»Time is an illusion«, sagt Ford Prefect in unser aller Lieblingsbuch, und »lunchtime doubly so.« (zu Deutsch etwa: Zeit ist eine Illusion, und Mittagessenzeit ist eine doppelte Illusion!)
Es ist ein Scherz, insofern als es einen Schmerz durch die absurde Pointe erträglich und dadurch zugänglich werden lässt. Der Schmerz aber ist dieser: Unsere Wahrnehmung von Zeit ist tatsächlich ein Konstrukt unseres Geistes.
Sicher kann man mit Uhren den Verlauf der Zeit messen, doch was ist es denn, das gemessen wird? Die Vergangenheit ist vorüber, und damit unwiederbringlich nicht-existent, eventuelle Erinnerungen sind ja aktuelle Muster im Gehirn. Die Zukunft existiert ebenfalls nicht außer als Möglichkeit, wieder »nur« in unseren Gedanken, unseren Erwartung und Plänen. Die Gegenwart aber soll existieren, doch schon die alten Griechen fragten sich: Wie »lang« ist die Gegenwart – da jeder Zeitabschnitt unterteilbar ist, lässt sich auch die kürzeste als »Jetzt« zu benennende Zeitstrecke in Vergangenheit und Zukunft unterteilen – die Gegenwart wäre ein unendlich kurzer Schnittpunkt ohne eine anzugebende Ausdehnung, wiederum nur in unseren Gedanken existent – also eine Illusion, eine Selbsttäuschung.
Wenn nun alles, was stattfindet, in der Zeit stattfindet, die Zeit aber nachweislich eine Illusion ist, kann man durchaus Woody Allen verstehen, wenn er grübelt: »Was wenn alles eine Illusion ist und nichts existiert? In dem Fall habe ich definitiv zu viel für meinen Teppich bezahlt!«
Irreal, surreal, unwirklich
Dem Chronisten wie auch dem chronischen Nachrichtenleser fühlt sich heute die Gegenwart der Gesellschaft ganz ähnlich der Gegenwart der Philosophen an – wie eine Illusion. (Ein verwandtes Gedankenexperiment beschrieb ich in »Murmeltiertag, deutsche Fassung 2019« – auch jenes ist hier anwendbar, für einen weiteren Aspekt.)
Aus den USA hören wir (so wir nicht ausschließlich am Infusionsschlauch der Politiknahen hängen) von den täglich gewalttätigeren Protesten der extremen Linken im Namen von »Antifa« und »Black Lives Matter«, angeheizt von den sogenannten »Democrats«. Linksextreme führen, mit mächtiger Rückendeckung, inzwischen einen offenen »War on Cops« (Zitat Trump), es wird inzwischen sogar wohl aus »Protest« auf Polizisten geschossen, CNN & Co. heizen die Stimmung mit halbwahrem, hoch emotionalem Framing weiter auf (siehe dazu auch Kommentar des Weißen Hauses, via YouTube), Social-Media-Konzerne wie Twitter (foxnews.com, 24.9.2020) weigern sich bisweilen, Aufrufe zur Gewalt zu löschen, solange diese Gewalt von Linken oder Schwarzen ausgeht und gegen Trump und dessen Wähler gerichtet ist – bis hin zur offenen Ankündigung von Terror und Brandstiftung.
Nach dem Tod der US-Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg begannen US-Democrats und Antifa-Schergen sofort zu fordern, dass Trump in dieser Wahlperiode keinen Nachfolger mehr ernennen darf – die Argumentation ist denkbar dünn, schließlich waren es die Democrats unter dem damaligen Fraktionsvorsitzenden Harry Reid, die es dem Präsidenten (damals Obama) einfacher einrichteten, einen Bundesrichter an der Opposition vorbei einzusetzen (Trump dankt Reid dafür; siehe etwa washingtontimes.com, 24.9.2020). Die Democrats hätten besser auf Reid hören sollen, als jener warnte. cnn.com, 12.10.2019 zitiert ihn: »Trump is a ‚very, very smart man‘ who won’t be easily beaten in 2020« – zu Deutsch: »Trump ist ein ›sehr, sehr schlauer Mann‹ der 2020 nicht einfach zu schlagen sein wird«.
Es wirkt so manches heute wie eine Illusion. Ich spüre in mir selbst, wie das Gefühl des »Das kann doch alles nicht wahr sein!« heute noch stärker als das Erschrecken über die Meldungen des Tages ist.
Deutschland scheint derweil auf seine eigene Weise surreal zu werden. Der gemeinsame Kampf gegen das Virus mutiert zum verzweifelten Kampf des Einzelnen gegen die verheerenden Folgen des Kampfes gegen das Virus. Als ob Deutschland nicht schon vor dem China-Virus wöchentlich Tausende (einst) guter Arbeitsplätze abgebaut hätte, als käme nicht ohnehin eine desaströse Pleitewelle auf uns zu, scheint Deutschland samt seiner Bürger dieser Tage wieder zum persönlichen Spielplatz der Kinder reicher Familien zu werden, die mal »Politik spielen« und »Aktivist sein« und nach ihrer Schülerweisheit die Wirtschaft umbauen wollen.
Selbst eine nüchterne, mit ganzer innerer Kraft unpolitisch gehaltene Beschreibung der aktuellen Ereignisse wirkt, wie auch die Zeit der Philosophen, heute flirrend irreal, unwirklich und wie eine Illusion.
Es gab schon immer und immer wieder eklatante Fehlleistungen in Redaktionen, doch die heutigen Fehlgriffe spielen in einer anderen, eigenen Dimension – und sie geschehen offen und mit Ansage. Das Blatt, das Deutschland die »Hitler-Tagebücher« brachte, kooperiert heute offen mit der umstrittenen Bewegung »Fridays for Future« (siehe Berliner Zeitung). Von Staatsfunk und politiknahen Medien werden derweil zwei junge Damen aus einer traditionsreichen Familie als Aktivistinnen und Nachwuchs-Politikerinnen inszeniert, um »moralische« Forderungen auf dem Niveau von Schülerdebatten zu stellen.
Eine Frau Carla Reemtsma darf, warum auch immer, beim Polit-Talk »Unter den Linden« (Phoenix) in der für Jung-Polit-Aktivistinnen typischen Mädchensprache erklären: »Jetzt festzuhalten an dem Wirtschaftsmodell wie wir es gerade haben, das ist absurd« (zitiert nach @phoenix_de, 25.9.2020).
Wer ist das von Fachwissen unbeschwerte Mädchen, das der Staatsfunk uns da präsentiert? Wie kommt es vor die Kameras? Nun, die Familie scheint über »Vitamin B« zu verfügen, seit jeher:
Als die Nazis im Zweiten Weltkrieg die Krim unterjochten, waren deutsche Unternehmen schnell vor Ort. Vor allem Reemtsma wurde zum Nutznießer der Ausbeutung. Der Konzern ließ Zehntausende Zwangsarbeiter für sich schuften und maximierte seinen Profit – dank bester Verbindungen in die Wehrmacht. (spiegel.de, 23.8.2011)
Man fragt sich durchaus, welches »Wirtschaftsmodell« die kluge Frau Reemtsma denn gegenüber der demokratisch kontrollierten Sozialen Marktwirtschaft wirklich bevorzugen würde? Eines so wie »früher«?!
Nun, zur Cousine von Carla Reemtsma, einer jungen Dame namens Luisa Neubauer, ebenfalls »Umweltaktivistin«, stellt man derzeit beim Flaggschiff des Springer-Konzerns knallharte, eisern journalistische Fragen wie etwa: »Wollen Sie eine neue Partei gründen, Frau Neubauer?« (bild.de, 25.9.2020, hinter Bezahlmauer)
Ja, es wirkt alles irreal, surreal, unwirklich. Man muss kein Philosoph mehr sein, um Gegenwart wie auch Zukunft als Illusion wahrzunehmen.
Zeiten und Möglichkeitsebenen
Es war Buddha, der uns erklärte, dass alles Leid sei. Er war es aber auch, der sagte, dass es einen Weg aus dem Leid gibt (und er meinte nicht, Zähne zusammenbeißen und aufs Leben nach dem Tod hoffen – sehr im Gegenteil).
Manche von uns – und ich zähle mich zu diesen! – leiden an dem, was heute passiert, gerade wenn wir »an die Zukunft denken«. Auf »das ist doch alles nicht wahr« folgt bald der Ausruf: »Wo soll das alles noch enden?«
Wir leiden heute auch, weil wir von der Vergangenheit her denken. Ich leide, weil ich die reale Gegenwart und die mögliche Zukunft im Vergleich zur Vergangenheit betrachte, und zwar sowohl 1. im Vergleich zum früheren Status Quo, und 2. im Vergleich zu den Träumen und Plänen, die wir früher hatten, die ganz anders waren als das, was wirklich eintrat.
Einen Schritt weiter gedacht: Ich leide, weil ich in meinem Kopf diese Zeit in Bezug setze dazu, »wie es früher war«, »wie es hätte sein können«, »wie es womöglich kommen wird«.
Ich sage nicht, dass es nicht »gerechtfertigt« wäre, an der sich täglich weiter öffnenden Schere zwischen Wunschvorstellung und Realität zu leiden. Ich sage nicht, dass man lächeln und froh sein sollte, weil Deutschland nicht nur weit hinter seinen Möglichkeiten bleibt, sondern diese auch noch aktiv sabotiert und fortwirft.
Ein wesentlicher Teil unserer Wut, unseres Zorns und unserer Wehmut stammt von unserer inneren Angewohnheit, dass wir im Kopf auf dem Zeitstrahl der tatsächlichen wie auch möglichen Entwicklungen hin und her laufen, immerzu Vergleiche anstellend quer über Zeiten und Möglichkeitsebenen hinweg, und dass es ganz und gar nicht den Eindruck macht, dass dies die beste aller möglichen Welten – oder Zeiten – ist.
Verschwommen und unscharf
Keine politische Entscheidung wird anders fallen, wenn und weil wir in unserem stillen Kämmerlein an ihr leiden. Kein Politiker wird zum Demokraten werden und kein Journalist ein Gewissen entwickeln, nur weil Sie oder ich ob all dieser Dinge in unserem stillen Kämmerlein am Herzschmerz vergehen.
»Die Dinge sind, wie sie sind« – ein an Banalität kaum zu übertreffender Satz, keine Frage, doch haben wir ihn verinnerlicht? Schenkt er uns Trost und Gleichmut? Ich ringe damit.
Wir können und sollten die Dinge ändern, immer wieder und fortdauernd, hoffentlich zum Besseren.
Wir können fürs Gute und gegen das Dumme kämpfen, das das Linke und die Grünen, für die Aufklärung, die letzten Bastionen der Vernunft verteidigen.
Dies sind nicht die Zeit und die Welt, die wir uns erhofften – oder die wir auch nur als Möglichkeit einkalkulierten. Die Zeitläufe, die uns hierher brachten, sie fühlen sich wie Illusionen an, wie unwirkliche Träume. Die Linien, die in die Zukunft weisen, sie sind bislang nur verschwommen und unscharf zu erkennen.
Alle(s) Anfänger
Ich will versuchen, und sei es nur für einen Augenblick und als eine Art praktischer Meditation, auf die heutigen Gegebenheiten zu schauen, als trüge ich mit mir keinerlei Erwartungen aus der Vergangenheit, also keine enttäuschte Hoffnung, an der ich leiden müsste.
Wir wollen aus der Geschichte lernen (etwas, das »die da oben« gelegentlich zu stören scheint, deuten sie die alten Lehren und Begriffe doch gern und regelmäßig in ihr orwellsches Gegenteil um), doch will ich meinen Geist zugleich justieren, als ob die Geschichte heute erst begänne.
Ich sehe keine Pläne, entlang derer wir uns bewegen. Meine größte und einzig konkrete Hoffnung ist die auf Frieden. Wie auch immer die Zukunft geordnet sein wird, wer auch immer uns beherrschen und uns seine »Moral« auferlegen wird, ich hoffe heute zuallererst, dass wir unsere Kinder und deren Kinder in Frieden aufwachsen sehen werden (ich habe mir sogar ein T-Shirt-dazu gemacht, es ist auf meiner neuen englische Merch-Seite zu sehen: merch.dushanwegner.com/art/peace).
»Zen Mind, Beginners Mind« lautet ein Buchtitel und Gedanke aus dem Asiatischen (ich erwähne ihn im Essay vom 1.4.2018). Der Geist möge sich immer wieder neu ausrichten, als ob man die Welt ganz neu begänne, wie die Oberfläche des Sees, der zwar erst aufspritzt und Kreise zieht, wenn ein Stein in ihn geworfen wurde, aber dann doch zur Ruhe kommt, gewissermaßen wie ein »Anfänger«.
In Amerika brennen die, die von den Medien die »Guten« genannt werden, die Städte nieder, auf dass die Wütenden wütender und die Armen ärmer werden. In Deutschland verkauft man uns die Kinder extra reicher Familien als ernstzunehmende (Nachwuchs-) Politiker. Es ist ein Zirkus samt Clowns und Dompteuren, doch die Clowns bringen niemanden zum Lachen und der Dompteur dressiert mit knallender Peitsche nicht die Löwen, sondern uns, das Publikum.
»Zeit ist eine Illusion«, heißt es, und wir ergänzen: Jede Gewissheit, die wir aus vergangenen Zeiten zu schöpfen meinen ist doppelt eine Illusion.
Ich will aus der Geschichte lernen, ja, ich will gründlich und gewissenhaft aus ihr lernen – doch mein Handeln sei ohne Sehnsucht nach der Vergangenheit, nicht auf das Vergangene ausgerichtet.
Was bislang sicher schien, ist heute nicht nur den Philosophen eine Illusion. »Das neue Normal« ist so manches, aber gewiss nicht »normal«.
Es ist okay, sich als »Anfänger« zu fühlen. Heute sind wir alle Anfänger – und das ist keine Illusion.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.