Tichys Einblick
Majestätsanmaßung

Daumenschrauben für das Volk

Im Schatten von Corona hat sich ein neuer Politikstil eingeschlichen, mindestens so gefährlich wie das Virus: Menschenverachtung durch die Politik und ein abgehobener, demokratiefeindlicher Regierungsstil. Der bayerische FDP-Landtagsabgeordnete Albert Duin über den neuen starken Mann.

Man muss nur zuhören und dann merkt man sehr schnell, worum es geht: „Die Zügel anziehen“ will die Kanzlerin, als ob wir Zugpferde für ihre Regierungskalesche wären. Die Daumenschrauben sollen uns gelegt werden, als ob wir Strauchdiebe wären und uns heimlich das Virus heimgeholt hätten wie Ladendiebe. Geht es nach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, dann sollen wir zu Hause bleiben, den Mund halten, möglichst nicht mehr ausatmen und uns regungslos verhalten. Nur eines sollen wir weiter tun: Steuern dafür zahlen, auf dass seine Majestät, der Faschingsprinz von Franken, weiter den starken Maxe markieren kann.

Übertrieben? Polemisch? Ein wenig, ja. Aber nur ein wenig. Im neuen Corona-Regime werden wir nur noch als stumme Leistungserbringer gebraucht, nicht mehr als mündige Bürger und schon gar nicht mehr als Parlamentarier. Auch wir, die Abgeordneten, erfahren erst aus den Medien, was der Fürst im Reich des Virus gerade wieder beschlossen hat.

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Die Abgeordneten des bayerischen Landtags frühzeitig zu informieren, was er sich gerade wieder ausgedacht hat, vielleicht sogar mal die eine oder andere Ihrer Entscheidungen zu diskutieren und darüber abstimmen zu lassen? Nein. Nichts davon. Söder tritt lieber werbewirksam als der Retter der Nation in Pressekonferenzen auf und wir, die Abgeordneten des bayerischen Landtages, dürfen uns dann informieren, welche Auswirkungen diese neuen Anordnungen und Verfahren haben, die schön hinter verschlossenen Türen verabschiedet wurden, immer mit Blick auf „was mein Volk von mir in wunderbaren emphatischen Reden hören will“.

„Ich beschütze Alle und tue nur das Beste“, lautet die neue Staatsraison, die nicht mehr hinterfragt werden soll. Wofür gibt es auch Daumenschrauben? Laufend sitzen wir in den Ausschüssen, diskutieren über Anträge von den Abgeordneten, die wirklich eine Menge Arbeit in ihre Texte eingebracht haben, Referenten haben recherchiert und geackert. Dann kommt, was üblich ist, und die Anträge der Opposition werden mit der Mehrheit der CSU und Freien Wähler abgelehnt. Dabei immer wieder groteske Situationen. Freie Wähler und die CSU verteidigen vehement die alten Beschlüsse der Staatsregierung, also die einsamen des Herrn Söder und müssen sich nur Stunden später durch neue Beschlüsse, die mittlerweile wieder in der Staatskanzlei getroffen wurden, eines Besseren belehren lassen. Kehrt, marsch, marsch. Die Entenschar der Abgeordneten der CSU und ihrer Freien Wähler macht kehrt zu Beschlüssen, die meist genau dem entsprechen, was die Opposition gerade gefordert hatte, und die CSU meinte, ablehnen zu müssen. Irgendwann wird es echt peinlich für die Regierungsparteimitglieder.

Ist Söders Blick schon so auf Berlin fixiert, dass er seine gesamte Tätigkeit nur noch diesem Ziel unterordnet?

Ein Beispiel für überstürzte und wirre Maßnahmen:

Am 31. August hat Söder beschlossen, dass ab dem 1. September an den Flughäfen alle ankommenden Passagiere auf Covid-19 getestet werden müssen. So sollte verhindert werden, dass NRW oder sogar Berlin die ersten sind, die so eine Maßnahme einführen. Also wurden die Hilfsorganisationen Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst und Johanniter eingespannt und mussten am Samstag den 1. September an den Flughäfen die Tests abnehmen. Das ging natürlich erstmal voll in die Hose.

Nebenbei bemerkt. Alle Fluggäste durften sich testen lassen, nicht aber das Hilfspersonal, die hatten zwar keine Bordkarte, nur vielleicht das Virus im Atem. Das alleine ist schon mal ein Witz.

Corona-Politik in Wien und Berlin
In der Sache gleich falsch, in der Form verschieden
Dann wurde diese ganze Testerei ausgeschrieben. Bereits am Mittwoch, den 5. September, also fünf Tage nach der einsamen Entscheidung, hatte ein Unternehmen aus Düsseldorf den Zuschlag erhalten. Bei der Recherche ergab sich, dass dieses Unternehmen in Deutschland gerade mal 15 feste Mitarbeiter besitzt. Die Sache stinkt wie ein Misthaufen. Man sah in der Folge, dass dieses Unternehmen massenweise Mitarbeiter rekrutierte; flott und schnell – und dabei spielte Qualifikation keine Rolle. Ausgebildete Mitarbeiter der Hilfsorganisationen berichteten von absoluter Unfähigkeit dieses Personals, das sich auch noch eine gewisse Weisungsbefugnis herausnahm.

Man konnte das Gefühl bekommen, Söder sehne einen zweiten Lockdown herbei, um uns dann erklären zu können: „Seht her, ich habe Euch ja gewarnt und nun muss ich es wieder richten.“ Ich vertraue diesem Mann nicht mehr. Er ist mir viel zu selbstgefällig. Reagieren nur noch auf Zustimmungswerte der Meinungsforscher ist meine Sache nicht. Besser wäre es, endlich wieder nach Lösungen zu suchen, nicht die bayerische Wirtschaft zu zerstören, und das Zusammenleben der Menschen zu belasten, nur, weil es der Karriere dient. Das Schicksal der Menschen und Wirtschaft im Berchtesgadener Land büßt für eine solche Politik der Unbeherrschtheit.

Das bleibt nicht unbeobachtet. Im Landkreis Berchtesgadener Land werden von den Wirtschaftsverbänden Klagen gegen den Lockdown vorbereitet, der erkennbar unsinnig, nicht zielführend und langfristig verheerend für die Region ist. Zu hoffen, dass dieses Vorgehen schnell vergessen wird, ist trügerisch, und hilft den Gastwirten und Unternehmen dort nicht. Subventionen mögen kurzfristig der Überbrückung dienen – aber nicht der langfristigen Auslastung.

Dass Urlauber nach Hause geschickt werden, ohne sie zu testen, ist nichts weniger als ein Skandal: So werden Unschuldige zu Superspreadern. Und es scheint so zu sein, dass Söder mit seinem Blick auf Berlin schon die Kleinräumigkeit des Landes vergessen hat, für das er verantwortlich ist.

In den Reihen der Freien Wähler kocht es längst. Selbst Abgeordnete der eigenen Fraktion schütteln in den Gängen schon den Kopf über Söders Allmächtigkeit und Alleingänge.

Ich erwarte, solange Söder noch Ministerpräsident des Freistaates Bayern ist, dass er seine volle Konzentration auf dieses wunderbare Land richtet und aufhört, durch Koalitionswunschträume, mit wem er gerne in Berlin regieren würde, sein eigenes Kabinett zu verunsichern. Bayern braucht eine Regierung, nicht einen Kandidaten für Höheres.

Und Daumenschrauben oder Zügel haben sich die Bayern noch nie anlegen lassen.

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