Tichys Einblick
How dare you!

Jan Fleischhauer ist so frei, sich unbeliebt zu machen

Er ist der Meister der politischen Kolumne: nicht nur bissig, provokant und sehr unterhaltsam, sondern besonders erfrischend zu lesen, weil er sich die Freiheit nimmt, eine eigene Meinung zu vertreten.

Die meisten Bücher haben ein Anliegen. Der Autor will uns aufklären, nachdenklich stimmen, von seiner Sicht der Dinge überzeugen. Mit der Absicht des Verfassers verbindet sich meist eine gewisse Bedeutungsschwere:  je politischer das Thema umso missionarischer schleppen sich die Zeilen über nicht enden wollende Seiten hinweg. Bedient der Autor zudem noch aktuell im Umlauf befindliche apokalyptische Themen, darf er sicher davon ausgehen, Gast in den diversen Talkshows zu sein. Aufrisse der „Klimakatastrophe“, ekelerregende Schilderungen der Haltung von Nutztieren zum Verzehr, sowie die Verdammung jeglicher Verstöße gegen die Dogmen der Political Correctness erfreuen sich dort besonderer Beliebtheit. Doch zum Trost gibt es in diesem Weltschmerzallerlei einige wenige Figuren, die ihre Hauptaufgabe nicht in der Erziehung ihrer Leser sehen. Keine Angst, nicht von literarischen Leichtgewichten ist die Rede, sondern von eigenständig denkenden und mit der Gabe einer glänzenden Feder ausgestatteten Originalen. Eines davon ist der langjährige SPIEGEL-Korrespondent und heutige Flaggschiff-Autor des Fokus, Jan Fleischhauer.

Unter Linken. Von einem der aus Versehen konservativ wurde“ lautete der Titel seines ersten Buches, das 2009 erschien und über Monate die Bestsellerlisten anführte. Schnell war das Publikum sich einig:  hier weiß einer genau, worüber er schreibt. Zielsicher und authentisch schildert der in einem „progressiv-linken“ und zugleich bildungsbürgerlichen Elternhaus aufgewachsene Fleischhauer das Leben, den Alltag und die Gefühlswelt  des akademischen linken Milieus und derer, die sich dazu zählen.

Mediensafari
Selbsternanntes Magazin bedroht Journalismus, Unparteilichkeit und Bauchgefühl. Und was dagegen helfen würde
An  verschiedenen Universitäten, auf der Ochsentour durch diverse Redaktionen bis hinein ins  über Jahrzehnte als  „Sturmgeschütz der Demokratie“ geltende linke Refugium des SPIEGEL, erlebte und durchlebte der schnell Karriere machende gebürtige Hamburger den ganzen „progressiven Garten Eden“. Doch wie allseits bekannt, wachsen dort nicht nur süße Früchte. Unter leuchtender Farbe verbirgt sich nicht selten eine faulige Frucht. Fleischhauer erkennt die inneren Widersprüche einer Welt, die nach dem Motto „Links reden, Rechts leben“ funktioniert. Gerade weil der Beobachter nicht nur mittendrin, sondern zugegebenermaßen selbst Teil dieser Welt ist, schmerzen seine Erfahrungen und Eindrücke in diesem sozialen Biotop besonders. Viele Weggefährten sehen sich vorgeführt, ja vielleicht sogar verraten.

„Die meisten Journalisten wollen, dass man sie mag. Sie wünschen sich, dass ihre Kollegen nicht schlecht über sie denken. Wenn ausnahmsweise doch jemand mal schlecht über die denkt, soll er wenigstens nicht schlecht über sie reden. Werden sie gefragt, wo sie politisch stehen, wählen sie einen Platz links der Mitte. Das ist der Ort, an dem auch die Mehrheit von ihnen steht.
Für meinen Beruf sind das schlechte Voraussetzungen. Wer den Job des Kolumnisten ernst nimmt, macht sich nicht beliebt.”

Wie dieses Zitat aus dem Vorwort seines neuen Buches belegt, kann man Fleischhauer nicht vorhalten, seine Texte enthielten Vorwurfsvolles, Anklagendes oder gar die versteckte Bitte nach Einsicht und Umkehr. Der Autor beschreibt lediglich was ist – spöttisch, (selbst-)ironisch, distanziert beobachtend.  Er ist damit eines der in Deutschland selten zu findenden Exemplare angelsächsischer Schreibkultur. Hinzu kommt die Leichtigkeit und Unangestrengtheit seines Stils, die auch seine Kolumnen auszeichnen. Gut sechzig davon sind jetzt unter dem Titel „How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken“ erschienen. Jede Kolumne ist anders und immer wieder überraschend, wie es bereits eine kleine Auswahl folgender Kolumnentitel demonstriert:

„Über die sexuelle Veranlagung von Politkern“ – „Über Richard David Precht und das Prechteln“ – „Über historische Forschungsergebnisse zum Veganismus“ – „Über Robert Habeck und den Gebrauch des Kopfes zu Gefühlszwecken“ – „Über den Zusammenhang zwischen Rechthaberei und akademischer Bildung“ – „Über die Grenze zwischen Moral und Doppelmoral“ – „Über Berlin als das Venezuela Deutschlands“ – „Über den Unterschied zwischen Uwe Tellkamp und Heinrich Böll“ – „Über die wahre Anzahl menschlicher Geschlechter“ – „Über die Suche nach einer Erklärung, warum die meisten Journalisten links sind“ – „Über Nazis und woran man sie erkennt“ – „Über die Gültigkeit der Weisheit, dass man der Spur des Geldes folgen soll“ – …

Auch um besonders heiße Eisen macht Fleischhauer keinen Bogen. Als Reaktion auf den immer wieder zu hörenden Vorwurf, die Polizei sei auf dem rechten Auge blind, zitiert Fleischhauer aus der von den Tätern selbst verfassten Antifa-Bilanz linker Gewalt in der Stadt Leipzig und verbindet sie mit der freundlichen Bitte an die Linke, doch selbst etwas weniger Gewalt auszuüben, damit die Polizei mehr Zeit für die Radikalen von rechts bekäme.

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In seiner Kolumne „Über Pazifismus im Kinderzimmer“ räsoniert der Autor über die Erziehung zum völligen Gewaltverzicht. Neuseeländischen Forschern zufolge soll sogar die Firma Lego „die Militarisierung im Kinderzimmer“ fördern. Dabei habe bereits der Historiker Jörg Baberowski darauf hingewiesen, dass „Menschen, die in durchgängig befriedeten Gesellschaften aufgewachsen sind, ihre Erziehung im Wege steht, wenn es zu einem unerwarteten Einbruch von Gewalt kommt.“  Als Beispiel führt er die Ereignisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln an, als ganze Gruppen ausländischer Flüchtlinge Frauen schwer belästigten. Weder die Polizei noch umstehende Männer kamen den Bedrängten zu Hilfe.  Diese Ereignisse stellt er einer ähnlichen Situation gegenüber, die sich auf einem Bahnsteig in der russischen Stadt Murmansk zutrug. Dort hatten arabische Männer einheimische Frauen in vergleichbarer Weise angegriffen. Noch bevor die Polizei am Ort des Geschehens eintraf, hatten russische Männer dem Spuk ein Ende bereitet. Welche Erkenntnisse sich daraus ziehen lassen, überlässt Fleischhauer dem Leser.

Fleischhauer verzichtet auf jegliches Eifern, hat aber keine Scheu davor, sich unbeliebt zu machen. Seine leicht spöttische Distanz zu allem und jedem bewahrt seine Texte bei allem thematischen Ernst vor Schwere; der Diskurs in der Demokratie lebt ja gerade davon, dass es nur in seltenen Fällen um Sein oder Nichtsein geht. Lassen wir den Autor noch einmal selbst zu Wort kommen:

„Jeder Journalist hat seine Vorbilder. Zu meinen gehört der österreichische Autor Anton Kuh. Von Kuh stammt der Satz: „Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht?“ Damit lässt sich arbeiten.
Der Journalist soll sich mit nichts gemein machen, auch nicht mit einer guten Sache, lautet ein Rat, der angehenden Journalisten in Seminaren gegeben wird. Der einfachste Weg, dieser Empfehlung gerecht zu werden, ist, es sich mit Leuten, auf die es ankommt, zu verscherzen. Das wäre, wenn Sie so wollen, die Kombination aus Satz eins und zwei. Also angewandter Anton Kuh.
Eine nahezu todsichere Methode, Distanz zwischen sich und anderen zu schaffen, ist die Beleidigung. Als Stilform ist die Beleidigung etwas in Verruf geraten, zu Unrecht, wie ich meine. (…).

Bei der üblen Nachrede kommt es, wie bei allen Stilformen, auf Witz und Originalität an. Die beste Form wird verhunzt, wenn Stümper sich daran versuchen. ‚Blödmann‘ oder ‚Idiot‘, das kann ja jeder, dazu muss man nicht viel im Kopf haben. Aber die treffende Abwertung, die wirklich schmerzt, die verlangt den Könner. Mein Kollege Henryk M. Broder stand einmal vor Gericht, weil er über eine Kulturmoderatorin des ZDF gesagt hatte, sie halte beim Reden den Kopf immer leicht schräg, damit sich die Gedanken auf einer Seite sammeln könnten. Das nenne ich eine gelungene Beleidigung. Die arme Frau wollte diese Gemeinheit nicht hinnehmen und zog vor das Landgericht in Düsseldorf, das ihr 10.000 Euro an Schmerzensgeld zusprach. Zum Glück für Leute wie mich kassierte das Oberlandesgericht die Entscheidung wieder. Am Ende musste Broder 40 Prozent der Gerichtskosten tragen, was für ihn viel Geld war, für die Verteidigung der Meinungsfreiheit aber ein akzeptabler Preis, wie ich finde.“

Jan Fleischhauer, How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken. Siedler Verlag, 304 Seiten, 20,- €


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