Kaum verabschiedet, soll sie wieder gekippt werden. Die EU-Agrarreform (die wievielte eigentlich?) wurde gerade von den EU-Staaten in Brüssel verabschiedet. Landwirtschaftsministerin Klöckner bejubelt sie als „Systemwende“. Ist sie nicht, jammert Umweltministerin Schulze und will sie weg haben. Derweil tanken Bauer ihre Traktoren und protestieren.
„Tankt die Schlepper, kocht Kaffee“, hieß es in den vergangenen Tagen immer wieder unter den Landwirten. „Land schafft Verbindung“(LSV)-Aktionsgruppen hatten zu neuen Protestfahrten aufgerufen. Während der Bauernverband, die bisherige Interessensvertretung der Landwirte, unter dem neuen alten Präsidenten über Frauenquoten im Vorstand debattiert, fahren Bauern immer wieder mit ihren Treckern vor große Zentrallager von Lebensmittelketten und blockieren sie. „Jetzt sind wir dran, wir wollen keine Restgeldempfänger mehr sein und unsere Arbeitskraft unterhalb des Mindestlohns verschenken.“
Grund ist der neue EU-Agrarpakt, der in Brüssel vom EU-Agrarrat vor einer Woche beschlossen wurde. Etwa ein Drittel des Agraretats, 345 Milliarden Euro, sollen vom kommenden Jahr an bis zum Jahr 2027 in den Agrarsektor direkt an die Landwirte gelenkt werden. Allerdings sollen die ersten Gelder erst ab 2023 fließen, bis dahin gelten noch die alten Agrarvorschriften der EU, die aufgrund von Corona um zwei Jahre verlängert wurden.
Doch Direktzahlungen sollen nicht mehr nach Fläche bezahlt werden; die Landwirte sollen nachweisen, dass sie Umwelt und Klimaschutzleistungen erbringen.
Künftig soll jedoch ein Teil des Geldes davon abhängen, ob der Landwirt weitergehende Auflagen erfüllt, die dem sogenannten „Umweltschutz“ zugerechnet werden. Er soll „freiwillig“ an diesen Öko-Regelungen teilnehmen können, bekommt allerdings ohne Teilnahme kein Geld.
»Erstens ist wichtig, dass unsere Ernährung Sicherheit gewährleistet ist, für 450 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber es müssen auch die Ressourcen für die Zukunft gesichert und geschont werden«, sagte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, als sie in Berlin die Ergebnisse der gemeinsamen Agrarpolitik vorstellte. »Deshalb wird es kein Geld mehr geben – keine Direktzahlungen – ohne Bedingungen. Ohne Bedingungen an Umweltschutz, an Klimaschutz, an Tierschutz. Und der weitere Punkt ist: Es gibt verpflichtende Ökoregelungen, und es gibt ein verpflichtendes Mindestbudget. Das heisst, es ist ein Systemwechsel, ein Meilenstein dahingehend, dass Landwirte honoriert bekommen, wenn sie sich für das Gemeinwohl einsetzen, nämlich für Umweltschonung und dabei vielleicht auch auf eigene Erträge verzichten. Das ist dieser Systemwechsel.«
Der neue »Umwelt- und Klimaschutzstandard« soll für alle EU-Mitgliedsstaaten gelten; an den sollen sich alle halten, hofft jedenfalls Landwirtschaftsministerin Klöckner. Eine Reihe von EU-Staaten will die Flächenprämien an regionale besondere Merkmale anpassen. Vor allem für kleinere Betriebe deutet sich eine noch kompliziertere Bürokratisierung an, die sie endgültig überfordern dürfte und in der sie Bürokratie vollends ertrinken werden.
Die sogenannten »Umweltschützer« in den einschlägigen NGOs wie Greenpeace, BUND und sogar der WWF sind mit dem vereinbarten Kompromiss nicht einverstanden und fordern eine vollkommen neue Agrarpolitik.
„Etikettenschwindel“ warf der Agrarsprecher der Grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) in dieser Woche in einer aktuellen Stunde des Bundestages über die EU-Beschlüsse vor. Dass nur 20 Prozent der EU-Agrarzahlungen an Ökoauflagen gebunden werden, sei zu wenig. Außerdem seien die Jahre bis 2025, die als „Lernphase“ gelten, als „Jahre des Nichtstuns“.
Sie wollen keine Direktzahlungen mehr, am liebsten nur Ökopunkte vergeben und dementsprechend Gelder verteilen. Diese Punkte würde natürlich nur jener Bauer erhalten, der den Grünen nach dem Munde redet und schön „bio“ nach den Wünschen der Grünen anbaut. Dann allerdings würden sie auf denselben Flächen nur noch die Hälfte Ertrag einbringen. Das bedeutet umgekehrt: Öko benötigt die doppelte Fläche verglichen mit der gescholtenen „Intensiv“-Landwirtschaft, um ausreichend Lebensmittel produzieren zu können. Für die zusätzliche Ernährung Millionen politisch gewollter „Migranten“ müssten noch einige Wälder gerodet werden.
Erkennbar ist, dass die anderen EU-Mitgliedsstaaten wenig Lust haben, den dunkelgrünen deutschen Sonderweg mitzumachen und sich ihre Agrarwirtschaft durch ruinieren lassen. Von der Leyens „Green Deal“ kommt nicht überall in Europa gut an. Ebenso wie bei deutschen Begriffen wie „grüner“ Strom oder „grüner“ Wasserstoff tippt man sich eher an die Stirn. Ab November wollen EU-Agrarminister, EU-Parlament und Kommission mit den abschließenden Beratungen beginnen, die wahrscheinlich dann im kommenden Jahr in die endgültige Fassung der Agrarreform münden wird.
Die Bundesumweltministerin hat sich von ihrem Staatssekretär Flassbarth und den NABU-Vertretern in ihren Ministeriumsreihen wieder aufputschen lassen und hebt zu einem lauten Gejammer an. Sie will den Kompromiss nicht: »So, wie die Landwirtschaft das jetzt gemacht hat«, stampft Schulze mit dem Fuß auf, »so funktioniert das nicht.«
Sie treiben die Landwirtschaftsministerin vor sich her und setzen leichtfertig die Lebensmittelversorgung eines ganzen Landes aufs Spiel. Bestürzende Bilder aus Nigeria zeigen, wie schnell die Lage kippen kann. Gewaltige Menschenmassen stehen dort vor großen Hallen, brechen die Tore auf und dringen ein. Es sind Lagerhäuser, in denen Lebensmittel lagern. Die einzigen, die es in der Region gibt. TV-Bilder von Al Jazeera zeigen einen brennenden Supermarkt im Stadtteil Leck in Lagos. Sie haben Hunger und plündern. Politiker in dem ölreichen Land sollen nach Berichten Lebensmittel privat gehortet haben, während die Regale in den Supermärkte leer sind.
Es war schon immer gefährlich, mit der Lebensmittelversorgung eines Landes zu spielen.