Nachdem Ursula von der Leyen sachkenntnisfrei, aber sehr teuer beraten, die Bundeswehr in einem Zustand hinterlassen hat, dass man sich nicht den Verteidigungs- oder Katastrophenfall vorstellen mag, arbeitet sie mit ihren Beratern nun unverdrossen an Europas Zukunft, an einer Utopie, die – steht zu befürchten – wie alle angestrebten Utopien in der Geschichte in einer Dystopie enden wird. Die Wegskizze publizierte sie in einem Beitrag in der Welt vom 19. September.
Der Text der Kommissionspräsidentin lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, er dokumentiert Realitätsferne, fehlende Geschichtskenntnisse und den unbeirrbaren Willen, die Vorherrschaft der Finanzwirtschaft, die den Mittelstand zerstören wird, durchzusetzen.
Womit von der Leyen die Eingangsbehauptung, dass Pandemien „den Lauf der Geschichte verändert“ haben, stützen will, wird wohl ihr Mysterium und die faktenfreie Fabel ihrer Berater bleiben. Epidemien oder Pandemien ändern nicht den Lauf der Geschichte, aber sie verstärken und beschleunigen Prozesse, die ohnehin schon in den Gesellschaften ablaufen.
Weder die Athenische Pest um 430 vor Christus, noch die Antoninische Pest von 165-190 nach Christus, auch der Schwarze Tod, der in Europa zwischen 1346-1353 wütete, nicht, noch die Pockenepidemie in der Neuen Welt, die von den Spaniern eingeschleppt sich in mehreren Wellen ab 1518 zur Katastrophe für die Ur-Einwohner Amerikas ausweitete, auch nicht der Englische Schweiß, der erstmalig nach der Schlacht von Bosworth 1485 epidemisch auftrat und dann in Wellen 1506, 1517 und in den Jahren 1528/29 wiederkehrte, auch nicht die Spanische Grippe von 1918 bis 1920 haben den „Lauf der Geschichte verändert“.
Aber schon die römischen Kaiser versuchten, die Wirtschaftskrise, die von der Antoninischen Pest beschleunigt wurde, u.a. durch die Verringerung des Silbergehaltes in den Münzen einzugrenzen. Der Versuch, die Inflation durch die Einführung von Höchstpreisen zu stoppen, den Markt also staatlich zu regulieren, beschleunigte Inflation und Krise. Wirft man also einen Blick in die Geschichte der Epidemien und Pandemien und auf die Gegenmaßnahmen der Regierungen, so stößt man bis hin zu von der Leyens Vorschläge immer wieder auf die gleichen Maßnahmen und verheerenden Folgen.
Ursula von der Leyen wagt politisch nichts Neues, sondern sie wiederholt nur die Fehler, die Regierungen zuvor auch schon begangen haben. Eingriffe in den Markt, in die Wirtschaft, gekoppelt mit der Erhöhung der Geldmenge, respektive der Verringerung des Silber- oder Goldgehalts von Münzen, was auf das gleiche hinausläuft, führten von jeher zu einer Vertiefung der Krise und zu einer Inflation, die letztendlich nur der Finanzwirtschaft nutzte – auch schon im alten Rom.
Aber da in der Politik inzwischen Fakten und Argumente durch Propaganda und Haltung ersetzt worden sind, stößt man sich nicht daran, dass man im Grunde mit der Berufung auf die Geschichte nur die Fehlerhaftigkeit und das Desaströse der eigenen politischen Vorhaben decouvriert, denn die Berufung auf die Geschichte soll demonstrieren, dass man aus der Geschichte gelernt hat, was man nun gerade nicht hat – und wenn doch, dann auf zynische Art und Weise, dann würde man nämlich die Krise wollen. Es gibt ja immer zwei Arten des Lernens.
Von der Leyen lobt den „Vorteil, Mitglied einer Union von 27 Nationen zu sein, die sich auf einander verlassen können, wenn es hart auf hart kommt.“ Nur benennt sie in ihrem wolkigen Text keinen einzigen „Vorteil“, bringt auch kein Beispiel, wo sich die Staaten aufeinander verlassen haben. Im Gegenteil, jedes Mitgliedsland der EU verfolgte seinen eigenen Weg zur Eindämmung der Pandemie – und wie gut, die Schäden wären bei einer von Brüssel gelenkten Politik weitaus größer ausgefallen. So haben die einzelnen Staaten entsprechend ihrer nationalen Besonderheit gehandelt. Und in der Tat unterschied sich die Situation in Italien deutlich von der in Polen. Im Gegenteil, gerade die Pandemie hat allen vor Augen geführt, wie wichtig der Nationalstaat und wie existentiell bedeutsam nationalstaatliches Handeln ist.
Aber von der Leyens Behauptung soll mehr als wacklig nur das große Schuldenprogramm, dass die EU-Kommission auflegt, rechtfertigen, der immensen Verschuldung, dem große Geschenk an die Finanzwirtschaft, das man großspurig NextGenerationEU nennt und statt Zukunft, doch eher Germany Next Topmodel assoziiert, einen Weiheschein verleihen. Sicher, Religion kann man nicht logisch hinterfragen. Aber hierin sollten sich Politik und Religion unterscheiden.
Dass von der Leyen die hausgemachte Corona-Krise, mit der nicht minder hausgemachten Migrationskrise und mit der herbeifabulierten Klimaapokalypse verbindet, zeigt die grobe, doch erfolgreiche Taktik der EU-Kommission, die von der deutschen Regierung auch benutzt wird. Durch das Erzeugen von existentiellen Ängsten, dadurch, dass Krisen an die Wand gemalt werden, hebelt man den politischen Diskurs aus, in dem die Diskussion auf irrationale Ebene gehoben wird, und ermächtigt sich selbst zu einem Handeln, das demokratisch legitimiert werden müsste, aber nicht wird, denn „Not kennt kein Gebot“. Mit der erfabelten bzw. selbst verursachten Tiefe der Krisen wird der Systemumbau, die große Transformation gerechtfertigt, denn um nichts geringeres geht es der Kommissionspräsidenten als darum: „aus dieser schweren Zeit in eine bessere Zukunft aufzubrechen.“
Sie scheint auch keine anderen zu kennen, schließlich entsteht Kultur für sie dort, „wo kluge Köpfe einander begegnen und sich austauschen.“ Dass wir in einer reichen europäischen Kultur und auch in vielfältigen regionalen und nationalen Kulturen leben, scheint der Kommissionspräsidentin fremd zu sein, dass Kultur eben kein Fridays for Future Happening ist, sondern ein historisch gewachsenes Kommunikationssystem, dass Kultur die Art und Weise, wie wir miteinander leben, welche Werte, welche Geschichte, welche Kunst, welche Sehnsüchte, welche Hoffnungen und Ängste wir miteinander teilen, beide aus historischen Erfahrungen übrigens erwachsen, welche Verhaltensnormen für uns grundlegend sind, dürfte Ursula von der Leyen völlig unbekannt sein.
Die Bestrebung der Brüsseler EU, „ein neues, europäisches Bauhaus aus der Taufe zu heben“, eine Plattform, auf der Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer geneinsam arbeiten und Nachhaltigkeit mit einer eigenen Ästhetik verbinden“, zu errichten und durch EU-Gelder und EU-Aufträge verbindlich zu machen, wird nur einen Suprastaatsstil hervorbringen, mit dem Brüssel eine eigene EU-Kultur künstlich zu erzeugen trachtet, eine eigene Superstaatsästhetik, die von willigen EU-Kulturschaffenden unter Zerstörung der kulturellen Vielfalt Europas exekutiert wird.
Es scheint fast, dass Ursula von der Leyen aus Orwells „1984“ abgeschrieben hat, wenn sie fordert: „Der europäische Green Deal ist nicht nur ein Umwelt- oder Wirtschaftsprojekt, sondern muss auch ein neues Kulturprojekt für Europa werden.“ „Klug“ ist nach von der Leyen dann nur, wer an diesem Projekt teilnimmt. Die Approbation der „klugen“ Kulturschaffenden übernimmt selbstredend die EU-Kommission. Doch Staaten bringen keine Kulturen hervor, Regierungen schon gar nicht, wo das versucht wird, läuft es auf eine Bevormundung der Bürger hinaus. Kultur wird sich dann als Gegenkultur entwickeln. Wo vereint werden soll, wird gespalten.
Hier wird deutlich, dass der Green Deal ein ideologische Projekt ist, dem sich die Realwirtschaft und die Kultur zu beugen, dem Europas Wissenschaftler panegyrisch zu besingen haben und für dessen Umsetzung aktivistische Journalisten als Realitätsersatz eine brave new world, die nur in ihren Gazetten und ihren Sendungen existiert, tagtäglich besingen werden.
Der Dreiklang von Coronakrise, Klimakrise und Migrationskrise dient einzig und allein dem Umbau, der Transformation Europas in einen Zentralstaat, indem die Brüsseler Bürokratie und nicht mehr der Bürger den Souverän bildet. Letzterer steht ohnehin unter Rassismusverdacht, wie übrigens unsere ganze Kultur, die gecancelt werden soll, damit Platz wird für von der Leyens „kluge Köpfe“.