Zum Sonntag Abend meldete das Robert Koch-Institut mehr als 166.000 aktive Corona-„Fälle“ in Deutschland. Die 7-Tages-Inzidenz pro hunderttausend Einwohner beträgt nun 114,6 „Fälle“. Die aktuelleren Zahlen des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) kommen zum Sonntagabend auf eine Inzidenz von 125 „Fällen“. Es wurden 449 Todesfälle in der Woche bis einschließlich dem 1. November gemeldet. In der Vorwoche waren es noch 255.
Wie sieht es in den Krankenhäusern aus?
Wie das DIVI-Intensivregister meldet, werden zur Zeit etwas mehr als 2.000 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen versorgt. Mehr als die Hälfte von ihnen wird invasiv beatmet. Noch letzte Woche wurden 1.300 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen behandelt. Trotzdem steht eine Überlastung des Gesundheitssystems (noch immer) nicht bevor: Es gibt beinahe 8.000 freie Intensivbetten. Durch ein Verschieben von Eingriffen lassen sich weitere Kapazitäten frei machen. Wird Personal aus anderen Abteilungen der Krankenhäuser abgezogen und an die Intensivbetten verlegt, dann ließen sich – so DIVI – innerhalb einer Woche noch einmal fast 12.800 Betten bereitstellen. Doch das wäre nicht ohne seinen Preis: Ein Absenken des Pflegeniveaus fordert auch Opfer, ein Verschieben vermeintlich aufschiebbarer Operationen auch. Pfleger auf der Intensivstation zu sein, das ist eine Spezialisierung, die besonderes Können fordert – ein Einspringen der Kollegen aus anderen Stationen ist nur auf dem Papier ohne weiteres möglich.
Die letzten Abende vor dem halben Lockdown
Ab Montag muss alles, was im weitesten Sinne als Betrieb des öffentlichen Lebens oder der Freizeitgestaltung gelten kann, schließen: Gastronomie, Theater, Fitnessstudios. Es ist kein „richtiger“ Lockdown: Es gibt keine Ausgangssperren, Geschäfte dürfen offen bleiben. Doch alles, was einen aus dem Haus treiben könnte, muss zu machen. In den Abenden vorher, Reformationstag, Halloween oder Allerheiligen (je nach präferiertem Ausgehtag und Weltanschauung) liegt eine merkwürdige Atmosphäre in der Luft. Die Kneipen sind voll: Wer kann, versucht noch einmal auszugehen, bevor das für vier Wochen nicht mehr möglich ist. Vier Wochen! Das ist der Rettungsring, an den sich die Gastronomen klammern, das Mantra, das sie vor sich her murmeln wie ein schutzversprechendes Gebet. Zumindest die, die nicht dem Fatalismus verfallen sind.
„Als Kiosk gelten wir als Einzelhandel und dürften zum Mitnehmen Bier verkaufen.“, sagt ein Mitarbeiter im „YokYok“, das nicht ganz Kiosk, nicht ganz Kunst-Galerie und nicht ganz Kneipe ist. „Bei dem Wetter und wenn sowieso alles zu hat, kommt aber keiner vorbei“. Man hält sich an die Auflagen, achtet auf Kontaktvermeidung – regelmäßig werden Gäste ermahnt, Abstand zu halten – und führt Kontaktlisten, an denen nicht einmal die Stadtpolizei etwas aussetzen kann. Doch es hilft nichts: Jetzt kommt die vierwöchige Schließung.
„In vier Wochen sehen wir uns hier wieder“, ruft die Wirtin der Bar „The Place To Be“ einem einem Stammgast hinterher. Doch grimmig sieht sie dabei aus. „Ich überlebe die vier Wochen, aber viele meiner Kollegen schaffen das nicht“, wird sie später sagen. Über die Corona-Politk der Stadtverwaltung kann sie nur den Kopf schütteln. Jetzt muss sie vier Wochen schließen und als Ausgleich hat die Stadt für das letzte Wochenende die Sperrstunde aufgehoben und durch ein Alkohol-Ausschank-Verbot nach 23:00 Uhr ersetzt. „Was soll das bringen?“, fragt sie.
„Was soll das bringen?“, fragt man sich zurecht nur ein kleines Stück weiter. Es ist Samstag, deutlich nach 23:00 Uhr; es gilt ein allgemeines Alkoholverkaufsverbot. Die meisten Gastronomen murren unzufrieden, doch sie halten sich an die Auflagen. In einer verrauchten Bar, deren Name an dieser Stelle verschwiegen werden soll, wird getanzt, gesungen und auch das Bier fließt noch beim Tanz auf dem implodierenden Vulkan. Wer die Regeln bricht, der wird belohnt in diesen Tagen. Und wenn schon, wenn die Polizei die Kneipe zumacht? Sie muss ja sowieso für vier Wochen schließen. Die Barkeeper jedenfalls haben alle Hände voll zu tun, den sich am Tresen drängenden Personen frisches Bier hin zu stellen. Gastronomen wie diese sind es, die die Politik als Ausrede für ihre „Bestrafe alle, erziehe einige“ Politik verwendet.
Diese Stimmung schlägt sich auf den Straßen nieder: Wo man hinschaut, findet man Gruppen, die Anstoßen auf ein letztes Bier und sich „bis in vier Wochen“ zurufen. Doch so muss es nicht sein, nicht jede Kneipe die in den späten Nachtstunden noch heimlich Bier ausschenkt, ist ein potenzieller Brandpunkt für Infektionen. In einem biederen Lokal in Nähe des Rathauses wird auch nach Mitternacht mit Abstand gelacht und ein Bier kriegt man auch. Wer Angst hat, sich hier zu infizieren, der darf auch nicht einkaufen gehen oder auf die Arbeit. Die Kellnerin stammt aus Polen, bedient seit 2 Wochen hier. Sie wird nach Italien weiterziehen, zum nächsten Job. Dort darf die Gastronomie bis 18:00 Uhr offen bleiben. Es gibt sie also schon, die Corona-Flüchtlinge.
Auf der großen Einkaufsstraße der Zeil steht die Polizei in Formation, wie auf dem Paradeplatz. Was passiert ist, fragt man einen. Der zuckt mit den Schultern. „Das übliche halt“. Eine Streife wurde mit Flaschen und Steinen beworfen, und „da muss man halt Präsenz zeigen“. Solche Katz-und-Maus-Spiele liefert sich die Polizei sowohl Freitag als auch Samstag.
In den Medien ist danach von Ausschreitungen die Rede. Diesmal aber ist es tatsächlich die Partyszene, die allerdings die Konfrontation mit der in Übermacht angetretenen Polizei scheut.
Aber ob diese Partyszene vier Wochen lang warten will?