allem Selbstbewusstsein. Ich sehe Schuldkult, Schuldbewusstsein, aber kein Selbstbewusstsein. Eine auf Schuld basierende Identität lädt weder Deutsche noch Migranten dazu ein, diese Identität zu umarmen. Im Gegenteil, das ist eine Identität, die abstoßend wirkt. Man muss an seine eigenen Werte wirklich glauben und man muss diese Werte artikulieren. Und auch wenn Migranten kommen, und sagen: Das sind unsere Werte und jeder muss sich daran halten. Wir zeichnen Propheten, Päpste und Politiker. Wir ziehen jeden durch den Kakao.
Aber irgendwie wissen wir nicht, was wir von Migranten verlangen können. Wir wissen, was wir ihnen anbieten können: Sprachkurse, Integrationskurse und so weiter. Aber wir wissen nicht, was wir von ihnen verlangen können. Wir haben Integrationsangebote, aber keine Integrationsgebote. Wir haben keine Sanktionsmöglichkeiten. Jeder kann bei uns machen, was er will. Sie lachen über uns mittlerweile, weil sie haben den Eindruck, wir sind schwach, wir nehmen unsere Werte nicht ernst. Und ich sehe, dass wir nicht so entschlossen für unsere Werte eintreten wie die Islamisten für ihre schlechten Werte. …
Wir haben die Aufklärung zugunsten einer falsch verstandenen Toleranz aufgegeben, zugunsten von Multikulti und Ethnologie-Fetischismus. Das geht nicht. Deutschland muss wieder zeigen, was dieses Land ausmacht. Wir sind gerne ein offenes Land, aber wir müssen auch Grenzen zeigen und Sanktionen gegenüber Islamisten, aber auch natürlich Rechtsradikalen zeigen. Aber das Land ist gerade irgendwie so lasch. Die bürgerliche Mitte zieht sich in Komfortzonen, intellektuelle und emotionale Komfortzonen (zurück). Und die Ränder wachsen und bestimmen die Themen. So schwächst sich die Demokratie selbst. So schwächt sich die westliche Zivilisation selbst. Und: Der Islamismus ist nicht die größte Gefahr für die westliche Zivilisation und auch für Deutschland, sondern dass diese Zivilisation, diese Kultur sich selbst aufgibt.“