Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 41-2020

Die Welt sitzt in der Schuldenfalle fest

Die Corona-Krise verstärkt das Problem hoher staatlicher und privater Verschuldung, ist aber nicht dafür ursächlich. Treiber sind Politik und Notenbanken. Ein schmerzfreie Therapie dagegen gibt es nicht.

Die "Schuldenuhr" des Bundes der Steuerzahler, Stand vom 2. Juni 2020.

imago images / Jürgen Heinrich

Auf sage und schreibe 11.700 Milliarden $ addieren sich nach den Zahlen des Internationalen Währungsfonds die bis Mitte September dieses Jahres aufgelaufenen öffentlichen Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Pandemie. Das entspricht nahezu 12 Prozent der globalen Wertschöpfung. Etwa die Hälfte dieser unvorstellbaren Summe resultiert aus zusätzlichen Staatsausgaben und entgangenen Steuereinnahmen sowie zeitlich beschränkten Steuersenkungen. Das schließt anteilig auch die bis zum Jahresende in Deutschland reduzierte Mehrwertsteuer ein. Die andere Hälfte besteht aus Kreditgarantien, Kapitalspritzen und Liquiditätshilfen. Alle diese fiskalischen Krisen-Reaktionen treiben die öffentliche Verschuldung in diesem Jahr auf nahezu 100 Prozent der globalen Wertschöpfung. Doch der Verschuldungstrend in den G20-Ländern kennt seit vielen Jahren ohnehin nur eine Richtung: Er wächst und wächst und wächst. Ende 2019, also in der Vor-Corona-Ära, lag die öffentliche und private globale Verschuldung bereits bei fast 240 Prozent der Wertschöpfung.

Trumps US-Schuldenbilanz

In Trumps gesamter Amtszeit ist die öffentliche Verschuldung in den USA kontinuierlich gestiegen. Im traditionell Ende September zu Ende gegangenen aktuellen Fiskaljahr liegt das US-Bundesdefizit bei 3,1 Billionen $. Das entspricht 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Letztmals lag die Defizitquote im Kriegsjahr 1945 (!) mit 21 Prozent höher. Kein Wunder also, dass die USA inzwischen Schuldenquoten von weit über 100 Prozent des BIP aufweisen. Die kennt man bisher eigentlich vor allem von Ländern wie Italien, Griechenland oder Japan.

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Doch am US-Beispiel lässt sich auch zeigen, wie die Zinspolitik der Notenbanken als Katalysator der wachsenden Staatsverschuldung wirkt. Denn trotz der exorbitanten Neuverschuldung sind die Zinsausgaben für die Bundesschulden im aktuellen Fiskaljahr gesunken: von 573 Milliarden $ auf 523 Milliarden $. Diese aus deutscher Sicht unvorstellbare Summe relativiert sich, wenn man sie in Relation zu den Gesamtausgaben des US-Bundeshaushalts setzt. Da sind für Zinsen 8 Prozent des Budget-Volumens fällig. Auch gemessen am BIP liegt die Zinsbelastung mit 2,5 Prozent im historischen Vergleich überschaubar. Günstige Finanzierungskosten verführen Politiker allerdings nicht nur in Amerika dazu, das bequeme Instrument der Kreditfinanzierung großzügig zu nutzen. Die Politik hat sich in eine Schuldenfalle manövriert, in der sie weder die Ausgaben senken noch die ohnehin hohen Steuern und Abgaben erhöhen kann, um das Staatsbudget wenigstens auszugleichen. Auch Unternehmen und Bürger gönnen sich Fremdkapital in einem Umfang, den sie sich in Zeiten, als der Zins noch eine Risikoprämie darstellte, nie und nimmer hätten leisten können. Die Zombifizierung der Wirtschaft ist längst ein Faktum, das die Produktivität zunehmend mindert.
Die Mär vom schuldenfinanzierten Wachstum

Vor mehr als einem Jahr hat die Bank für Internationalen Zahlungsgleich (BIZ) in einem Forschungspapier den Begriff „dept trap“ (Schuldenfalle) aufgegriffen und untersucht, ob nicht gerade das von den Notenbanken bewirkte Niedrigzinsklima mit tiefen oder gar negativen Zinsen für eine Verstetigung des schwachen Wachstums sorge. Die These in Kurzfassung: Niedrige Zinsen führen zu noch tieferen Zinsen, verursachen Boom-Bust-Zyklen, münden in gigantischer Verschuldung und niedrigen Wachstumsraten. Denn die Notenbanken provozieren mit ihrer aggressiven Lockerung förmlich die Risikobereitschaft und das Leverage der Marktteilnehmer. In einer solchen Schuldenfalle ist eine Normalisierung der Geldpolitik, sprich die Wiederetablierung des Zinses, kaum mehr vorstellbar, ohne dabei der Wirtschaft massiv zu schaden.

Krasses Unwissen in der Politik
Wachstum durch Schulden macht nicht krisenfest, sondern untergangsreif
Wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang zwischen steigender Verschuldung und schwächer werdendem Wachstum weisen einen klaren Zusammenhang aus. In den USA hat demnach in den 1980er Jahren jeder zusätzliche Dollar Schulden für 60 Cent zusätzliches Wachstum gesorgt. Damals lag die gesamte öffentliche und private Verschuldung „erst“ bei knapp 170 Prozent des BIP. Dieser „Wachstumswert“ neuer Schulden in seither auf 27 Cent je Dollar Verschuldung gefallen. Heute beträgt die Gesamtverschuldung des öffentlichen und privaten Sektors aber bereits 364 Prozent.
Enteignung durch Schuldenschnitte und Inflation

Dass Politiker der selbst gestellten Schuldenfalle wieder entkommen, indem sie die Konsumausgaben der öffentlichen Hand durch Strukturreformen zurückfahren und gleichzeitig die Investitionen in den Kapitalstock – nicht nur in die Infrastruktur, sondern vor allem auch in Bildung, Forschung und Entwicklung – massiv verstärken, ist wohl ein frommer Wunsch. Auch mit einer Abkehr vom immer stärker werdenden Trend zu einer staatlich gelenkten Wirtschaft ist wohl kaum zu rechnen, obwohl wirtschaftliche Kreativität vor allem auf unternehmerischer Freiheit und nicht auf staatlicher Gängelung beruht. Viel wahrscheinlicher ist der kurzfristig so bequeme Weg, die kreditfinanzierte Volksbeglückungspolitik fortzusetzen, zumal auch die Anspruchshaltung vieler Wähler damit korreliert. Weil die Notenbanken mit ihrer Niedrigzinspolitik und ihrer immer stärkeren Monetarisierung der Staatsschulden als willfährige Handlanger parat stehen, wird es auf absehbare Zeit keinen geordneten Weg aus der Schuldenfalle geben.

Doch das alte Sprichwort: „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht!“ hat auch Geltung in der Fiskal- und Geldpolitik. Überschuldungsblasen platzten historisch in schöner Regelmäßigkeit. Sie endeten nicht selten mit Totalverlust, weil Schuldner ihre Gläubiger nicht mehr bedienen konnten. Sie mündeten in harten Schuldenschnitten, Währungsreformen oder der heimlichsten Form der kalten Enteignung: der Inflation. Angesichts des Schuldenvirus, der den Globus befallen hat, wird es keine schmerzfreie Therapie mehr geben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

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