Glauben Sie den Dementis nicht: SPD und Grüne wollen mit der Linken nach der Wahl an die Macht. Warum auch nicht?
In einem halben Dutzend Landesregierungen waren oder sind die Linken Koalitionspartner oder Unterstützer der SPD; in Nordrhein-Westfalen haben sie Hannelore Krafts rot-grünes Bündnis an die Macht toleriert. Auf Bundesebene dagegen wird eine rot-grün-dunkelrote Machtoption von der SPD offiziell noch mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen. Doch viele führende Sozialdemokraten zählen schon sehr flüssig die Argumente auf, warum sie diese nicht links liegen lassen wollen: Willy Brandt und Peter Glotz werden beschworen. Nur ein überholter Antikommunismus grenze die Linke aus; die Zeit, in der Sozialdemokraten in der DDR von der Linken-Vorgängerpartei SED für ihre Überzeugung ins Zuchthaus Bautzen eingeliefert wurden, liege ja schon 60 Jahre zurück. Tatsächlich: In der Bevölkerung ist die Erinnerung an den Mauerstaat DDR verblasst; die Linke verschleiert gekonnt, dass sie die Nachfolgepartei von Walter Ulbricht und Erich Honecker ist; wem sagen diese Namen noch etwas, und wer erinnert sich noch an Schießbefehl und Todesstreifen? Das Haupthindernis Oskar Lafontaine, der zur Linken gewechselte frühere SPD-Vorsitzende, hat sich selbst aus dem Weg geräumt; mit dem Parteiverräter könnten viele Sozialdemokraten nicht zusammenarbeiten.
Stärkstes Argument für die Freunde der Linken in der SPD aber ist, dass sie mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück einer vernichtenden Wahlniederlage entgegentaumeln; es droht ein Debakel, das die SPD kaum unbeschadet überstehen könnte. Das bringt auch die letzten Sozialdemokraten zum Schweigen, die einst Leib und Leben im Kampf gegen die SED riskierten. Eine neue Generation gibt in der SPD den Ton an: Sie haben die rot-grüne Regierungsbildung in Düsseldorf mithilfe der Linken gefeiert; Hannelore Krafts Büchsenspanner redeten sogar von der „Befreiung“ Nordrhein-Westfalens. So verzagt die ältere Generation der Antikommunisten ist, so unhistorisch ist die jüngere Funktionärsschicht und so fanatisch glaubt sie an die Autosuggestion vom drohenden Neoliberalismus, dass sie die Gemeinsamkeit der Demokraten verlässt.
Die SPD-Spitze hat schon vorsichtig umgeschwenkt: Nach der Lesart von Parteichef Sigmar Gabriel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sind die Linken in den neuen Bundesländern längst porentief demokratische Realos; ablehnt werden nur die wenigen wirren westdeutschen Anhängsel um Oskar Lafontaine. Dem Kern der Linken wird damit schon Koalitionsfähigkeit attestiert. Programmatisch passt sowieso kaum mehr ein Blatt Parteiprogramm zwischen SPD und Linke: Massive Umverteilung, höhere Steuern, Mietpreisbremsen und Mindestlöhne – längst wohnt die SPD programmatisch im Karl-Liebknecht-Haus der Linken zur Untermiete.
Zwar lehnt Steinbrück noch eine Kanzlerschaft von Gregor Gysis Gnaden ab. Aber der sich als unbesiegbar fühlende Steinbrück ist durch Pannen, Hohn und Spott so verletzt, dass sein malträtiertes Ego nur noch durch eine Kanzlerschaft zu heilen wäre. Er müsste als Vorzeige-Biedermann für eine Übergangsphase garantieren, dass ein koalitionsähnliches rot-grün-dunkelrotes Bündnis bei Bürgern, Unternehmern und den USA nicht sofort auf blankes Entsetzen und Widerstand stößt. Später könnte ihn Sigmar Gabriel in einer Vollwertkoalition ersetzen. Im Wahlkampf ist er ja trotz ursprünglicher Absage auf den linkskonformen Steuererhöhungs- und Umverteilungskurs eingeschwenkt – aus Peer-ohne-mich wurde Peer-mit-mir-doch.
Angela Merkels CDU kommt diese Debatte nicht unrecht. Ihre Wahlkampftaktik will ja durch Übernahme gegnerischer Positionen die Anhänger von SPD und Grünen einschläfern. Leider dämmern ihr jetzt auch die bürgerlichen Wähler weg. Mit der realistischen Gefahr einer linken Republik vor Augen ließen sich doch noch ein paar verbitterte Zauderer oder Bequeme an die Urne treiben. Zu tief sitzt die Angst vor einer rabiaten „Hollande-isierung“ Deutschlands.
(Erschienen auf Wiwo.de am 10.08.2013)