»Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen«, so erzählt Jesus in Lukas 10:30, und weiter dann: »Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.«
Die Bibel ist wohl altmodisch und veraltet, so zumindest wenn ich den Taten derer Glauben schenke, die sich heute als ihre Fürsprecher ausgeben. Eine moderne Geschichte vom Samariter müsste so lauten:
Es war einmal ein Samariter, der betrieb ein Dutzend Gaststätten, die sich auf die Verpflegung von Mittellosen und Ausgeraubten spezialisiert hatten. Der Samariter pflegte gute Beziehungen zum Statthalter, welcher bei den Bürgern der Stadt hohe Steuern kassierte, und sie an die Gaststätten des Samariters zahlte.
Es waren unsichere Zeiten, und in die Gaststätten des Samariters wurden viele Verprügelte eingeliefert. Die Pflege auf Kosten der Bürger war durchaus fein und für die Ausgeraubten stets gratis – sie erhielten sogar ein Taschengeld, so dass bald Menschen in die Gegend zu reisen pflegten und sich als Ausgeraubte ausgaben, nur um in den Gaststätten unterzukommen, wo die Bürger alles bezahlten, sogar das Putzen der Aborte.
Der Samariter wurde reicher und reicher an den Vielen, die sich als Ausgeraubte ausgaben, doch es war ihm nicht genug.
Bald sandte der Samariter eigene Spähtruppen los, welche Menschen von den Straßen holten und in seine Gaststätte brachten. Auch das sprach sich herum, und so brachen immer mehr Menschen auf, um sich als Ausgeraubte auszugeben und in den Gaststätten unterzukommen.
Die Straßen, die zu den Gaststätten führten, waren allerdings auch weiterhin nicht ungefährlich. Es geschah durchaus, dass Menschen tatsächlich unter die Räuber gerieten oder unglücklich vom Weg abkamen und starben.
Je mehr Menschen sich auf den Weg machten, um in die Gaststätten zu gelangen, an denen der Samariter immerzu reicher wurde, umso mehr Menschen starben auch auf dem Weg.
Die Bürger in der Stadt aber, die all diese Gaststätten bezahlen sollten, begannen zu murren. Einige derer, die in den Gaststätten untergekommen waren, begannen eben jene Bürger zu beschimpfen, welche das Geld für die Gaststätten aufbrachten, sie sollten gefälligst noch mehr zahlen.
Der Statthalter sprach zum Samariter: »Was sollen wir tun, die Bürger werden mürrisch! Deine Gaststätten locken immer mehr Leute, und bald werden hier mehr Gäste leben, die sich als Ausgeraubte ausgeben und also gratis in deinen Gaststätten leben, als Bürger, die deine Gaststätten zahlen! Auch sterben immer mehr Menschen beim Versuch, zu deinen Gaststätten zu gelangen! Es ist mir unwohl!« (Bei sich selbst dachte der Statthalter zudem: »Meine eigenen Beamten haben herausgefunden, dass du gar kein echter Samariter bist. Man sollte dich den falschen Samariter nennen!«)
Der Samariter aber, dessen Gaststätten auf hundert angewachsen waren, und der also immer reicher geworden war, drohte dem Statthalter: »Die Priester und die Prediger auf dem Markplatz, sie arbeiten für mich. Wenn du auch nur einen Heller weniger an meine Gaststätten zahlst, als ich fordere, werden sie den Menschen sagen, dass du von bösen Geistern besessen bist. Möchtest du das?«
Der Statthalter aber fürchtete den Samariter und seine Macht, also presste er den Bürgern noch mehr Steuern ab als zuvor und zahlte sie an die Gaststätten des Samariters.
Die Stadt wurde arm, nicht nur an den Zahlungen, die sie an den falschen Samariter leistete, aber sicherlich und wesentlich auch durch diese. Andere Städte betrieben Forschung und Handel, diese Stadt aber dachte bald an nichts anderes mehr, als daran, wie sie den reichen falschen Samariter bezahlen und dann mit seinen vielen Gästen leben sollte. Die Fremden verband ja wenig mit der Stadt, außer dass die Bürger ihnen wider Willen die Gaststätte bezahlten.
Andere Städte, die nicht in die Fänge eines falschen Samariters geraten waren, bezahlten mit ihrem Geld lieber Lehrer und Wissenschaftler, legten Parks und Gärten an, trieben Handel und rüsteten ihre Armee aus.
Nichts währt ewig, auch nicht die Geschäfte des falschen Samariters, der am Leid der Menschen so reich geworden war. Die letzten klugen und reichen Familien der Stadt gaben ihre Häuser auf und zogen in die Nachbarstädte. Der Statthalter, alt und stur geworden, hielt die Fortziehenden nicht auf, er schimpfte sogar über sie – er glaubte ja selbst inzwischen, dass es die vom Schicksal bestimmte Aufgabe der Stadt sei, dem Samariter seine Gaststätten zu betreiben.
Als zwei der Nachbarstädte ihre Soldaten zusammentaten, auf Eroberungszug losschickten und plötzlich vor den Stadttoren, wunderten sich die Eroberer sehr über die Stadt, in welcher die hundert Gaststätten des falschen Samariters standen – die Einwohner jener Stadt begrüßten die Eroberer nicht in Schrecken oder gar in Gegenwehr – sie seufzten vielmehr: »Erobert uns! Befreit uns von unserer neuen Dummheit!«
Viele Jahre später, als man die Alten fragte, welche sich noch an jene Stadt erinnern könnten, wie es zu all dem kommen konnte, murmelten sie: »Schritt für Schritt. Dümmer wird man Schritt um Schritt. Wenn deine eigene Dummheit dich plötzlich zu schmerzen beginnt – dann ist es schon lang zu spät.«
Mehr-oder-weniger »private« Schiffe
Die Wohlfahrtskonzerne verdienen Geld daran – sehr! viel! Geld! – einen wesentlichen Teil des Produkts zu liefern, welches kriminelle afrikanische Schlepper ihren zahlenden Kunden verkaufen. Das Produkt ist »Gratis-Vollversorgung nach deutschen Standards zu deutschen Geld-spielt-keine-Rolex-Preisen«.
Sowohl die kriminellen Schlepper als auch die legalen Wohlfahrtskonzerne verdienen allerdings erst dann an der illegalen Migration, wenn die Kunden auch tatsächlich in Deutschland ankommen (für die Schlepper müssen sie dann das bekannte »Ankunfts-Selfie« knipsen).
Es hat mit der für den Profit von Schleppern und Wohlfahrtskonzernen notwendigen »letzten Meile« natürlich rein gar nichts zu tun, sondern nur mit ganz doll empfundener Nächstenliebe, wenn die evangelische Kirche (die mit den extra leeren Gotteshäusern) jetzt gleich selbst Schiffe aufs Meer losschickt, wo sie die Kunden der Schlepper direkt entgegennimmt und ein entscheidendes Stück in Richtung deutscher Wohlfahrtskonzerne weitertransportiert.
Zum Leidwesen deutscher Migrationsprofiteure (und deutscher Urlauber, wenn auch aus anderen Gründen) liegt Deutschland nicht am Mittelmeer, das tun dafür aber Staaten wie Italien, Spanien oder Griechenland – und diese sind eher weniger begeistert, wenn deutsche Initiativen afrikanischen Schleppern bei der Lieferung ihrer »Ware« aushelfen, die Kunden der Schlepper aber zunächst in die Mittelmeerhäfen bringen (müssen), bis sich eine Weiterreise nach Deutschland ergibt (etwa nach Erpressung durch Anzünden des eigenen Lagers).
Italien hat nun ein solches Schiff festgesetzt (welt.de, 21.9.2020). Diesmal wohl eines, das die Kirche via speziellem Verein gleich direkt (mit-) betreibt. Die Betreiber tun ganz empört. Das Festsetzen wird nicht lang halten – die politische und finanzielle Macht der entsprechenden Lobbys ist groß.
Deutsche mehr-oder-weniger »private« Schiffe fördern quasi-aktiv die illegale Einwanderung in die EU-Zone (mit dem Ziel Deutschland, klar) – sie nennen es »Seenotrettung« – und dann lamentieren sie in fake-moralischen Worten darüber, wenn man ihr Treiben unterbindet.
Unsere Schulweisheit
All die salbungsvollen Worte der Kirchen und Wohlfahrtskonzerne lassen sich schon mit wenigen Pinselstrichen widerlegen: Armut und Not, die durch kontraproduktive Denkweisen entsteht, kann nur vor Ort und durch produktivere Denkweisen gelöst werden, nicht indem man die Stärksten motiviert, mit Hilfe von Kriminellen ins All-Inclusive-Deutschland einzureisen (teils als »Anker«), während das Elend vor Ort größer wird. Probleme vor Ort werden nur vor Ort gelöst. Aber natürlich kassieren Wohlfahrtskonzerne und andere Profiteure weit mehr damit, die Kunden der Schlepper in Deutschland zu versorgen.
Nicht nur Deutschland, die gesamte Welt steht vor sich neu auftuenden wirtschaftlichen Rissen und kulturellen Verwerfungen in Dimensionen, die sich unsere Schulweisheit, so überhaupt vorhanden, nicht vorstellen konnte. Die Wohlfahrtskonzerne machen aber schnell noch einen kleinen Reibach, wie zwei Extraschlaue auf der Titanic, die kurz vorm Untergang noch mit dem Tafelsilber spekulieren – den Bischöfen und Funktionären in ihren wohlgeschützten Residenzen kann es ja gleich sein, welches Leid und welchen Schaden sie in Afrika wie auch in Deutschland anrichten.
Rechtfertigen, warum
In einem Staat mit funktionierender Bildung und Medien würden diese Leute als das entlarvt werden, was sie sind – dies aber ist der Propagandastaat Deutschland.
Die Ehegattin des Vorsitzenden jenes Vereins, der das erwähnte Schiff (mit-) betreibt (eines Herren Thies Gundlach), also die (andere) ehemalige FDJ-Sekretärin (welt.de, 28.5.2013) und heutige Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, wurde aktuell im Staatsfunk zitiert (es ging darum, der Erpressung von Moria nachzugeben):
Der barmherzige Samariter hat auch seinen Mantel geteilt und hat nicht gewartet bis jemand kommt und sagt, ich wäre auch noch bereit. (Katrin Göring-Eckardt, via zdf.de, 11.9.2020)
Im Essay vom 19.3.2018 schrieb ich: »Man kann sich darauf verlassen: Wenn Politiker oder Journalisten die Bibel zitieren, wird es schräg bis unfreiwillig komisch« – dies ist ein weiterer ebensolcher Fall. Es war Martin von Tours (siehe Wikipedia), nicht der barmherzige Samariter, der seinen Mantel teilte – und auch dieser Heilige Martin teilte den eigenen Mantel, und nicht einen, den er zwangsweise den Bürgern abgepresst hatte. (Nebenbei: Was sagt es über die Allgemeinbildung der traditionell grünunfreundlichen Staatsfunker aus, dass niemand in der Publikationskette sie freundlich auf ihr rhetorisches Versagen hinwies, sondern vielmehr ihr moralindurchtränktes Sprachbildwrack mit salbungsvollen Worten einleitete? Zitat: »richtete sich mit einem Aufruf direkt an die Christdemokraten…«)
Frau Göring-Eckardt war von 2009 bis September 2013 immerhin »Präses« der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland – und sie repräsentiert auch in etwa die theologische Kompetenz, die man von deutschen Moralisten erwartet, wenn sie sich auf die Bibel berufen, um zu rechtfertigen, warum sie Schleppern zuarbeiten.
Sehr guter Dinge
Diese Phase des deutschen Irrsinns ist eben das – eine Phase. Es wird vorübergehen – auf die eine oder auf die andere Art. Entweder Deutschland wird selbst zur Vernunft kommen (gleich nachdem der verfluchte Staatsfunk aufgelöst ist und Schweine durch die zugefrorene Hölle fliegen), entweder »umstrittene« NGOs werden darin gestoppt, das Leid in Afrika zu verschärfen und Menschen aufs Mittelmeer zu locken, um die Profite deutscher Wohlfahrtskonzerne noch fetter zu machen – oder Deutschlands Irrsinn wird von anderen globalen Entwicklungen plötzlich und rasant abgekühlt werden.
Ich halte falsche Samariter und ihre Helfer für innerlich eiskalte Zyniker, die außer Macht und Geld keine Werte kennen, und bereit sind, täglich Menschen aufs Meer zu locken und für etwas Profit ihr eigenes Land zu opfern. Ich teile deren Prämissen (genauer: deren Abwesenheit) nicht, also wäre eine Debatte kaum sinnvoll möglich.
Ich ahne, wer die Staaten und Mächte sein werden, welche die Welt in 50 Jahren unter sich aufteilen werden – vielleicht noch viel früher (hier nur so viel: ich halte die »kulturelle Stärke«, wie Weisheit, Klugheit und Moral für langfristig weit wichtiger als heutige Waffen, heutige Verträge oder heutige Rohstoffe).
Einiges wird ganz anders werden, als es heute noch erscheint, eines aber wage ich zu versprochen: Kein einziger der zukünftigen Siegerstaaten wird sich von falschen Samaritern auf der Nase herumtanzen lassen.
Ich glaube nicht einmal, dass die starken Mächte der Zukunft überhaupt erst den Fehler begehen werden, auch nur versuchsweise den falschen Samaritern aufzusitzen.
Um ein chinesisches Sprichwort zu zitieren: 他人之误为良师 (ausgesprochen: »Tā rén zhī wù wéi liáng shī«), zu Deutsch: Anderer Leute Fehler sind gute Lehrer.
Ob die Welt am deutschen Wesen genesen wird, das wage nicht nur ich zu bezweifeln, aber immerhin wird die Welt von unseren Taten lernen – darin bin ich sehr guter Dinge.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.