Alle Zeichen stehen auf Umbruch bei Daimler: bei den Wirtschaftszahlen, in der Vertriebspolitik und der Produktionstechnik, bei der Kapazitäts- und Personalplanung, vor allem bei den fixen Personalkosten, und am wichtigsten: in der langfristigen strategischen Ausrichtung des gesamten Konzerns.
Hat Daimler-CEO Ola Källenius die Trendwende geschafft? Seit der junge Schwede – ein Daimler Hausgewächs – vor gut einem Jahr (am 22.Mai 2019) kurz vor seinem 50. Geburtstag die Nachfolge von Dieter Zetsche im Chefsessel des Daimler-Konzerns angetreten hat, sind die Dinge beim traditionell behäbigen Nobelhersteller in Bewegung geraten. Strategiewechsel war angesagt oder wie das Manager Magazin kurz und bündig titelte: „Källenius wickelt Zetsche ab!
Ja, das auch, aber das allein als Bewertung der einjährigen Amtszeit des Schweden zu nehmen, wäre zu kurz gesprungen. Die Corona-Krise sorgte nicht nur bei BMW und Audi für tiefrote Zahlen, sondern hat dem Nobel- Autokonzern in Stuttgart schwer zugesetzt. Was Vorstandschef Källenius den Spielraum eröffnete, seinen ohnehin eingeschlagenen Sparkurs weiter zu verschärfen. Mehr noch: Plötzlich wurden Strukturveränderungen im Konzerngefüge möglich, die ohne die Coronakrise so nie möglich gewesen wären. Womit die Worte meiner weisen saarländischen Großmutter sich wieder bewahrheiten: „Et gebt neicht schlechtes, wo nit enoch wat guudes dabei rauskemmt!“ Obendrein sorgte die Transformation von Verbrenner- zu Elektromotoren für zusätzlichen Kosten- und Reformdruck.
Källenius hatte also zwei Baustellen, die ihn ersichtlich auch physisch sehr in Anspruch nehmen:
- zum einen die Beseitigung der strukturellen Strategieschäden, die Zetsche in den letzten Jahren seiner Amtszeit mit dem Fokus auf Masse und Mobilität angerichtet hatte;
- zum anderen die Verhinderung weiterer Verluste und die schnellstmögliche Rückkehr in die Gewinnzone. Oder wie Ex-Vorstand Wolfgang Bernhard seinerzeit –vor seiner Entlassung – seinem Konzernchef Jürgen Schrempp empfohlen hatte: Stop bleeding!
Und Källenius stoppte die Blutung!
Die Corona-Pandemie machte den ganzen schönen Ergebnisverbesserungsplänen einen Strich durch die Rechnung. Der Konzern rauschte im 1. Halbjahr 2020 tief in die roten Zahlen:
- Im zweiten Quartal fuhr der Konzern rund zwei Milliarden Euro Verlust ein. Personalkosten mussten sinken. Standortübergreifend war in den Medien sogar der Abbau von 10 000 bis 15 000 der weltweit rund 300 000 Stellen im Gespräch – natürlich vom Betriebsrat sofort dementiert. Von der Konzernleitung wurde lediglich immer wieder auf möglichst sozialverträgliche Lösungen hingewiesen
- Dazu kam es dann auch. Daimler-Vorstand und Gesamtbetriebsrat einigten Ende Juli auf Eckpunkte zur Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit. Konkrete Zahlen zum Personalabbau wurden nicht genannt.
- Die wesentlichen Maßnahmen der Einigung sahen vor:
- Reduzierung der Wochenarbeitszeit in der Verwaltung und in den produktionsnahen Bereichen vom 1.10.2020 bis 30.09.2021 in der Regel um zwei Stunden ohne Lohnausgleich..
- Entfall für alle Beschäftigten in Verwaltung und Produktion die Ergebnisbeteiligung für das Geschäftsjahr 2020 – angesichts roter Zahlen ein erträgliches Opfer.
- Der Absicht von Källenius, gemeinsam mit dem Betriebsrat die langfristigen strukturellen Themen anzupacken und zu lösen, wurde von Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht nicht widersprochen. Die vereinbarten Eckpunkte waren seiner Meinung nach ein deutlicher Beitrag zur Sicherung der Beschäftigung und Stabilisierung der Konzern- Finanzlage. Niemand sollte sich in seiner Existenz bedroht fühlen, mehr noch, die Beschäftigung bei Daimler sei bis 2030 gesichert, betriebsbedingte Kündigungen blieben ausgeschlossen.
Mit diesen Maßnahmen reagiert das Unternehmen auf die Verschärfung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie. Und hatte Erfolg., wobei nicht nur die internen Kostensenkungen, sondern vor allem eine unerwartet starke Erholung des chinesischen Marktes die Zahlen schönte. Daimler-Chef Ola Källenius konnte trotz Coronakrise den Aktionären ein überraschend gutes drittes Quartalsergebnis vorlegen.
Der Umschwung in den Geschäftszahlen vom 2. Zum 3. Quartal war erheblich:
Der Stuttgarter Autobauer Daimler hat im dritten Quartal 2020 alle wesentlichen Absatz-und Finanzkennzahlen gegenüber dem verlustreichen 1. Halbjahr, teilweise sogar gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresquartal deutlich steigern können.
- Das globale Absatzniveau lag bedingt vor allem durch die unerwartet starke Corona-Erholung in China mit insgesamt 613.770 Pkws erstmals im laufenden Jahr über einem Vorjahresquartal (+3,9%). China wurde dadurch im dritten Quartal wichtigster Treiber für den Pkw-Absatz von Mercedes-Benz (+23,4%).
- Auch im Heimatmarkt Deutschland lag mit den vergangenen drei Monaten erstmals seit Jahresbeginn ein Quartalsabsatz über dem Vorjahr (+4,0%).
- In der Produktion kam diese Erholung aufgrund des Abbaus von Lagerbeständen vorerst aber nicht an.
- Die Finanzlage hat sich strikte Kostensenkungsprogramme im Personal-und Investitionsbereich deutlich verbessert. Das Personal wurde global um 2 Prozent auf 291.000 abgebaut, die Sachinvestitionen radikal um 33 Prozent, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um 15 Prozent gekürzt.
- Der Konzern hat nicht nur einen deutlichen Gewinnsprung hingelegt, sondern auch den höchsten Barmittelzufluss im operativen Geschäft verzeichnet, seit Ola Källenius als CEO agiert. Der Cashflow hat sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt (+82 Prozent), der EBIT lag um 14 Prozent, das Konzernergebnis um 19 höher als im Vorjahresquartal.
- Folge: Die Gewinn Prognose für 2020 wurde angehoben, aber auch immer wieder betont, dass die Verluste bei Absatz, Umsatz und Ergebnis aus dem 1. Halbjahr 2020 nicht wieder aufzuholen sein werden., die Vorjahreszahlen nicht zu erreichen seien.
- Bemerkenswert für Beobachter jenseits der Finanzanalyse ist, dass Daimler dank des Absatzes von Elektroautos 2020 keine CO2-Strafzahlungen an die EU leisten muss. Und zum anderen, dass Mercedes bei Plug-In Hybriden keine Probleme mit brennenden Batterien hat, die bei anderen Herstellern zu umfangreichen Rückrufen geführt haben.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, kurzfristige Quartals Erfolge sind noch keine Trendumkehr, auch wenn sie wegen der widrigen Corona-Rahmenbedingungen Respekt verdienen. Ohne Zweifel ist Källenius dabei, den behäbigen Daimler Konzern zu beschleunigen und wieder in die Erfolgsspur zu lenken. Aber viel kurzfristig Positives ist eben doch dem Einzelmarkt China und harten internen Sparanstrengungen mit Einmal-Charakter geschuldet. Fortlaufende Absenkungen des Kostenniveaus von Quartal zu Quartal sind nicht möglich. Und ohne Kostenmasse keine Ersparnisse!
In der Langfrist-Strategie will Källenius weg von der Massenphilosophie seines Vorgängers Dieter Zetsche, der Daimler zum Mobilitätskonzern (diesmal ohne Luftfahrt) umbauen wollte. Källenius dagegen will Daimler wieder zum dem machen, wofür der Mercedes früher einmal Stand: Luxus und Exklusivität, d.h. weniger Volumen aber höhere Margen. „Marge vor Menge“, das ist die Devise. Die Marke Mercedes soll super Premium werden. „Das Beste oder nichts“, so der Anspruch. Die kommende neue S-Klasse ist Källenius -Chefsache und das non plus ultra in der Weltautomobilindustrie. Luxus und Elektronik sind so ausgeklügelt, dass bösen Zungen zufolge Kunden ihre Chauffeure zur Einweisung nach Stuttgart entsenden müssen.
Källenius selber sagt zu seiner Unternehmensphilosophie: „Wir brauchen einen Kulturwandel.“
Nichts in großen Industrieunternehmen ist schwieriger als das! Insofern steht die aktuelle Verbesserung in den Wirtschaftskennzahlen noch auf wackeligen Beinen. Eine Trendumkehr ist sie noch nicht. Dazu braucht es laut Källenius einen „Marathonlauf“, denn „kurze Sprints reichen nicht aus“.
Dieter Zetsche ist diese Anstrengung offenbar zu groß: Er hat auf die für Frühjahr 2021 geplante Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes, bei seinem Ausscheiden mühsam eingefädelt, inzwischen verzichtet.