Wie solide sind deutsche Unternehmen, wie wahr sind ihre Bilanzen, und wo täuschen schiere Hoffnungswerte die Aktionäre?
Aktien sind die beste Geldanlage in der heutigen Zeit, in der die Zinsen auf Staats- oder Unternehmensanleihen nicht einmal ausreichen, die Inflation zu übertreffen. Wer Aktien kauft, beteiligt sich solide – an Firma, Fabrik, Maschinenpark, Vermögen und Zukunft. So weit, so gut.
Wer Aktien kauft, beteiligt sich aber auch an Luftblasen, leeren Versprechungen, geschönten Zahlen und gewaltigen Risiken, über die sonst so redegewandte Manager gerne schweigen. Tatsächlich stecken in den Bilanzen alleine der 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex Dax vermeintliche Vermögenswerte in dreistelliger Milliardenhöhe, die sich bei genauerem Hinschauen in heiße Luft auflösen könnten, errechneten Experten aus Universitäten, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater und Bilanzexperten in einer Studie für die WirtschaftsWoche. Dabei ähneln die Tricks der Manager bei der Bilanzierung verblüffend den Methoden, wie sie die Politik uns vormacht: Zukunft verdrängen, das Morgen in rosigsten Farben anmalen und zerknirschte Überraschung mimen, wenn die Wahrheit ans Licht schwappt wie das schmutzige Hochwasser durch den Gully und über die Ufer.
Da sind zunächst die Pensionszusagen, die man lange Jahre den Mitarbeitern gegeben hat. Das ging gut, solange die Unternehmen wuchsen. Das wird zum Problem, wenn Unternehmen nicht mehr wachsen und immer weniger Beschäftigte die Pensionen früherer Beschäftigter erst einmal verdienen müssen. Heute zeigt sich, dass bei vielen Unternehmen zu wenig zurückgelegt wurde. Wenn nun im Schnelltempo die Pensionsrückstellungen erhöht werden, verlieren die Aktionäre Gewinnansprüche. Wer heute eine Aktie kauft, beteiligt sich an einem Unternehmen, das in Wirklichkeit den früheren Mitarbeitern gehört, deren Ansprüche mit Vorfahrt befriedigt werden müssen. Die Niedrigzinsphase, die erzwungen wird, um die maroden Südländer der Euro-Zone über Wasser zu halten, zwingt viele Unternehmen, zusätzliche Milliarden in die Pensionskassen zu überweisen. Das Gute an dieser Botschaft ist: Die Unternehmen werden gezwungen, solche zukünftigen Lasten schon heute offenzulegen. Für Bundesländer, Kommunen und den Bund werden sich die Pensionsverpflichtungen von derzeit 40 Milliarden Euro bald vervielfachen – Unternehmen mögen zu wenig zurückgelegt haben, der Staat gar nichts. In beiden Fällen werden die bitteren Folgen der giftigen Mischung aus Überalterung und zu geringem Wachstum der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verschleiert.
Noch dramatischer ist es bei dem, was man als „guten Willen“ moralisiert. Wenn Unternehmen andere Unternehmen kaufen, wird fast immer mehr bezahlt, als das gekaufte Unternehmen tatsächlich wert ist. Man benennt das mit Synergien, Größenvorteilen, Einkaufsmacht und ähnlichen Sprücheleien. Früher musste man diese Werte wenigstens Jahr für Jahr reduzieren, also langsam und geregelt heiße Luft ablassen. Neuerdings darf man das aufschieben und früher zu teuer bezahlte Fantasien mit noch viel blumigeren Fantasien rechtfertigen. Aber heiße Luft bleibt heiße Luft, und das Vermögen der Aktionäre schmilzt, wenn der Heißluftstrom irgendwann doch abgelassen werden muss. Immer neue Regeln werden heute als „internationale Bilanzregeln IFRS“ von einem diskreten Gremium von 16 Bilanz-Weisen formuliert und dann als nationales Gesetz der Wirtschaftswelt oktroyiert. Sie sind ein weiteres Risiko: Je nachdem, wie deren quasigesetzliche Finessen ausfallen, wird aus Gewinn Verlust, aus solidem Vermögen schmelzende Butter.
Gegen solche Gefahren helfen nur genaue Analysen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 03.08.2013)