Boris Johnson hat die Gespräche über einen Handelsvertrag mit der EU für beendet erklärt. Ein Sprecher sagte laut Times: »Die Handelsgespräche sind vorbei. Die EU-Vertreter haben sie praktisch beendet, indem sie erklärt haben, dass sie ihre Position nicht verändern wollen.« Die EU- Vertreter hätten bei dem Brüsseler Treffen vom Donnerstag eine ganze Reihe inakzeptabler Forderungen an die Briten gestellt. Der Arbeitsbesuch, den EU-Chefunterhändler Michel Barnier nächste Woche eigentlich vorhatte, ergebe daher keinen Sinn mehr. Denn dazu müsste Barnier schon bereit sein, über alle offenen Fragen zu diskutieren, und dies mit Tempo und ohne von London zu erwarten, dass es sich in allen Punkten bewegt.
In Johnsons Rede vor den EU-Vertretern kann man genau jene Enttäuschung herauslesen, von der auch sein Außenminister Dominic Raab im Zusammenhang mit der Verhandlungsführung der EU- Partner sprach. Johnson sagte: »Wir haben die EU am 31. Januar verlassen und sind so dem größten demokratischen Auftrag in der Geschichte dieses Landes nachgekommen.« Seitdem habe man – auch ohne Stimmrecht – brav seine Abgaben an Brüssel weiterbezahlt.
Johnson erklärt, Großbritannien habe von Anfang an nur eine Beziehung wie die Kanadas zur EU beabsichtigt, »a Canada-style relationship«, die auf Freundschaft und Freihandel basieren sollte. Doch das war mit den EU-Partnern offenbar nicht zu machen, sie wollten die »gesetzgeberischen Freiheiten« der Briten beschränken und auch die Fischereirechte des Landes in einer Weise kontrollieren, die für ein unabhängiges Land inakzeptabel seien.
Großbritannien als eine »unabhängige Freihandelsnation«
Da es nur noch zehn Wochen sind, bis die Frist für einen Vertrag zwischen EU und UK abläuft, macht Johnson nun seine Ankündigung wahr, auf einen Ausstieg Großbritanniens ohne Vertrag (No- Deal-Brexit) zu setzen: »Und das können wir schaffen, denn wir wussten immer, dass es am 1. Januar eine Veränderung geben würde«. Er setzt damit auch auf Sicherheit und Verlässlichkeit für die heimische Wirtschaft und seine Bürger. Unternehmer, Spediteure und Reisende aller Art könnten sich von nun an auf Veränderungen am 1. Januar vorbereiten.
In seiner Botschaft an die EU-Gipfelteilnehmer würdigte Johnson durchaus einzelne Fortschritte, stellte aber zugleich fest: »Der Gipfel hat – aus welchem Grund auch immer – klargemacht, dass [die EU-Vertreter], nach 45 Jahren Mitgliedschaft, nicht willens sind […], diesem Land dieselben Bedingungen wie Kanada anzubieten. Wir werden uns also mit hohem Herzen und voller Selbstvertrauen auf die Alternative vorbereiten.« Als »eine unabhängige Freihandelsnation« werde Großbritannien »stark prosperieren«, man werde die eigenen Grenzen und Fischereigründe kontrollieren und – natürlich – eigene Gesetze beschließen. 2021 werde so zu einem Jahr der Wiederherstellung und der Erneuerung werden.
Schon vor einem guten Monat hatte Johnson der EU deutlich gemacht, dass der Erfolg bei den Verhandlungen von der Haltung abhängen würde, die sie auf dem nun über die Bühne gegangenen Gipfel einnehmen würde. Johnson ließ schon damals erkennen, dass er sich die nationale Handlungsfreiheit und Souveränität nicht nehmen lassen und er ein ungeregeltes Handelsverhältnis à la EU–Australien dem Ende als EU-Anhängsel vorziehen würde.
Der Verhandlungsbankrott der EU
Auf dem EU-Gipfel hatte Emmanuel Macron in einer Art Gegen-Ultimatum gefordert, dass Johnson entweder französische Fischer in britischen Gewässern zulassen oder sich auf einen No-Deal-Brexit gefasst machen müsse. Die beiden Regierungschefs scheinen sich also einig zu sein: Bei Uneinigkeit macht man keine Käsefondue aus den Verhandlungen, sondern bricht das Brot und geht wieder an die Arbeit. Aber ist es so einfach?
Am Donnerstag sagte EU-Ratspräsident Charles Michel in einem Statement, dass das Vereinigte Königreich eine Vereinbarung »durch die notwendigen Bewegungen« ermöglichen müsse. An dieser Formulierung nahm Johnson offenbar Anstoß, denn bei Verhandlungen müssen sich am Ende immer beide Seiten bewegen, um einen gültigen Kompromiss auszuhandeln.
Michel gab sich hartleibig: »Jede Vereinbarung über unsere zukünftige Beziehung müsste auf unserem Verhandlungsmandat begründet sein, vor allem was das ›level playing field‹, die Fischereirechte und die ›governance‹ betrifft.« Michels Worte kann man indes auch als eine verhandlungstechnische Bankrotterklärung der EU lesen: Die Unions-Vertreter sehen sich unfähig, weiter frei mit den Briten zu verhandeln, weil ihr Verhandlungsmandat das nicht vorsieht. Wir reden von einem unbeweglichen Koloss.
Johnsons Wirtschaftspolitik für den englischen Norden
Angela Merkel hat angeblich schon die Bereitschaft zu Kompromissen erkennen lassen, während Michel Barnier zugab, dass man rascher zu Ergebnissen kommen müsse. Erstaunlich optimistisch blieb Mark Rutte, der niederländische Premierminister. Er sieht auf beiden Seiten »implizite« Signale, dass man weiter verhandeln wolle. Wahr ist, dass Johnson über seinen Sprecher sagen ließ, dass es die EU war, die die Gespräche beendet hat.
Vor Johnsons Botschaft hatte auch Außenminister Dominic Raab optimistische Töne anklingen lassen: Es blieben »nur noch zwei strittige Fragen«. Und deshalb sei man von der harten Linie der EU »überrascht« und »enttäuscht«. Die beiden »strittigen Fragen« Raabs sind offenbar: die Fischereirechte und das »level playing field«. Tatsächlich handelt es sich in beiden Fällen und für beide Gesprächsseiten um Prestigefragen, wie sich an den Statements von Johnson und Macron zeigt. Man nehme nur das »level playing field«. Hier ist vor allem umstritten, wie stark Großbritannien Wirtschaftsunternehmen fördern darf, und schon ein Steuernachlass wäre dabei zu verbuchen. Eine Industrie- und Förderungspolitik hat sich Johnson aber für den englischen Norden im Zeichen seines Brexit-Programms auf die Fahnen geschrieben.