Tichys Einblick
Justizministerin Lambrecht

Noch nie hat die Obrigkeit die Grammatik bestimmt

Die Bundesjustizministerium wollte mit Hilfe eines Gesetzes zum Insolvenzrecht die deutsche Grammatik reformieren. Das ging gründlich schief. Die Politik muss offenbar wieder lernen, was schon die Römer wussten: Der Staat kann der Grammatik nichts befehlen.

Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin

imago images / Political-Moments

Die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) eines Unternehmens ist eine ernste Sache, zumal in Coronazeiten. Der aktuelle Gesetzentwurf zur „Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“ berücksichtigt dies, geriet aber trotzdem in die Schlagzeilen – nicht wegen seines Inhalts, sondern wegen eines Sprachstreites zwischen Justiz- und Innenministerium um das „generische Femininum“. Ein Rückblick aus linguistischer Sicht.

Es war eine sprachliche Premiere, inszeniert vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Zum ersten Mal wurde der Öffentlichkeit ein Gesetzestext präsentiert, in dem alle Akteure „in weiblicher Form“ (so die Diktion des Ministeriums) auftreten: als „Gläubigerin“, „Schuldnerin“, „Insolvenzverwalterin“, „Geschäftsleiterin“ usw. Der Text hieß „Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz“ und wurde Mitte September als „Referentenentwurf“ veröffentlicht.

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Ein solcher Referentenentwurf geht innerhalb der Bundesregierung zunächst in die „Ressortabstimmung“, hier besonders mit dem für die Verfassung zuständigen Innenministerium. Dieses erhob Einwände, nicht inhaltliche, sondern sprachliche: Formulierungen wie

„Eine Geschäftsführerin haftet den Gläubigerinnen für die Verbindlichkeiten der
Schuldnerin“ (§ 61 Abs. 2 B)

würden dahingehend interpretiert, „dass das Gesetz möglicherweise nur für Frauen oder Menschen weiblichen Geschlechts gilt, und damit möglicherweise verfassungswidrig ist“. Das im Referentenentwurf durchgängig verwendete „generische Femininum“, konkret: die Verwendung einer Form wie „Geschäftsführer-in“ für Männer und Frauen, sei „bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt“.

Genussprache Deutsch

Sprachtypologisch gehört Deutsch zu den „Genussprachen“, die bestimmte Wortarten in zwei (z. B. Französisch) bis zwanzig (Bantusprachen) grammatische Genusklassen einteilen. Deutsch hat drei Genusklassen: Maskulinum (der Weg), Femininum (die Straße) und Neutrum (das Gässchen). Die Hauptfunktion des Genus ist syntaktisch: Es markiert die Zusammengehörigkeit einer Wortgruppe durch die Übereinstimmung ihrer Komponenten im Genus („Kongruenz“): ein schön-er Weg, ein-e schön-e Straße, ein schön-es Gässchen.

Generisches Maskulinum

Bei genusvariablen Substantiven (der/die Angestellte) oder bestimmten Substantivableitungen (Schuldner/Schuldner-in, Löw-e/Löw-in) hat das Genus auch eine semantische Funktion: Das Femininum bedeutet das Geschlechtsmerkmal „weiblich“, das Maskulinum einerseits „männlich“, andererseits im generischen (allgemeinen) Sinn „männlich und/oder weiblich“. Das generische Maskulinum wird verwendet, wenn das Geschlecht unbekannt oder unwichtig ist, oder es sich um eine geschlechtergemischte Gruppe handelt: Ein „unbekannter Täter“ kann also auch eine Frau sein; ein „Schuldner“ in einem Gesetzestext meint eine abstrakte Person (Mann, Frau, Firma), und eine Gruppe „Wanderer“, die jemand von Ferne entgegenkommen sieht, kann sich aus der Nähe als Männer, Frauen oder Männer + Frauen herausstellen. Ohne eine generische Genusfunktion müsste man hier zu sprachgymnastischen Umschreibungen greifen: „Ein unbekannter Täter oder eine unbekannte Täterin“; „Ich sehe in der Ferne eine Gruppe Wanderer oder Wanderinnen oder Wanderer und Wanderinnen“.

Generisches Femininum

Aber muss das geschlechterübergreifende Genus das Maskulinum sein? Natürlich nicht, aber im Deutschen ist es eben so: Die deutsche Grammatik kennt kein generisches Femininum. Lexikalisch kommt es aber durchaus vor: Die sprichwörtliche „schwarze Katze“, die einem über den Weg läuft, kann auch ein Kater sein – der zudem „Katzenfutter“ fressen muss. Und auf öffentlichen Plätzen, wo die Vorschrift gilt: „Das Füttern von Tauben ist verboten“, sind Täuber (Täuberiche) davon nicht ausgenommen.

„Caesar non est supra grammaticos“

Die Grammatik einer Sprache ist ein kompliziertes System, welches die Kombination und Funktion der Wörter regelt: Die fünf Wörter in „Über allen Gipfeln ist Ruh“ ergeben theoretisch 120 Wortkombinationen. Aber nur vier (der Vers Goethes, die Umformulierung „Ruh ist über allen Gipfeln“ sowie die Fragesätze „Ist über allen Gipfeln Ruh?“ bzw. „Ist Ruh über allen Gipfeln?“) sind grammatisch korrekt, die übrigen unverständlich. In ein solches System mit Erfolg einzugreifen, wie es das Justizministerium mit seinem generischen Femininum versuchte, kann nicht gelingen. Schon die alten Römer wussten, dass der Staat der Grammatik nichts befehlen kann: Caesar non est supra grammaticos, wörtlich übersetzt: „Der Herrscher steht nicht über den Grammatikern“.

Aber wussten die Beamten – im Neudeutsch des Justizministeriums: die „Beamtinnen“ – nicht, das diese „Grammatikreform“ scheitern musste? Jedenfalls reagierten sie wie erfahrene Beamter auf Blödsinn von oben zu reagieren pflegen und bauten in den Text Stolpersteine ein: Der Referentenwurf ist deshalb keineswegs „komplett in weiblicher Form“; denn ab und zu wurde in den Text ein generisches Maskulinum hineingeschmuggelt: Die „Gläubigerinnen“ vertreten „Gläubigerinteressen“ (§ 2), nicht Gläubigerinneninteressen; es gibt „Zeugen“ (§ 4), „Teilnehmer“ (§ 60) und „an der Schuldnerin beteiligte Aktionäre oder Kommanditaktionäre“ (§ 69). Kurzum: Der Entwurf des Bundesjustizministeriums war bewusster sprachlicher Blödsinn, also Blödeln.

Mitte Oktober machte das Bundeskabinett diesem Blödeln ein Ende: Das nun dem Bundestag vorgelegte „Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz“ verwendet wieder das sprachübliche generische Maskulinum.

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