Man muss sich die Relationen vergegenwärtigen und – wäre die Sache nicht so skandalös – auf der Zunge zergehen lassen: Am 29. August 2020 versuchen „Rechte“, „Verschwörungstheoretiker“ und „Corona-Leugner“ angeblich den Reichstag zu „stürmen“. Sie kommen ein paar Treppen hoch, dann verhindern drei (3!) Polizisten den „Sturm“; sie werden vom Bundespräsidenten dafür ausgezeichnet. Am 9. Oktober 2020 braucht es 1.500 Berliner Polizisten, um nach 30 Jahren endlich die widerrechtliche Besetzung des Hauses an der Berliner Liebigstraße 34 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg durch das „anarcha-queer-feministische Kollektiv“ zu beenden, das Gebäude zu räumen und 57 „Personen herauszuführen“: 57 „Personen“ – die laut Verfassungsschutz zum Kern der gewaltbereiten linksextremen Berliner „Anarcho-Szene“ gehören.
1.500 Bundesverdienstkreuze wird es dafür wohl nicht geben. Und wir haben auch kein Wort des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin, des Bundesinnenministers, der Bundesjustizministerin oder des sonst auf allen „social-media“-Kanälen präsenten Bundesaußenministers vernommen: kein Wort des Dankes an die Polizisten, die einen stinkenden und verwahrlosten Augiasstall ausräumen mussten und von denen 19 bei der Räumung verletzt wurden, auch kein Wort der Verurteilung „linker“ Gewalt haben wir vernommen.
Dass es in der Nacht nach der Räumung zu weiteren Exzessen kam, spielt allenfalls in der Lokalpresse eine Rolle. 1.700 überwiegend junge, schwarz gekleidete Sympathisanten rotteten sich zusammen, marschierten durch die angrenzenden Straßen; sie warfen Feuerwerkskörper, Flaschen und Steine gezielt auf Einsatzkräfte. In der Nähe des Hackeschen Marktes wurden Steine in Schaufenster geworfen. Zwölf Autos wurden angezündet. Eine Vielzahl von Fahrzeugen und Schaufensterscheiben anliegender Geschäfte wurden beschädigt. Sieben der insgesamt 19 verletzten Polizisten kamen erst im Laufe des Abends zu Schaden.
„Lasst uns einen wilden und chaotischen Oktober erleben!“
Und es soll offenbar so weitergehen. Unmittelbar nach der Räumung meldete sich „Liebig34“ im Internet zu Wort. Zu lesen sind hier folgende Drohungen: „Wir sind traurig. Wir weinen. Wir sind erschöpft. WIR SIND WÜTEND … Dieser Akt der Gewalt [gemeint ist die Staatsgewalt, JK] wird in einem Akt der Gegengewalt und Selbstverteidigung explodieren … Diese Räumung ist ein Moment der Radikalisierung. Wir können ihn nutzen und gemeinsam unseren Hass auf diese Scheiße Ausdruck verleihen … Wir sind so viel mehr als dieses Haus – wir sind Anarchist*innen, Feminist*innen, Queers und Antifaschist*innen, die jetzt ihren Wut bündeln und das kapitalistische Patriarchat bis zuletzt angreifen werden … Lasst uns gemeinsamen einen wilden und chaotischen Oktober erleben! 34 Millionen Sachschaden – wir sind schon gut dabei. Liebig34 lebt. Liebig34 kämpft.“
Quelle: http://liebig34.blogsport.de/
Na ja, man geht darüber hinweg. Die „Liebig34“-Netzseite ist bislang nicht gesperrt. Es stehen ja bis hinauf in hohe Politik zu viele Sympathisanten dahinter. Die grün-dunkelrote Bezirksregierung hatte ja nichts unversucht gelassen, die Räumung zu verhindern. Und die Zwangsgebühren-Medien (hier Deutschlandfunk Kultur) lassen „Historiker“ zu Wort kommen, die von Häuserbesetzungen als „Laboratorien der Liberalisierung“ schwadronieren.
Schieflagen in Medien und Forschung
Damit wiederholt sich etwas, was in zwei lesenswerten Büchern exakt beschrieben ist. Karsten D. Hoffmann hat soeben nach zehn Jahre währenden Recherchen ein Buch mit dem Titel geschrieben: „Gegenmacht – Die militante Linke und der kommende Aufstand“. Darin stellt er unter anderem dar, wie (bewusst?) hilflos das Gewaltmonopol des Staates drangegeben wird und wie linke Gewalttäter die politische Willensbildung beeinflussen, ohne dass eine adäquate gesellschaftliche oder politische Reaktion erfolgte.
Das andere Buch hat das Ehepaar Klaus Schroeder, Monika Deutz-Schroeder verfasst. Titel: „Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt“. Dort schreiben die beiden von einem „asymmetrischen Blick auf Extremismus.“ Das zeige sich unter anderem in den Medien und in der Forschung. Wörtlich: „Auf Seiten der Fernsehsender von ARD bis NTV übertreffen Berichte und Filme über Rechtsextremismus die über Linksextremismus um ein Vielfaches. Bei der ARD z.B. stehen im Frühjahr 2018 53 Treffer für Linksextremismus 444 für Rechtsextremismus gegenüber.“ Oder: „Im Karlsruher Virtuellen Katalog, auf dem alle neun Verbundkataloge Deutschlands zugänglich sind, finden sich knapp 15.000 Sucherergebnisse für Rechtsextremismus und knapp 640 für Linksextremismus.“ (Faktor: 23!) Und: An der Bibliothek der FU Berlin gibt es 1.000 Treffer für Rechtsextremismus und 36 für Linksextremismus.
Wenn „freie“ Schulen auch noch mitmischen
Bei so viel Einseitigkeit können Teile „engagierter“ Pädagogik offenbar nicht zurückstehen. So hatte die „Freie Schule Kreuzberg“ für den 9. Oktober, den Räumungstag, dazu aufgerufen, sich mit den Hausbewohnern zu solidarisieren. Lehrer und Eltern wollten sich unmittelbar in der Nähe des Hauses versammeln. An anderer Stelle war davon die Rede, man wolle „sich in der ersten Reihe“ mit den Bewohnern der Liebigstraße 34 solidarisieren.
Die Beteiligung von Kindern war dann aber angeblich eine Falschmeldung. Wahrscheinlich haben die überaus solidarischen und bewegten Lehrer und Eltern kalte Füße bekommen. „Es hat niemand die eigenen Schüler aufgerufen“, sagt eine gewisse Emily B. von dem „Aktionsbündnis freies Lernen liebt freies Leben“. Und Emily B. weiter: „Wir als Eltern haben unsere Kinder nicht mitgebracht, die unterliegen doch der Schulpflicht.“ Wie diese Schulpflicht freilich gewährleistet ist, wenn Lehrer nicht unterrichten, sondern demonstrieren, sagte sie nicht.
Es bleibt die Frage: Wie kann es ein Berliner Senat dulden, dass eine „freie“ Schule gegen das staatliche Gewaltmonopol mobil macht? Diese Schule bekommt vom Staat 92 Prozent der Personalkosten erstattet. Geld vom braven Steuerzahler, Geld letztlich auch aus dem Länderfinanzausgleich, von dem Berlin fast 40 Prozent abschöpft: exakt 4,33 Mrd. Euro von insgesamt 11,2 Mrd.