Wut und Angst beherrschen die Gefühle der Massen nach den Terrortoten von Paris. Was die Eliten der Länder Europas öffentlich bekunden, wird in wenigen Tagen Geschichte sein. Wie die Mitglieder der Eliten und das „gemeine Volk“ ihre tatsächlichen Verhaltensweisen ändern, wird lange bleiben.
Die Wortführer von Pegida und Co. instrumentalisieren Paris für ihre Zwecke nach dem Motto, haben wir es nicht gesagt? Die Funktionäre der Zeitungsverleger münzen ihre Solidaritätsbekundung mit Charlie Hebdo um in die Ablehnung jeglicher Medienkritik, nicht nur der Polemik „Lügenpresse“. Und der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei benutzt die Terrormorde für seine alte Forderung nach „richtigen“ Polizisten auf Flughäfen. Alle scheinen in erschreckender Weise gar nicht zu merken, dass sie uns sagen: wir haben nichts gelernt. Sie machen weiter wie vor der menschlichen und politisch-kulturellen Katastrophe.
Was nach dem 11. September mit der Ausrufung des Krieges gegen den Terror geschah, setzt sich fort. Laute Solidaritätsbekundungen und heldenhafte Posen tun dem eigenen Ego gut und sind so verführerisch unverbindlich: weil folgenlos für einen selbst. Aber sie verstärken einen gefährlichen Trend, den zur Konformität. Entweder du gehörst zu den Bösen oder zu den Guten. Dazwischen ist nicht erlaubt. Eigene Urteile, abwägen, Informationen, Erklärungen und Argumente austauschen, alte (Vor)Urteile auf den Prüfstand stellen: nicht erwünscht. Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.
Konformität breitet sich lautlos aus. Indikator Facebook könnte es uns statistisch sagen: Um welchen Faktor haben Likes in den letzten Tagen allgemein abgenommen? Um zwei Drittel? Wie viele haben alte Likes gelöscht? Um wieviel sind Einträge zurückgegangen, die nicht dem Schwarz-Weiß-Schema folgen? Die Selbstzensur marschiert. Wie viele religionskritische Karikaturen werden nach der einmaligen Demonstration des Wiederabdrucks derer von Charlie Hebdo in den kommenden Wochen und Monaten erscheinen? Wird es überhaupt neue politische Vorschläge geben zum Thema Zuwanderung und allem was dazugehört? Oder nur ein folgenloses Gerede um mehr Sicherheit?
Das veröffentlichte Bild jedenfalls, darauf wette ich, geht schnell zur Tagesordnung über, zur alten Tagesordnung. Also zu jener, in der die Themen zu kurz kamen oder ganz ignoriert wurden, auch jene hinter dem 11 . September und dem Pariser Terror. Schönwetter-Parolen und Verhaltensweisen werden politischen und gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Problemen nicht gerecht. Sie gehören auf den Tisch einer offenen und redlichen öffentlichen Debatte, nicht unter denselben.
Ich habe da eine Frage zu den Feldern Terror, Islamismus, EU und Außenpolitik: in ihrem Schnittpunkt liegt das saudische Regime – im Moment mit der Auspeitschung als Todesstrafe für Meinungsfreiheit in Raten unübersehbar im Blick. Wie lange noch kann und will die Politik demokratischer Staaten und Bündnisse die Zusammenarbeit mit einem System fortsetzen, das die ideologische und finanzielle Basis von Salafismus, Islamismus und Terror bereitstellt?
Wo ist die Stimme der Freiheit, die sich unüberhörbar erhebt?