Gestern erst, viele Meilen vom nächsten Wald entfernt, da ging ich an Arbeitern vorbei, die in einem Garten die Bäume zurückgeschnitten hatten. Zum Vergehen verurteilte Äste waren auf einem Haufen gesammelt. Der Duft des frei blutenden Harzes weckte in mir Erinnerungen an Wälder und Berge (siehe dazu auch den Essay »Irgendwem musst du dienen, mein Sohn« vom 2.3.2018).
»Es hätte seinen Reiz«, so dachte ich bei mir, »mal wieder im Halbdunkel dichtstehender Bäume wandern zu gehen!«
Ich meine das Wandern, welches man angeht wie heute ein Segler das Segelboot oder ein Reiter das Reiten betrachtet, das veraltete Reisemittel als moderner und eigener Zweck. Eine magische Verwandlung ist geschehen, durch welche die Beschwernis von einst zum edlem Vergnügen wurde. Die Natur des Reisemittels erscheint uns heute, wenn die Prämisse der Reise die Freude an eben dieser ist, als erstrebenswerter Luxus – sei es die salzige Gischt des Meeres, die würzigen Ausdünstungen des Tieres, oder die Bergsonne und die losen Kiesel unter den noch-nicht-eingetragenen Stiefeln. Was einst Last war, das gilt heute als Lust und als Anlass zu großer Meditation. Und doch …
’s ist ja so: Die, welche heute die Natur am schrillsten vergöttern, die wissen meist am wenigsten von ihr. Manches Reden über die Natur ist mehr Wortgirlande als Beschreibung von Sachverhalten.
Mit dem preisgünstigen elektronischen Schrittzähler am Handgelenk, meine täglichen zehntausend Schritte leistend, spaziere ich an Gartenabfällen vorbei, und von etwas duftendem Herz inspiriert will ich gleich Elegien auf die Natur schreiben.
Es wäre zu debattieren, ob »Mutter Natur« wirklich eine gute Mutter ist. (Sie ist es nicht.) Die Zivilisation ist der Versuch, den Menschen aus der Tyrannei der Natur zu befreien – zuerst seiner eigenen Natur.
Und doch …
’s ist ja so: So wie es ein Fehler wäre, von denen, die sich von Berufs wegen ›Christen‹ nennen, auf Jesus Christus zu schließen, so wäre es ein Verlust, von den angeblichen Naturfreunden der Städte auf die Natur selbst zu schließen.
Angeregt vom Duft des Harzes, das der Baum in Todespanik ausstieß, fühle ich mich bewegt, der Natur einen neuen, stets vorsichtigen Besuch abzustatten.
Gerade heute, gerade in diesen Tagen, gerade gegeben die nachhaltig nervenzehrenden Nachrichtenlagen.
Vom Kühlwasser auf die Motor-Temperatur
Der Arzt misst die Fiebertemperatur und den Blutdruck des Patienten. Am Auto wird uns immerfort die Temperatur des Kühlwassers angezeigt. Sind diese wenigen angezeigten Werte die einzigen wichtigen Fakten ob der jeweiligen Maschine, gar deren vollständige Beschreibung? Selbstverständlich nicht! Doch, die Kenntnis dieser Zustände erlaubt Rückschlüsse auf andere Zustände, verbunden mit den Werten der Erfahrung und etwas Kenntnis über die inneren Vorgänge der Maschinen sind sie ein nützlicher Indikator.
Was wären nützliche Indikatoren für die »inneren« Vorgänge unserer Welt?
Vielleicht dies: Letzte Woche fand die »US-Vize-Debatte« statt. Trumps Vize Mike Pence trat gewohnt präsidial auf, Bidens designierte Vize, Kamala Harris, gab das linke »Valley Girl«, spielte eine augenrollende kalifornische Göre – was man in gewissen linken Kreisen eine »starke Frau« nennt. Ein technisches Detail jener Debatte sagte mehr aus über den wahren Debattenstand als alle Worte zusammen.
Als Trumps Vize Mike Pence über Chinas Reaktion auf die Pandemie zu sprechen begann, wurde das entsprechende TV-Signal in China gekappt, und als Bidens Vize-Kandidatin danach über China sprach, wurde das TV-Signal wieder angeschaltet (sogar das radikal trumpfeindliche Outlet »CNN« gibt es zu; cnn.com, 9.10.2020). Natürlich liegen uns die vielen weiteren Indikatoren vor, doch dieser eine Indikator genügt, um vom Kühlwasser auf die Motor-Temperatur zu schließen.
Morgen für Morgen auf Suche
Ach, so viele Indikatoren, die es heute abzulesen gilt! Die Zeitspanne zwischen »keiner hat die Absicht« und den dann doch gelegten Mauersteinen wird immer kürzer; aktuell: »Merkel will keine Steuern erhöhen«, verkündete der deutsche Staatsfunk noch im Mai (tagesschau.de, 14.5.2020) – genau eine Handvoll Monate später lesen wir: »Bundestag beschließt höheren CO2-Preis – Heizen und Tanken werden ab 2021 teurer« (welt.de, 9.10.2020). Auch diese offene Verachtung der (immer weniger werdenden) »tragenden Schultern« der Gesellschaft ist ein Indikator, der uns vom Kühlwasser auf die Motor-Temperatur schließen lässt.
Was wären all diese ernsthaften Probleme ohne den gepfefferten Schuss Wahnsinn zwischendurch. Dereinst, wenn höhere Mächte der Bundesrepublik ihren Totenschein ausstellen, wird man als Todesursache eintragen: »Die Grünen fordern«. – Aktuell heißt es: Die Grünen fordern (sich ganz bei ihren Kollegen von der umbenannten SED bedienend): mehr Geld für die, die nicht arbeiten. Für die Partei der Beamten, Beamtenkinder und Hausbesetzer »ist das aktuelle System der Hartz-IV-Regelsätze überholt, deshalb wollen sie diese deutlich anheben« (welt.de, 9.10.2020).
Niemand wird dagegen sein, dass auch arbeitslose Menschen sich ein gesundes Bio-Frühstück leisten können, bevor sie Morgen für Morgen auf die Suche nach sozialversicherungspflichtiger Arbeit gehen – doch wenn dieselbe Partei quasi die Vernichtung der deutschen Wirtschaft zum Wohl angeblichen Naturschutzes fordert, während sie wohlgemerkt Sozialsystem weiter aufblähen will (das ja ein abhängiges Kind der Industrialisierung ist!), dann ist dieser widersprüchliche Irrsinn ein Indikator für Betriebstemperaturen ganz anderer Art.
Ein großer An-und-Ausschalter
Ich habe heute drei Indikatoren vorgelegt, die ein jeder auf seine Weise uns warnen, dass die Motoren teils in die falsche Richtung drehen, dass sie teils heißlaufen – und dass die eine oder andere Schraube hohl dreht.
Was tun? Wir könnten uns als Couch-Politiker betätigen, die von daheim aus besser wissen – und an anderen Tagen tue ich es durchaus mit Freude an der Sache. (Ich kann nicht umhin, hier an jene Situation zu denken, wenn einem das Auto den brummenden Dienst verweigert aufgibt, und man als Ahnungsloser selbstverständlich die Motorhaube öffnet und klug hineinschaut. Was erhofft man sich? Um Jerry Seinfeld zu paraphrasieren: Hofft man, dass da ein großer An-und-Ausschalter ist, denn man bloß wieder umlegen sei, damit das Auto läuft?)
In den Wald oder an den See
Zivilisation und die politische Ordnung der Gesellschaft waren einst gedacht, um uns vor der Natur zu schützen. Der Motor läuft nicht so, wie wir es hofften.
Ich kenne nicht den »großen Hebel« anhand dessen sich all die Motorprobleme lösen ließen (und wenn ich ihn kennte, würde man es mir doch nicht glauben).
Ich rate heute nur mir und uns, ich rate dem Einzelnen, sich ein klein wenig »aus allem heraus zu nehmen«.
Geht wieder mal ein wenig spazieren. In den Wald oder an den See, in die Natur, wie sie wirklich ist. Wir bleiben Kinder der Natur, und uns für einige Stunden zurück in ihren Schoß zu begeben, das könnte uns helfen, unsere aufgewühlten Gedanken zu ordnen – schaden wird es nicht!
Es ist, so sieht man, Herbst, und dazu ist es, so sagt man, auch Pandemie, doch sollte der Bootsverleih am örtlichen Parksee in Betrieb sein, mietet euch ein Boot und rudert ein oder zwei Runden.
Unsere nächsten Schritte
»Es wird alles gut werden«, so sagten wir einst unseren Kindern. Ich beobachtete mich selbst dabei, wie ich dieser Tage diesen Satz begann, aber nicht beendete.
Es wird nicht »alles wieder gut«. Dafür haben die Mächte, die sich von der Propaganda als »gut« und »moralisch« zeichnen lassen, zu viel Unordnung in die Wege geleitet. Erschreckend (aber nicht überraschend) selbstbewusst schlagen sie ihre Pflöcke ein (ob diese Pflöcke und Indikatoren nun »Great Reset« (weforum.org) »Build Back Better« (news.un.org) oder gleich »New World Order« heißen). Und doch …
’s ist ja so: Es wird anders werden. Wenn wir aber ein wenig klug sind, wenn wir genug Klugheit an den Tag legen und mit sehr viel Glück gesegnet sind, könnte es anders gut werden.
Die Indikatoren sagen uns, dass die Motoren sehr anders laufen, als sie nach allem, was wir lernten, laufen sollten.
Bei jedem Schritt im Wald denkt darüber nach, was eure nächsten Schritte im Leben sein werden. Dies sind die richtigen Tage für einen langen, gründlichen Spaziergang.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.