In Deutschland steigt die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle kontinuierlich an. Ebenso ist es mit der Zahl der Personen, die im Krankenhaus intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Doch wie ist es bei unseren direkt angrenzenden Nachbarn? Insgesamt ist die Situation in diesen Nachbarländern zum Teil weitaus kritischer als in Deutschland. Dabei ist besonders die Tschechische Republik hervorzuheben, in der die Zahl der neuen Fälle förmlich explodiert ist – und die Todeszahlen ziehen deutlich nach. Doch da in Tschechien die erste Welle im Frühjahr glimpflich verlief, ist die Zahl der Todesfälle dort insgesamt im Vergleich relativ gering.
Belgien folgt dichtauf, allerdings ist die 7-Tages-Inzidenz dort in den letzten Tagen stark gesunken. Dass dieser Einbruch der Inzidenz nachhaltig ist, ist unwahrscheinlich. Stattdessen wird es sich wohl um einen Meldeverzug handeln, der dazu führt, dass das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (kurz ECDC) für Dienstag, den 27. Oktober, acht neue Corona-Fälle meldet – obwohl noch am Samstag, dem 24. Oktober, mehr als 14.000 neue Fälle gemeldet wurden.
Dänemark und Deutschland stehen im Vergleich dieser Länder ungewöhnlich gut da. Alle anderen Nachbarländer haben deutlich höhere Inzidenzen. Im Vergleich der Todesfälle pro Hunderttausend Einwohner melden Polen und Österreich weniger Fälle als Deutschland, Dänemark liegt gleich auf. Alle anderen Länder melden deutlich mehr Fälle.
Obwohl in allen hier aufgeführten Ländern die Zahl der Corona-Fälle stark zunimmt und teilweise die Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, ziehen die Todeszahlen hier nicht im gleichen Maße mit. Man möchte hoffen, dass es daran liegt, dass die Behandlungsmethoden für SARS-CoV-2 Infektionen besser geworden sind, oder das Virus an Gefährlichkeit verloren hat. Das ist wahrscheinlich aber nicht der Fall. Stattdessen dürfte es ein statistischer Effekt sein: Zwischen Krankheitsbeginn (auftreten der ersten Symptome) und Tod liegen im Durchschnitt mehr als zwei Wochen. Dazu kommen Meldeverzögerungen – in Spanien kamen im Frühjahr die Meldungen von Todesfällen bei den Statistikämtern erst Tage oder gar Wochen später an. Wie sich unten in den Grafiken individueller Länder zeigt, steigt die Zahl der Todesfälle oft erst verzögert zur Zahl der Fallmeldungen an.
Denn in den meisten Ländern wird nur eine solche Person als Corona-Todesfall gemeldet, für die ein positives Testergebnis vorliegt. Gerade in der ersten Welle war es aber vielerorts – auch in Deutschland – kapazitätsbedingt unmöglich oder ungewollt, verstorbene Personen zu testen.
In Belgien wurden die Opfer aber nach einer WHO-Richtlinie gezählt. Dieser Richtlinie nach sollen auch Personen, die zwar nicht getestet wurden, für die aber ein begründeter Verdacht einer Corona-Infektion besteht, als Corona-Todesfall gezählt werden. Das führt zu einer realistischeren Einschätzung der Pandemie – aber lässt Politiker auch schlechter aussehen, weswegen die meisten Nationen sich wohl nicht an diese Richtlinie halten und zu wenige Todesfälle melden. In jedem Fall mindert das die Aussagekraft und Vergleichbarkeit. So melden die Niederlande zwar 7.000 Corona-Opfer (ca. 6.000 dieser Fälle wurden im Frühjahr gemeldet). Doch alleine für das Frühjahr meldet das Zentralbüro für Statistik eine Übersterblichkeit von 9.000 Personen – in dem kleinen Land entspricht dies einer Steigerung von 32 Prozent gegenüber dem erwarteten Wert.
Aber wie ist die Situation in anderen Ländern konkret?
Dänemark
Die 7-Tages-Inzidenz pro hunderttausend Einwohner liegt bei gut 96 Fällen. Es kommt auch wieder zu Todesfällen, doch der kleineren Landesbevölkerung entsprechend relativ wenigen.
Aufgrund der steigenden Zahlen in Deutschland ist die Einreise nach Dänemark nun nur noch mit triftigem Grund erlaubt, Urlauber werden abgewiesen. Eine Ausnahme galt zur Zeit des Schreibens für Schleswig-Holsteiner, die weiterhin einreisen dürfen. Begründet wird diese Regelung mit den niedrigeren Fallzahlen dort. Für andere europäische Länder galten Einreiseverbote schon länger. Es wird zur Zeit auch über weitergehende inländische Maßnahmen beraten.
Niederlande
In den Niederlanden werden mittlerweile mehr als 10.000 neue Fälle am Tag gemeldet. Die 7-Tages-Inzidenz beträgt 377 Fälle pro hunderttausend Einwohner. Um Intensivkapazitäten freizuhalten, wurden einzelne Patienten in deutsche Krankenhäuser verlegt. Noch letzte Woche wurden in NRW 80 Betten für niederländische Patienten vorbereitet. Zum Anfang dieses Jahres gab es in den Niederlanden rund 1.150 Intensivbetten. Regierungsangaben zufolge befinden sich zur Zeit 561 bestätigte und mögliche Covid-19 Patienten auf den niederländischen Intensivstationen. Die Regierung hat einen „Teillockdown“ erklärt. Ministerpräsident Rutte erklärte, dieser würde voraussichtlich „bis tief in den Dezember hinein“ andauern. Es gelten Kontaktbeschränkungen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und des öffentlichen Lebens.
Belgien
Die 7-Tages-Inzidenz in Belgien beträgt 637 Fälle. Dem ECDC wurden für die vergangen Tage extrem geringe Zahlen gemeldet – hier handelt es sich wahrscheinlich um einen Meldeverzug. Die Situation ist dramatisch. Ein Fünftel aller Pfleger und Ärzte sind infiziert. Zeigen sie keine Symptome, sollen sie trotzdem zum Dienst erscheinen, berichtet die Saarbrücker Zeitung. Die Hälfte aller Intensivbetten sind mit Covid-19-Patienten belegt, einzelne Krankenhäuser stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Dazu kommen noch andere Patienten, die auf Intensivstationen für Nicht-Covid-Probleme behandelt werden müssen. Die belgische Zeitung Grenzecho berichtet, dass Aachen und die umliegenden Städte (in der StädteRegion Aachen organisiert) erklärt haben, belgische Patienten aufzunehmen. Es gelten weitreichende Einschränkungen, so unter anderem eine nächtliche Ausgangssperre, Kontaktbeschränkungen und eine allgemeine Maskenpflicht. Die Todeszahlen sind noch relativ niedrig – doch dies ist wohl ein statistischer Effekt. Zum Meldeverzug kommt als Faktor, dass bei schweren Krankheitsverläufen der Tod meistens erst mehr als zwei Wochen nach Beginn der Symptome eintritt.
Luxemburg
Die 7-Tages-Inzidenz in Luxemburg beträgt zur Zeit 571 Fälle. Ein Grund für diese hohe Zahl ist aber auch die große Zahl durchgeführter Tests. Der Luxemburger Regierung zufolge sind in dem Land mit etwas mehr als 600.000 Einwohnern seit Anfang des Jahres fast 460.000 Personen getestet worden. Auch auf den Intensivstationen ist die Lage ruhig: Es sind zur Zeit 114 Covid-19 Patienten hospitalisiert. Davon liegen 16 auf Intensivstationen. Die Luxemburger Zeitung Tageblatt berichtete im März, dass im Notfall bis zu 300 Intensivbetten zur Verfügung stehen würden. Es gelten eine nächtliche Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen. Die Gastronomie darf unter Auflagen allerdings geöffnet bleiben.
Frankreich
Die 7-Tages-Inzidenz in Frankreich beträgt 381 Fälle. Macron verkündete gestern Abend den erneuten Lockdown. Ab morgen müssen alle zu Hause bleiben, nur notwendige Einkäufe und Arztbesuch sind erlaubt. Wo möglich soll von zu Hause gearbeitet werden. Im Gegensatz zum Lockdown im März sollen nun die meisten Schulen offen bleiben. Anders als im Frühjahr ist die Pandemie nicht auf einzelne Regionen und Hotspots beschränkt. Der Regierung zufolge werden mehr als 18.000 Menschen in Krankenhäusern behandelt, mehr als 2.900 von ihnen befinden sich auf den Intensivstationen oder werden beatmet. Damit sind gut 57 Prozent der zu Beginn der Corona-Krise bereitstehenden Intensivbetten mit Covid-19 Patienten belegt. Mittlerweile wurden die Intensivkapazitäten zwar ausgebaut, aber wie in Deutschland auch ist die Zahl der Betten nicht das Problem: Es ist der Mangel an ausgebildetem Personal, das die Patienten pflegt.
Schweiz
Die 7-Tages-Inzidenz in der Schweiz beträgt 439 Fälle pro hunderttausend. Die Todesrate ist dabei relativ gering, aber die Zahl der bekannten Fälle steigt schnell. Noch Anfang dieses Monats war die Inzidenz bei 25 Fällen pro hunderttausend Einwohner. Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin berichtete am 22. Oktober, dass es 850 freie Intensivbetten gibt. Dazu kommen bis zu 450 Betten mittleren Pflegeniveaus. Die Bettenkapazitäten werden weiter ausgebaut, doch auch hier ist der Engpass das geschulte Personal, nicht die Betten an sich. Außerdem wird eine Aufschiebung nicht dringend erforderlicher Operationen empfohlen.
Österreich
Die 7-Tages-Inzidenz in Österreich beträgt 208 Fälle pro hunderttausend Einwohner. Einer Statistik der Regierung zufolge gibt es fast 2.800 Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen, dazu kommen 692 Betten im sogenannten Aufwachbereich. Zum Mittwochabend waren 224 Covid-19 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Weitere 1.600 Covid-19-Patienten sind hospitalisiert. Es gelten eine weitgehende Maskenpflicht, eine Einschränkung von Zusammenkünften auf höchstens 12 Personen und Abstandsregeln.
Tschechien
Tschechien ist zur Zeit das Land in Europa mit der höchsten gemeldeten Inzidenz. Sie beträgt 811 Fälle in den letzten sieben Tagen pro hunderttausend Einwohner. Auch ist Tschechien zur Zeit das Land mit der am schnellsten wachsenden Zahl von Todesfällen. Trotzdem wurden bisher „nur“ 22 Fälle Corona-Todesfälle pro 100.000 Einwohner gemeldet – im Vergleich: Belgien meldet 95 Fälle. Die Regierung versucht fieberhaft, die Intensivkapazitäten auszubauen. Der MDR berichtet, dass die tschechische Ärztekammer Mediziner, die im Ausland leben, aufruft, für die Krise in die Heimat zurückzukehren und zu helfen. Der Gesundheitsminister begrüßte diesen Aufruf. Ein Messegelände in Prag wurde durch das Krankenhaus in ein Nothospital umgebaut. Hier kümmern sich Militärärzte und Pfleger um 500 Betten und 10 Intensivbetten. Laut BBC warnt die Ärztekammer, dass Covid-19 die zur Zeit die zweit häufigste Todesursache ist. Die Grenzen sind für Touristen geschlossen, es gilt eine nächtliche Ausgangssperre, ein allgemeiner Lockdown ist verhängt.
Polen
Die Inzidenz in Polen beträgt 221 Fälle. Auch die Zahl der Verstorbenen steigt schneller an. Das polnische Gesundheitssystem stößt an seine Grenzen. Es war schon vor der Krise labil. Einer Statistik der EU zufolge verfügt kein Land in der EU über so wenige Allgemeinmediziner pro Einwohner wie Polen; auch an vielen spezialisierten Medizinern mangelt es im Vergleich zu den anderen EU-Staaten. Dieses Defizit an medizinischem Personal zeigt sich auch an anderen Stellen im Gesundheitswesen. Wie die Tagesschau berichtet, werden sogar Covid-19-Patienten an einzelnen Krankenhäusern abgewiesen, weil es keine freien Kapazitäten gibt. Die Regierung richtet Notfallkrankenhäuser ein, so zum Beispiel im Nationalstadion in Warschau. Gesundheitsminister Adam Niedzilski wird zitiert: „Wir haben einen Plan, praktisch in jedem Verwaltungsbezirk provisorische Krankenhäuser zu errichten, in Warschau sogar zwei.“ Doch woher soll das Personal kommen?
Es gilt nicht nur eine allgemeine Maskenpflicht im Freien: In Geschäften und öffentlichen Einrichtungen müssen auch Handschuhe getragen werden. Die Einreisebeschränkungen, wie sie in der ersten Welle verhängt waren, wurden aber noch nicht wieder eingeführt.