Tichys Einblick
WeChat ist die Dystopie der Sozialen Medien

Corona als Waffe gegen das Internet

Die Corona-Krise ist die Stunde der Exekutive. Und die freut sich, dass sie einen Vorwand hat, um das missliebige Internet an die Kandare zu nehmen. Nur in Deutschland braucht es nicht einmal eine Pandemie dafür.

imago Images/Zuma Press

Die Corona-Pandemie dient als wirkungsvoller Hebel einer autoritären Politik. Politiker können, besonders in Deutschland, mal so durchregieren, wie sie es sich schon lange gewünscht haben, aber aufgrund lästiger Dinge wie der Gewaltenteilung nie konnten.

Doch auch an anderer Stelle äußert sich die Übergriffigkeit exekutiver Staatsorgane und ihrer willfährigen Helfer. So beschreibt ein Bericht der amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Freedom House, wie weltweit die Meinungs- und Redefreiheit im Netz eingeschränkt wird – oft genug unter dem Vorwand der Seuchenbekämpfung.

So gab es zum Beispiel schon vor der Pandemie Bestrebungen der russischen Regierung, das nationale Internet vom internationalen Informationsfluss abzukoppeln, wie es China mit seiner „Großen Firewall“ schon lange tut. Durch das Abgrenzen eines „nationalen“ Internet vom globalen Netz lässt sich der Informationsfluss der Bürger effektiv steuern. Der Vorwand, Fake-News im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu bekämpfen, wurde auch genutzt, um kritische Medien und Dienste zu sanktionieren. So wurden die Bekämpfung von Missinformation, Gewalt und Schummelei bei Prüfungen in Indien als Vorwand genannt, um Inhalte zu löschen, Internet-Blackouts zu verhängen und Streamingdienste wie Netflix zu zwingen, regierungskritische Serien vom Netz zu nehmen.

Es gilt, das Narrativ zu beherrschen

Ziel war, so Freedom House, für Lokalregierungen das Narrativ um die Covid-19 Pandemie des Landes unter Kontrolle zu bringen und allgemeinen politischen Protest zu unterdrücken. Dabei ist Indien eine Demokratie.

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Für Deutschland sieht Freedom House zu Zeit jedenfalls keine Gefahr der Freiheit im Internet. Deutschland erzielt in der „Freiheit des Internets“ sogar eine bessere Note als die Vereinigten Staaten. So wird kritisiert, dass in den USA eine kleine Zahl von Internetanbietern größere Marktmacht besitzen als in Deutschland und damit dem Konsumenten gegenüber stärker sind.

Damit hat Freedom House auch sicherlich recht. Problematisch wird die Einschätzung von Freedom House allerdings in einer gewissen Staatsgläubigkeit, die im Bezug auf Deutschland zutage tritt, aber nicht in den USA selbst angewandt wird. So wird zum Beispiel kritisiert, dass die Massenüberwachungen des Internets durch amerikanische Geheimdienste sich negativ auf Journalismus und Meinungsfreiheit in den USA auswirken und zu einer gewissen Selbstzensur führen. Das ist auch ein berechtigter Kritikpunkt. Eine Kritik, die im Bezug auf die weitreichenden Regelungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) in Deutschland nicht wiederholt wird.

Das NetzDG ist Inspiration für Autokraten

Wieso auch, wenn demokratische und Pressefreiheits-freundliche Staaten wie Singapur und die Türkei´Teile des Gesetzes übernehmen und Russland das NetzDG ausdrücklich als Inspiration für ihre eigenen, sehr ähnlichen, Gesetze nennt? Denn das NetzDG verhängt drakonische Strafen gegen Plattformanbieter, wenn sie ihre Inhalte nicht nach den sehr losen Formulierungen des Gesetzes moderieren. So verlangt es, dass „Hass und Hetze“ gelöscht werden müssen. Was Hass und Hetze genau darstellen, wird nur im weitesten Sinne definiert. Hinweise, dass das Gesetz zu „Overblocking“ führt, also einer Übererfüllung der Regeln durch ängstliche Plattformbetreiber, sieht man im Bundesjustizministerium nicht. Wie auch, wenn man gar keine empirischen Studien zu dem Thema angefertigt hat?

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Aber das reicht dem Bundesjustizministerium nicht aus. Einer Gesetzesinitiative der Justizministerin Lambrecht wurde aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken die Ausfertigung durch Bundespräsident Steinmeier verweigert und zur Prüfung ausgesetzt – was an sich schon ein einmaliger Vorgang ist, denn eigentlich muss ein Gesetz ausgefertigt werden oder die Ausfertigung wird abgelehnt. Das Gesetz sieht vor, dass in Fällen, in denen Plattformbetreiber wie Facebook den Verdacht auf „Hasskriminalität im Internet“ bei einem Beitrag haben, dieser Beitrag beim BKA gemeldet werden muss. Außerdem sollen die persönlichen Daten (Name, Wohnanschrift, IP-Adresse) des verdächtigten Hasskriminellen gleich mit an das BKA übermittelt werden. Eine solche ständige Datenabfrage durch die Polizei, die das Gesetz im Grunde darstellt, darf aber nur mit einem von Ermittlern bestätigten Anfangsverdacht geschehen und nicht, weil ein Social Media Konzern dazu gezwungen wird, den Hilfssheriff zu spielen.

Im Kampf gegen Terror, Hassrede und Hetze ist die Bundesregierung jedenfalls stets bereit, gefährliche Gesetze ins Spiel zu bringen, die dem guten Zweck dienen sollen, sich aber leicht korrumpieren lassen. Vorratsdatenspeicherung, Aushöhlung des Postgeheimnisses bei digitalen Medien, eine immer wieder ins Spiel gebrachte Klarnamenpflicht im Internet: Es sind alles Werkzeuge, die inneren Frieden und Sicherheit garantieren sollen aber genauso der Unterdrückung dienen können.

Freiwillige Zensur durch Unternehmen

Mindestens genauso gefährlich ist es, wenn Unternehmen auf den Druck von Gesetzgebern und Politik hin sich selbst beschränken oder in die Freiheit ihrer Nutzer eingreifen. Hier tritt besonders der Facebook-Konzern negativ auf. Im Frühjahr wurde zum Beispiel die Funktion des „Broadcast“, bei der ein Nutzer eine Nachricht an all seine Kontakte verschicken kann, eingeschränkt. Die Begründung war, man wolle Kettenbriefe, die Falschinformationen zu Corona enthalten, beschränken. Dies begründete WhatsApp in einer Pressemitteilung im April so:

„Wir wissen, dass zahlreiche Nutzer Informationen und Inspirationen an ihre persönlichen Kontakte weiterleiten möchten. In den letzten Wochen haben außerdem viele Menschen WhatsApp genutzt, um lokale Hilfsangebote zu koordinieren. Dennoch haben wir einen signifikanten Anstieg von weitergeleiteten Nachrichten festgestellt, die auch zur Verbreitung von Falschinformationen beitragen können. Damit die Kommunikation auf WhatsApp sicher und privat bleibt, werden wir die Möglichkeit, häufig weitergeleitete Nachrichten noch weiter zu verbreiten, eindämmen.“

Wenn WhatsApp nicht gefällt, worüber die Menschen schreiben, wird also ein Riegel vorgeschoben und die Kommunikation erschwert. Wie lange wird es wohl dauern, bis autoritäre Regime Druck auf WhatsApp ausüben, sich ihren Zwecken zu beugen? Dass die verschlüsselte Kommunikation bei WhatsApp Regierungen ein Dorn im Auge ist, ist schon lange bekannt. Denn wie viele andere Messenger-Dienste auch, verschlüsselt WhatsApp die zwischen zwei Personen verschickten Nachrichten so, dass ein Mitlesen nicht ohne Weiteres und nicht ohne direkten Zugriff auf das Gerät möglich ist.

WeChat, die Dystopie der Sozialen Medien

Manche Länder machen es deswegen unmöglich, den Dienst in ihrem Land herunterzuladen – so zum Beispiel China. Wer dort einen Messenger nutzen möchte, muss auf WeChat umsteigen. Und dort liest der Staat mit; wenn es sein muss, wird kurzerhand auch noch zensiert. Die Bundesregierung geht noch nicht so weit, fordert aber von Diensten wie WhatsApp und Telegramm schon Lange auf richterlichen Beschluss unverschlüsselte Mitschriften von Chats auszuhändigen. Damit dies aber technisch möglich wäre, müsste die Verschlüsselung der Dienste geschwächt werden und würde damit auch für Angriffe durch Dritte anfällig. Noch wehren sich die Messenger-Dienste erfolgreich dagegen.

Doch das Beispiel von WeChat zeigt, wie Regierungen, wenn sie denn nur wollen, das Versprechen der Sozialen Medien – die Demokratisierung der Öffentlichkeit – untergraben können. Denn oberflächlich ist WeChat eine Verbindung verschiedenster westlicher Dienste: Es ist Facebook und und WhatsApp und ApplePay und MicrosoftTeams und Ebay und Amazon und Google, alles in einer nützlichen App. Einer App, in der die chinesische Regierung alles kontrolliert. In der Bilder des Kinderbuchcharakters Winnie Puuh zensiert werden, denn der dickliche Bär wird als Karikatur des chinesischen Autokraten Xi Jinping genutzt.

Entwurf aus dem Justizministerium
Kommen Uploadfilter jetzt doch?
WeChat ist die Dystopie der Sozialen Medien, die vorgespielte, kontrollierte Öffentlichkeit, die authentischer daherkommt als die spontanen Regierungsunterstützungsdemonstrationen einer UdSSR oder die Schlagzeilen des Neuen Deutschlands, die verkündeten: „Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zur Politik von Partei und Regierung“.

Von solchen Zuständen sind die westliche Welt und Deutschland noch weit entfernt. Der Grundgesetzartikel 5, verkürzt „Eine Zensur findet nicht statt“, gilt nach wie vor und es versucht auch keine Partei, diesen abzuschaffen. Vordergründig. Doch jedes sogenannte Gesetz zur Einschränkung von Falschinformationen, von vermeintlichem Hass oder sogenannter Hetze birgt die Gefahr, dass auch unsere Sozialen Medien ein wenig mehr WeChat werden. Selbst der Urheberschutz birgt Risiken für die Freiheit im Internet.

Denn entgegen den Versprechen der Politik werden sogenannte Upload-Filter nun zur Pflicht. Ein Upload-Filter setzt schon an, wenn Nutzer von Internetplattformen Dateien hochladen – zum Beispiel um ein Youtube-Video einzustellen. Der Filter untersucht das Video dann, ob ein Urheberrechtsverstoß vorliegt, und löscht es, wenn ein solcher entdeckt wird. Union und SPD, die eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, dass es keine Upload-Filter geben soll, reden sich damit heraus, dass Unternehmen nicht verpflichtet sind, Upload-Filter einzurichten. Denn sie können alternativ auch Nutzungslizenzen für sämtliche auf der Welt produzierten, urheberrechtlich geschützten Medien erwerben.

Als Alternative für kleinere Plattformen reicht es auch „bestmögliche Anstrengungen“ zu unternehmen, Urherberrechtsverstöße zu verhindern. Ob die „bestmöglichen Anstrengungen“ dann ausreichend waren, entscheiden Gerichte, wenn es darum geht, das Strafmaß zu bestimmen. Die Alternative ist es, dass die Unternehmen die bei ihnen hochgeladenen Medien schon im Vorfeld darauf hin untersuchen, ob es zu Urheberrechtsverletzungen kommt. Doch solche Filter lassen sich einfach korrumpieren, als Filter gegen „falsche Inhalte“ verwenden. Und dann sind wir wieder ein Stückchen näher bei WeChat angekommen. Natürlich gilt Artikel 5 Grundgesetz weiter. Aber was heißt das dann noch?

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