Tichys Einblick
Zuwanderungsdebatte

Horst Seehofer denkt laut nach: Ist Syrien ein sicherer Herkunftsstaat?

Der Bundesinnenminister hätte es schon vor Monaten tun können: Endlich klären, ob künftig wieder Abschiebungen in bestimmte Regionen Syriens möglich sein sollen. Um Seehofer geht es nicht, sondern um Grundsatzfragen des Asylrechts.

imago Images/Jürgen Heinrich

Tatsächlich sind wir jetzt in der ersten Frontlinie der Zuwanderungsdebatte angekommen. Dort, wo elementare Fragen beantwortet werden müssen, wo Theorie und Ideologie schweigen sollten: Da nämlich, wo Menschen gesagt werden muss, wann und warum und wohin sie zurückgeschickt werden müssen, weil sie hier leider falsch sind, nicht erwünscht, schon gar nicht eingeladen, eben Illegale mit allen Konsequenzen, die das bestehende Recht für sie vorsieht.

Die Syrienfrage. Mittlerweile bald so verfahren wie der Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Noch dazu in derselben Region, so, als wäre auch dieses mörderische schon bald ein Jahrzehnt fortlaufende Syrien-Desaster natürlicher Teil dieser ungeheuren Verwerfungen an der Wiege der Weltreligionen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer fragte aktuell und im Windschatten eines islamistischen Mordanschlags, durchgeführt von einem Syrer in Dresden, ob man Gefährder künftig nach Syrien abschieben dürfe.

Angeblich, so interveniert sofort Tagsschau online, stehe dem aber das Völkerecht im Wege. Das Asylrecht allerdings ist ein individuelles. Das Völkerecht gilt für Staaten. Die Einwohnerschaft eines Landes kann nicht pauschal einen Asylantrag stellen. Aber ein Land kann zum sicheren Herkunftsland erklärt werden. Oder eben umgekehrt.

Asyl ist kein Einwanderungs- und Ansiedlungrecht, sondern die befristete Möglichkeit, Schutz zu bekommen vor Krieg und Verfolgung. Eine generelle Bleibeperspektive über Generation ist und war damit nie gemeint.

Zur aktuellen Lage: Die Kritiker der Haltung der Bundesregierung/des Bundesinnenministers haben ein stückweit Recht damit, sich aufzuregen, dass immer nur dann härtere Maßnahmen und rigorosere Abschiebungen gefordert werden, wenn eine Gewalttat durch Asylbewerber passiert ist.

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Exemplarisch dafür schreibt das Neue Deutschland: „Es ist ein eingespieltes Muster: Kommt es zu einer Gewalttat, in die ein Ausländer involviert ist, mehren sich die Rufe nach schnelleren und einfacheren Abschiebungen.“ Das ist so. Freilich meint es das Blatt ganz anderes: Die linke Zeitung, einst Zentralorgan der SED, möchte alles andere, als dass sich die Rufer viel früher melden sollen. Die Linke möchte nämlich gar keine Abschiebungen.

Der Bundesinnenminister hätte es schon vor Monaten tun können: Klären, ob künftig wieder Abschiebungen in bestimmte Regionen Syriens möglich sein sollen. Es ist im Übrigen schon fast ein Jahr her, dass Bundestagsabgeordnete der AfD nach Syrien flogen, um zu demonstrieren, dass das Land jetzt ein sicheres Herkunftsland sei. Nun mag das für AfD-Abgeordnete in bestimmten Regionen stimmen, für den wieder einreisenden Syrer muss das deshalb noch lange nicht der Fall sein.

Horst Seehofer will also heute, elf Monate nach der Orientreise der Abgeordneten und nach dem Messermord von Dresden, prüfen lassen, was geht in Syrien. „Ich werde sehr dafür eintreten, dass wir überprüfen, ob man nicht nach Syrien abschieben kann.“ Das Auswärtige Amt unter Heiko Maas allerdings sieht das vollkommen anders. Weitere Unionspolitiker folgen hingegen dem Ansinnen des Bundesinnenministers. So meinte beispielsweise der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU): „Rechtskräftig verurteilte Schwerkriminelle haben ihr Gastrecht in Deutschland verwirkt, erst recht, wenn sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stürzen wollen. Wir müssen solche Täter sofort abschieben können.“

Aber wie stringent ist das eigentlich? Hat jemand kein Aufenthaltsrecht, muss er abgeschoben werden. Hunderttausende sind davon alleine in Deutschland betroffen. Sollte es also plötzlich möglich sein, Intensivtäter abzuschieben, warum kann das dann nicht mit demselben Aufwand und entlang des immer noch geltenden Rechts auch für alle anderen durchgeführt werden?

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Grünen-Chef Robert Habeck erinnert in fast erwartbarer Weise an zahlreiche Gefährder, die einen deutschen Pass hätten, also gar nicht abgeschoben werden können. Hier allerdings folgt auch Habeck dem Muster Seehofers und stellt viel zu spät etwas fest. Denn die bedeutendere Frage hätte doch auch für den Grünen schon viel früher lauten müssen: Warum hat so ein Gefährder überhaupt einen deutschen Pass bekommen? Da blieb Habeck still.

Selbstredend funktioniert auch die koordinierte Abwehr solcher politischen Forderungen durch diverse Nichtregierungsorganisationen, eines Teils der Medien und weiterer Player aus dem Dunstkreis der sogar über Bundesministerien quersubventionierten Antifa und No-Border-No-Nation-Fraktion.

Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) hakt bei Seehofer unter mit dem neuen Planspiel, Abschiebungen nach Syrien zwar nicht generell zuzulassen, aber eben für Gefährder. Das brachte wiederum den sächsischen Flüchtlingsrat auf die Palme. Der Verein ist allerdings alles andere als eine offizielle Institution, im Gegenteil, dieser Flüchtlingsrat boykottiert regelmäßig die Durchführung von Abschiebungen. So heißt es dort aktuell auf Twitter in einer Eilmeldung und im Ton, als ginge es hier um die Meldung einer Autoblitzerkontrolle:

„Warnung! Es gibt Informationen, dass Morgen, Di. 27.10.1020 eine Abschiebung nach #Somalia & #Äthiopien stattfinden könnte. Gut möglich – dass diese vom Flughafen #München aus geht. Bitte passt auf euch & andere auf.“

Wie aber sollen die Exekutivorgane, wie soll die deutsche Politik auf solche Meldungen reagieren? Darf mit so einer Organisation überhaupt noch auf welchem Wege auch immer ernsthaft kommuniziert werden?

Jetzt ist die Frage, wie sicher Syrien für Abgeschobene ist, nach wie vor unbeantwortet. Die aktuelle Covid-19-Lage stellt Reisen sogar generell in Frage. Das Auswärtige Amt fordert deutsche Bürger auf, aus Syrien auszureisen, so sie sich noch im Land aufhalten. Gewarnt wird hier vor gewaltbereiten Dschihadisten. Es sei schon zu zahlreiche Entführungen von Ausländern gekommen. Der IS würde zwar keine Gebiete mehr halten, sei aber weiter aus dem Untergrund heraus aktiv. Auch seien die staatlichen Strukturen in weiten Teilen des Landes zerfallen.

Die Reisewarnung liest sich allerdings merkwürdig veraltert, Beispiele für Terroranschläge auf Gebäude stammen von 2017 und 2018. Wen das alles nicht stört, der erfährt aus dem Ministerium von Heiko Maas dann noch, dass es im Sommer zu Dürreperioden kommen kann und im Winter zu Überschwemmungen. Auch soll sich der Reisende mit Verhaltensweisen bei Erdbeben vertraut machen. Nein, der Bezug zur Klimaveränderung wird hier nicht hergestellt, möglicherweise aber war das in Syrien schon immer so.

Abschiebungen nach Syrien wieder erlauben? Syrien wieder zum sicheren Herkunftsland machen? Oder zumindest zu einer Art Strafe für Islamisten, die dann eben in ein unsicheres Herkunftsland abgeschoben werden dürfen? Nichts davon wird passieren. Denn Horst Seehofer ist mittlerweile abboniert auf den Law&Order-Thesenclown der Bundeskanzlerin und es stört ihn selbst offensichtlich am wenigsten, dass dem so ist, dass er nichts bewirken, dass ihn keiner Ernst nehmen kann.

Dabei hat die Frage nach einem sicheren Herkunftsland durchaus eine ernsthafte Komponente, die noch weit darüber hinausgeht, welcher Windbeutel gerade wieder aus dem Innenministerium serviert wird. Denn hier geht es ja um die elementaren Fragen des Zusammenlebens und den Blick auf die eigene prädestinierte Lage im Wohlstandsdeutschland, der heutzutage vielen Deutschen so schwer fällt, manch einem fast unangenehm ist.

Ja, uns geht es materiell und in Punkto Sicherheit und Freiheit durchschnittlich immer noch besser als vielen Menschen im Rest der Welt. Und wir haben daraus Konsequenzen gezogen, indem wir von diesem Wohlstand abgeben beispielsweise über eine großzügige Entwicklungshilfe. Aber müssen wir es deshalb auch zulassen, dass unser Asylsystem in ein Asylantragsrecht samt Aufenthaltsgarantie umgewandelt wurde?

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„Sicheres Herkunftsland“ ist ein Rechtsbegriff aus dem deutschen Asylrecht. Er wird in Artikel 16a des Grundgesetzes eingeführt und im Asylgesetz weiter ausgeführt und definiert. Zusammengefasst geht es darum, dass in einem sicheren Herkunftsland keine politische Verfolgung stattfindet. Als sichere Herkunftsländer gelten derzeit die europäische Union, die sechs Westbalkanstaaten, Ghana und der Senegal, Georgien, Algerien, Tunesien und Marokko. Letztere Maghreb-Staaten wurden nach einem zähen politischen Ringen Anfang 2019 zu sicheren Herkunftsländern erklärt, um bei Menschen „keine falschen Hoffnungen auf eine Zukunft in Deutschland zu wecken“, wie es beispielsweise der SPD-Politiker Helge Lindh formuliert hatte.

Sicher ist also jenes Land, indem keine Verfolgung droht. Wo keine unmittelbare Gefahr droht für Freiheit, Gesundheit und Überleben. Solche Gefahren allerdings kommen auch aus vielen anderen Ecken. So sind Hunger, Elend und Krankheiten die vielfach größeren Gefährder für dass Leben vieler Menschen.

Aber diese Bedrohungen sind kein Grund, ein Asylrecht in Deutschland in Anspruch zu nehmen. Grausame Wahrheit: Man stirbt nur viel öfter daran. Der Journalist Jakob Augstein sagte einmal in etwa, man müsse doch jeden Afrikaner verstehen, der nach Europa kommen will, wenn er damit automatisch seine Lebenserwartung um 30 Jahre erhöht hat. Klar, wer würde das nicht verstehen? Aber aktuell gibt es kein Anrecht, dass deshalb jeder betroffene Afrikaner seine Lebenserwartung mit einem Umzug nach Deutschland verlängern darf.

All das muss bedacht werden, wenn man über eine Einstufung Syriens als sicheren Herkunftsstaat nachdenkt. Nein, es geht auch überhaupt nicht darum, welche beruflichen Perspektiven jemand dort hat oder in welchen Lebensumständen er sich dort wieder findet nach Ausweisung. Es geht ausschließlich um politische und andere Formen der Verfolgung. Das sollte man, dass muss man vielleicht sogar bedauern, der Mensch ist dem Mensch kein Wolf. So sollte ein Staat in Wohlstand auch alle Möglichkeiten ausschöpfen, Menschen in anderen Ländern in Notsituation zu unterstützen. Aber zuallerst hat er die besondere Pflicht und Verantwortung, seinen eigenen Bürgern und seinem Volk gegenüber. Das ist eine gewichtige Messlatte bei der Frage, ob Syrien ein sicherer Herkunftstaat sein darf oder eben noch nicht.

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