Für die Bewohner des Hauses Liebigstraße 34 war es fast noch mitternächtliche Stunde, als heute Morgen um sieben Uhr der Gerichtsvollzieher ein letztes Mal an die festungsartig verrammelte Pforte klopfte. Noch einmal sollten die Besetzer des Hauses auf friedliche Weise zum Verlassen des seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts besetzten Gebäudes zu bewegen. Seine Bitte verhallte natürlich ungehört. Dann begann der polizeiliche Räumeinsatz, der zurzeit noch anhält. Allerdings hatten Polizeibeamte bereits in der Nacht das Dach des Hauses besetzt. Und dabei u. a. festgestellt, dass sämtliche Balkone mit in Zement eingemauerten Glasscherben und Stacheldrahtrollen unzugänglich gemacht worden waren. Kein Wunder also, dass sich die Polizei mit schwerem Gerät Zugang zum Gebäude verschaffen musste. Eine never ending story geht damit doch zu Ende.
„Liebig 34“ war das letzte von der linksradikalen Chaotenszene besetzte Überbleibsel aus der Ära der Hausbesetzerszene, die Berlin vor fast vierzig Jahren bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Nach zehn Jahren vergeblicher Räumungsbemühungen erreichten die Eigentümer einen Mietvertrag zur Gewerbenutzung. Das Verhältnis schien sich zu entspannen. Als dieser vor zehn Jahren abgelaufen war, radikalisierte sich die Szene zusehends. „Liebig 34“ wurde mehr und mehr zu einer rechtsfreien Zone, von der aus die radikale Linke ihre Taten plante (stadtweite Brandanschläge auf Autos, Angriffe auf Polizeibeamte, Schmierereien und Sachbeschädigungen aller Art). Ebenso diente das Gebäude als Rückzugsort für Gesinnungsgenossen der Antifa aus ganz Deutschland. Es ist müßig, zu bemerken, dass weder Miete noch andere anfallende Wohnkosten wie Gebühren für Strom und Wasser entrichtet wurden.
Stück für Stück musste sich die Polizei von Zimmer zu Zimmer vorarbeiten. Insgesamt waren bzw. sind 2.500 Polizisten im Einsatz. Die Zahl der Besetzer wurde mit etwa 400 vermutet. Allerdings hielten sich nach Angaben der Polizei nur knapp 100 Besetzer heute Morgen im Hause auf. Seit Tagen war beobachtet worden, wie Personen Gegenstände wie Wohnutensilien u. ä. aus dem Gebäude verbrachten.
Grund zur Entwarnung ist allerdings nicht gegeben. Seit Wochen hatte die linke Szene europaweit mobil gemacht mit dem Slogan: „Wenn Liebig 34 geräumt wird, brennt Berlin.“ Einen Vorgeschmack darauf, was gemeint sein könnte, gab zu Wochenbeginn der Brandanschlag auf ein technisches Leitzentrum der Berliner S-Bahn. Die Folgen waren bis heute andauernde Unterbrechungen des Zugverkehrs, unter denen 10.000 Berliner, die auf die S-Bahn angewiesen sind, leiden müssen. In den vergangenen Nächten kam es zu einer Reihe von Brandanschlägen auf Fahrzeuge von Immobiliengesellschaften.
Man muss kein Kenner der Berliner Szene sein, um zu wissen, dass Berlins Polizei ein noch härteres Wochenende als ohnehin sonst bevorsteht. Hinzu kommt das Wissen der Beamten, dass die politische Führung der Stadt nur halbherzig hinter ihnen steht.